piwik no script img

Kommentar NSA-AffäreProjekt Gegenaufklärung

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Es wäre fatal, jetzt Geheimdienste aufzurüsten, um die US-Schnüffelei einzudämmen. Notwendig sind massenkompatible Verschlüsselungstechniken.

Eine Gegenmaßnahme ist, sich aus der US-Abhängigkeit bei der Software zu befreien. Bild: ap

S pätestens mit der Attacke auf das Telefon der Frau Kanzlerin haben auch die staatsbürgerlichsten Konservativen gemerkt, dass da in Sachen Grundrechtsschutz wohl etwas schiefgelaufen ist. Diese späte Einsicht eröffnet nun einen politischen Handlungsraum.

Endlich fragen sich viele: Welche Konsequenzen kann ein Land wie Deutschland aus der Erkenntnis ziehen, dass gegenwärtig offenbar niemand der digitalen Willkür fremder Staaten entkommen kann?

Es gibt einige Antworten auf diese Frage. Die langweiligste, vielleicht wahrscheinlichste, lautet: Es wird kaum Konsequenzen aus dieser Affäre geben – weil die technischen und strategischen Mittel deutscher Behörden zu schwach sind. Deutschland ist, so heißt es, schlicht abhängig vom Wissen der anderen.

Staatstheoretiker wissen nicht erst seit der Lektüre Niccolò Machiavellis, dass Abhängigkeit eine schlechte Ausgangsposition zur Durchsetzung eigener Interessen ist. Wie aber kann Deutschland, wie kann Europa eine politische Autonomie erlangen, um seinen Bürgern künftig das Mindeste – die Wahrung ihrer Grundrechte – zuzusichern? Es braucht ein Projekt der Gegenaufklärung.

Dieses Projekt kann zwei Gesichter haben: Schon melden sich jene, die die Gelegenheit der nachrichtendienstlichen Aufrüstung nutzen wollen. Wenn Deutschland ernst genommen werden will, so argumentiert etwa Zeit-Herausgeber Josef Joffe, müsse es seine nachrichtendienstliche Aufklärung maximieren: Erst wenn Obama Angst bekommt, so die Logik, wird er sich bewegen. Willkommen in der Vergangenheit.

Eine fortschrittliche Vision von Europa beruft sich dagegen auf den ideengeschichtlichen Wert der Aufklärung. Verteidigung der Freiheit – statt Angriff. Europa hat nun die Chance, das konkret zu machen. Dies verlangt, zum Beispiel, massive staatliche Investitionen zur Entwicklung quelloffener, frei zugänglicher und massenkompatibler Verschlüsselungstechniken.

Verschlüsselung muss im 21. Jahrhundert nicht nur ein Grundrecht sein, sondern auch so einfach zu handhaben sein, wie es die Telefonwählscheiben früher waren. Das zu ermöglichen ist eine Staatsaufgabe und erfordert ein Umdenken im Europa der Vorratsdatenspeicherung, wo etwa in Großbritannien die Freiheitsrechte der Presse massiv attackiert werden. Das Projekt Gegenaufklärung kommt nicht von allein – es muss erkämpft werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Martin Kaul
Reporter
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • PH
    Peter Haller

    @BITBÄNDIGER

    Das mit dem "Ausspielen intellektueller und technischer Überlegenheit" is ja schön und gut.

    Das könnte ja evtl. klappen, wenn wir bloss nicht so Nasen wie unseren Innenfuzzy Friedrich, oder Kanzleramtsheini Pofalla hätten !! Da schaut's nämlich intellektuell nicht so besonders aus. Wie's um die Technik bei denen bestellt ist weiss ich nicht so genau.

  • Gut gebrüllt Löwe: "Verschlüsselung muss im 21. Jahrhundert nicht nur ein Grundrecht sein, sondern auch so einfach zu handhaben sein, wie es die Telefonwählscheiben früher waren. Das zu ermöglichen ist eine Staatsaufgabe und erfordert ein Umdenken im Europa der Vorratsdatenspeicherung".

    Es gibt mindestens 3 identifizierte NSA Spionage-Nester bei uns und eine riesige Anlage der NSA soll in Wiesbaden gebaut werden. Wird das abgebaut? Nein. So ist Deutschland nich tzu verteidigen, sondern eine bessere digitale Kolonie. Wir müssen ganz unten bei Null beginnen, bei unserer Unfreiheit.

  • SW
    Schön wärs

    Erst einmal muss Schottland seine Unabhängigkeit von England erhalten. Dann muss man die Engländer genau einmal fragen, ob sie Teil der EU bleiben wollen, vorausgesetzt, dass England den Rest der EU nicht mehr erpresst, die Interessen der EU vertritt und nicht die Wanze und Störoperator der VSA spielt. Einem Szenario, in dem England als zukünftiges assoziiertes Nicht-Mitglied der EU alle Vorteile ohne Pflichten genießt, muss die EU zuvor klar eine Absage erteilen.

