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Ein bunter Melodienstrauß der Depression

KONZERTLESUNG Die Reihe „Texte & Töne“ im Literarischen Colloquium Berlin will Literatur und Musik zusammenbringen

Es ist heiß. Unter Sonnenschirmen stehen schwitzende Verleger und präsentieren ihre Bücher auf Biertischen. 22 kleine Verlage am Wannsee, zum neunten Mal bereits. Es ist ein Familienfest, neue Mitglieder kommen dazu, alte verschwinden. Bisher war es jedes Jahr so, dass man am Abend, wenn dieser längst noch nicht spät genug war, hinausgekehrt wurde und schließlich in Grüppchen hilflos am Bahnhof Wannsee stand. Dagegen hat das LCB nun die Veranstaltung „Texte & Töne“ aufs Programm gesetzt. Mit jahrelanger Verspätung, muss man sagen, ist dem LCB die alte Idee gekommen, Literatur und Musik zusammenzubringen.

Vor einem Monat hatte das LCB 20 MusikerInnen und AutorInnen zu einer zweitägigen Konferenz eingeladen. Ausgetauscht hat man sich, über Kunst, Geld und Vermarktung, und so richtig zusammengewachsen ist man wohl nicht, ist zu hören. Das zeigt auch dieser Konzertabend. Alles bleibt schön, und ohne jede Überraschung.

Die Bühne ist geschmückt mit pinkfarbenem Stoff, das beißt sich hübsch mit dem Sonnenuntergang. Die Gäste kleben auf den weißen Plastikstühlen, Blick auf den See, Blick auf Dota, die den Abend beginnt. Allein mit der Gitarre steht sie da und singt erst mal Portugiesisch, weil sie es mag, und dann ist alles ein bisschen Süden. Dota macht Gesellschaftskritik zum Mitschnippen und Kopfnicken und ist dabei umwerfend charmant.

Danach betritt der einzige Schriftsteller des Abends die Bühne. Nein, er wird nicht singen, Tilman Rammstedt ist der Text von „Texte & Töne“. Er liest über seine Heimat Ost-Westfalen. Protestanten, Schwarzbrot, Dauerregen und die Einsamkeit. „Wir kannten ja niemanden außer uns.“ Das Publikum wischt sich Lachtränen aus den Augen.

Menschen, die glücklich aussehen

Die Texte von Tilman Rammstedt sind eigentlich eine Aufforderung zur Vertonung. Er selbst hat es mit seiner Band „Fön“ vor Jahren bereits gemacht. Und das ist nicht nur schade, sondern unverständlich, dass es bei „Texte & Töne“ zu dieser Art Austausch nicht kam. Wie gut könnte es sein, würde Rösinger Rammstedt singen. Doch alle bleiben bei ihrem Repertoire. Als schließlich Cora Frost in Diva-Pose auftritt, fühlt man sich endgültig wie bei den Bregenzer Festspielen. Fehlt bloß der Pomp, fehlt bloß das Geld. Oder, wie Cora Frost es nennt: die dicke Marie. Ein Lied über die Sehnsucht nach Geld.

Oh, dicke Marie, ich krieg dich nie. Über den See ruft sie: Marie! Komm her! Stattdessen kommt nur die Wasserschutzpolizei.

Der Rasen zum See hinunter ist voller Menschen, die liegen und sitzen und glücklich aussehen.

Christiane Rösinger hat, sagt sie, einen bunten Melodienstrauß der Depression mitgebracht. Dieser Strauß ist verlässlich gut, besonders wenn man droht in der Idylle unterzugehen. Wahrscheinlich ist sie wirklich die einzige Liedermacherin, deren Verstimmungen die Laune heben.

Frank Spilker spielt ein paar gute alte Songs und einen, den er schrieb, als er 17 war. „Ich und der Mond, wir sind schon wieder voll. Ich und der Mond, wir sind beide gleich. Ab und zu Besuch, aber keiner bleibt.“ Das sind Zeilen, die vertraut sind. Die Jugend ist, so verschieden sie war, bei uns allen gleich.

Über dem Wannsee ist es dunkel. Insekten schwirren um die Köpfe.

Später sitzen die Autoren oben auf der Terrasse und machen das, was sie können: trinken, reden, Witze reißen.

Wo sind denn all die Musiker hin?, fragt jemand. Achselzucken. Wahrscheinlich schon nach Hause. Noch mehr Weinflaschen werden gebracht, ein paar Steaks dazu. Und plötzlich tauchen die Gitarren wieder auf, jetzt gehen sie wirklich nach Hause, sagen sie. Sie haben unten noch Musik gemacht. LUCY FRICKE

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