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Christopher-Wool-Ausstellung in ParisWas die Bilder nicht sind

Das Pariser Musée de l'art moderne zeigt eine Retrospektive von Christopher Wool. Statt um versteckte Botschaften geht es dem Künstler um die schiere Materialität.

Wool-Bildausschnitt. Sans titre. Bild: promo

Dem Rummel und dem Riesenspektakel „Triennale 2012“ im benachbarten Palais de Tokyo entzieht sich die Ausstellung im Pariser Musée de l’art moderne. Dort ist auf 22.000 Quadratmetern ein wahres Labyrinth zu begehen und zu bewältigen, hier trifft der Besucher in zwei hellen Räumen auf ganze 31 Arbeiten des 1955 geborenen, in New York lebenden und arbeitenden Künstlers Christopher Wool.

Die großformatigen Arbeiten stammen alle aus den letzten zehn Jahren und haben keinen Titel. Und das gehört durchaus zu Wools Programm: „Ohne Titel“ ist der konsequente Werktitel für einen Maler, der nichts zu zeigen versucht und nichts malen möchte, sondern auf Prozesse hinweisen und deren Revision gleich mitliefert.

Wool versteht seine Malerei als Reflexion über das Malen. Diese Reflexion ist eine abstrahierende oder genauer: subtrahierende Tätigkeit in rigoros minimalisierender Absicht. Wool lässt weg – die Farben reduziert er meistens auf eine einzige oder eine in vielen, kaum wahrnehmbaren Abstufungen. Am liebsten ist ihm ein Schwarz, das sich im Laufe der Malarbeit in Grautönen verliert. Die in Schwarz und Grau gehaltenen Kompositionen bilden den Schwerpunkt der Ausstellung.

Dieses Programm beruht auf Wools Einsicht, dass „es leichter ist, die Sachen zu beschreiben durch das, was sie nicht sind, als durch das, was sie sind“. Das Malen als Reflexion über das Malen verdankt sich Wools intensiver Beschäftigung mit den Wegen, Abwegen und Sackgassen der abstrakten, nicht figurativen Malerei in der amerikanischen und europäischen Kunstentwicklung.

Wools großflächige Bilder vibrieren trotz karger Farbgebung geradezu und sind zumindest darin dem abstrakten Expressionismus in der Tradition von De Kooning, Rauschenberg, Kline und Pollock verpflichtet. Wie bei diesen macht die schiere Materialität das Bild aus und nicht irgendwelche „Botschaften“ oder „Inhalte“, obwohl verschlungene rote Linien auf manchen Bildern aussehen wie rustikal gemalte Blutkreisläufe.

Repetitiver Gestus

Ein anderes Bild, ausnahmsweise betitelt mit „He said/she said“, kombiniert zwei verschiedenfarbige, unentwirrbar ineinander verschlungene Linienbündel, die durchaus an ein wüstes Wortgefecht unter Paaren erinnern. Da die Linien obendrein weder einen Anfang noch ein Ende haben, assoziiert der Betrachter fast automatisch einen lauten Streit, der in einen endlosen Leerlauf mündet, weil die Streitenden den Anlass des Streits längst vergessen haben. Der Streit rotiert in seiner Eigendynamik wie der Hamster im Rad.

Das Nichts kann man nicht sehen, das gemalte Nichts auf Wools Leinwänden und Papier besteht dagegen aus einfarbigen Klecksen, Flecken, Tropfen, Spuren und Linien unterschiedlicher Stärke. Dieses gemalte Nichts wird mit verschieden Techniken aufgetragen. Wools verwendet Fotos, die er mit Tinte, Acryl- oder anderen Farben bemalt, verwischt und übermalt. Er gebraucht auch Schablonen und Stempel und Spritzpistolen, Spraydosen oder Computerprogramme, mit denen er die Fotos nachbehandelt und erneut „übermalt“. Aber auch Handschuhe, Schutzbrillen, Schutzkleidung und Gesichtsmasken gehören zum unentbehrlichen Werkzeug des „Malers“ Wool.

Von vielen Objekten produziert der Künstler zahlenmäßig beschränkte Serien, die er kaum wahrnehmbar variiert. Die Bilder tragen ihren improvisatorischen, repetitiven und zufälligen Gestus wie Standarten vor sich her: auch der ostentativ dekonstruktive Gestus des Künstlers lebt also von einem konstruktiven Impuls, der sich ästhetisch fassen lässt im hohen Wiedererkennungswert der Bilder.

Der technisch aufwendige und komplexe Prozess ihrer Entstehung ist den fertigen Bildern freilich nicht mehr anzusehen. Mehr als ein „Ja, aber“ ist Wool zu seiner Kunst nicht zu entlocken: „Es geht in der Kunst nicht um eindeutige Kategorien. Für jedes scheinbar klare Ja gibt es eine Frage, ein Aber.“ Die Bilder sind einfach da und sperren sich in ihrer Hermetik gegen eine Entzifferung oder Interpretation, die darüber hinausgeht, dass „man sieht, was man sieht“.

Man hat Wools Bilder mit dem Free Jazz verglichen, der ebenfalls von Aleatorik und Improvisation lebt und mit musikalischen Themen, Rhythmen und Tönen frei spielt wie Wool mit seinen Farben, seinen Instrumenten, Techniken und Materialien. Er ist ein weltweit anerkannter Maler, aber auf den unvoreingenommenen Betrachter wirken seine Bilder ambivalent. Er schwankt zwischen dem Respekt vor dem ausdrucksstarken Minimalismus und dem Verdacht aufgespreizter Banalität.

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