     

    Neben der Vorratsdatenspeicherung gibt es weitere Projekte, die gestoppt werden müssen, wie beispielsweise die zentrale Datenbank für alle Patientenakten (wird bei uns über die eGK eingeführt), die Überwachung des gesamten Zahlungsverkehrs in der EU (SEPA per SWIFT), die Erfassung des gesamten Straßenverkehr ("Maut") usw.

     

    Leider gibt es von Seiten der Presse so gut wie nichts zu diesen Themen. Es wird geschwiegen bzw. bagatellisiert und gelogen. Stattdessen wird wochenlang über Merkels Telefon berichtet.

  • TO
    the orystti

    "massenkompatible Verschlüsselungstechniken" Welch lustigliches Oximoron.

    SINA-Boxen für alle? Träumt weiter. Wir sollten überlegen die USA wie andere Schurkenstaaten zu betrachten.

  • In Kürze wird die Rechenleistung sich verzehntausendfachen und dann können wir uns die aktuellen Verschlüsselungsmethoden an den Hut stecken.

     

    Strom, Wasser, Verkehr wie Telekommunikation gehört in Bürgerhände. Weder Staat, noch Unternehmen dürfen hier Kontrollfunktionen haben.

  • "Verschlüsselung muss im 21. Jahrhundert nicht nur ein Grundrecht sein, sondern auch so einfach zu handhaben sein, wie es die Telefonwählscheiben früher waren. Das zu ermöglichen ist eine Staatsaufgabe ..."

     

    Exakt darum geht es! Diese Vision vom Web 3.0 wurde auch in der ZEIT am gleichen Tag (welch Zufall!) angerissen:

     

    http://www.zeit.de/politik/2013-10/nsa-spionage-buendnis-merkel

     

    Dort stellte Theo Sommer die Idee eines sicherheits-gehärteten Web vor, welche zuerst hier skizziert wurde:

     

    http://wagnisdemokratie.wordpress.com/2013/09/08/web-3-0-die-ruckeroberung-der-freiheit/

     

    Diese Diskussion muss unbedingt weitergeführt werden mit dem Ziel, genau ein solches Entwicklungsprojekt endlich zu starten. Die Technologie-Bausteine sind vorhanden. Es mangelt alleine am politischen Willen. Da muss jetzt Druck aufgebaut werden, bevor der Skandal wieder einschläft.

  • Die haben es geschafft, das hoch-high-tech-hastenichgesehnwievielbit-abgesicherteundcodierte-Handy der BUNDESKANZLERIN abzuhören, und nun macht sich noch einer Gedanken über irgendwelche Verschlüsselungsmethoden, die funktionieren, und auch noch massentauglich sein sollen?

    Wir haben schon im Kindergarten gelernt dass "Stille Post" nicht klappt. Nun haben wir das extreme Gegenteil auch scheitern sehen, also, was zerbrechen wir uns den Kopf. Bringt ja doch nichts.

    Interessant ist nun jedoch: Was haben die Amis von "Uns Angie" denn so gehört? War sie eventuell sogar erpressbar und musste nach deren Pfeife tanzen? Ist sie mit diesem Wissen bzw Unwissen überhaupt noch eine "gültige" Kanzlerin, oder waren somit alle Wahlen ungültig? Und wenn die Geheimdienste schon so übelst vorgehen, was weiß man wirklich über zB Kennedy, Barschel und Princess Diana?

    • CC
      cinglej collect
      @8ack80n3:

      Äh, als Sattelitenstaat der USA muss "uns Angie" ohnehin nach deren Pfeife tanzen. Darum auch das herumgeeiere. Ist es nicht interessant, das jeder Bundeskanzler, bevor er in Deutschland regieren darf, erst in die USA reisen muss, um sich dort sein "Briefing" abzuholen? Kein deutscher Kanzler, der nicht das Schoßhündchen eines US-Präsis war. deswegen wird sie auch keine Maßnahmen ergreifen: es ist ihr schlichtweg verboten. Abgesehen davon: selbst wenn sie könnte ist die Merkel der weicheste Pudding in den man schlgen kann. Ausser herumglibbern passiert bei der Frau nichts. dafür wurde sie gewählt.

  • Da ich - anders als offenbar Sie, Martin Kaul - von IT ein bisschen was verstehe, weiß ich, dass eine "massenkompatible" Verschlüsselungstechnik, zumal gar noch so einfach handhabbar wie eine Wählscheibe, zwangsläufig auch "nachrichtendienst-kompatibel" ist. Also für die Katz'.

     

    Ich stimme einem Herrn Joffe höchst ungern zu, aber er hat recht: Da wir den Amis militärisch nicht gewachsen sind, hilft nur das Ausspielen intellektueller und technischer Überlegenheit. Da müssen wir uns einfach ein bisschen anstrengen.

  • SL
    slow living

    Oder nur noch Smalltalk via elektronischer Kommunikationsmittel - und alles andere im persönlichen Gespräch bzw. via Kurier. Slow living ;)