Karikaturen und Pressefreiheit: „Freiheit birgt auch Verantwortung“
Müssen Medien aus Angst vor Islamisten Selbstzensur üben? Nein, sagt Jana Sinram, doch auch eine „Jetzt erst recht“-Haltung sei falsch.
taz: Frau Sinram, nur fünf Wochen nach den islamistischen Attentaten von Paris erschoss ein Mann in Kopenhagen binnen zehn Stunden einen Filmemacher während einer Diskussion über Meinungsfreiheit und einen jüdischen Wachmann vor einer Synagoge. Wie sollten Journalisten nun reagieren, um die freie Meinungsäußerung zu verteidigen?
Jana Sinram: Die Anschläge sind das Werk von Extremisten und durch nichts zu entschuldigen. Wir dürfen jetzt aber nicht einen pauschalen Kultur- oder Religionskrieg in Europa ausrufen, wie die dänische Zeitung Jyllands-Posten es am Montag in einem Leitartikel zu den Attentaten formulierte. Stattdessen müssen wir in Ruhe überlegen, wie Kritik am Islam auf Dauer aussehen kann, ohne pauschal verletzend zu sein. Denn dass solche Kritik möglich sein muss, ist natürlich klar.
Die Anschläge galten dem schwedischen Künstler Lars Vilks, der 2007 eine Karikatur veröffentlicht hatte, die den islamischen Propheten Mohammed als Hund darstellt. Seitdem lebt er unter Polizeischutz. Muss jeder, der solch eine Karikatur veröffentlicht hat, um sein Leben fürchten?
Das scheint gerade so zu sein, ja. Im Fokus stehen vor allem diejenigen, die in der Öffentlichkeit durch regelmäßige Meinungsäußerungen besonders sichtbar sind, wie Kurt Westergaard und Lars Vilks. Die meisten der zwölf Zeichner, von denen die 2005 veröffentlichten dänischen Mohammed-Karikaturen stammen, werden dagegen außerhalb Dänemarks so gut wie gar nicht wahrgenommen.
Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris haben Medien weltweit die umstrittenen Mohammed-Karikaturen der französischen und dänischen Kollegen nachgedruckt, auch die taz gehörte dazu. War das eine kluge Reaktion?
Nein, als solidarische Reaktion finde ich dies nicht gelungen, auch wenn das Bedürfnis nach Unterstützung für Charlie Hebdo nach dem furchtbaren Anschlag natürlich verständlich ist. Aber dafür gibt es sicher bessere Wege als den Abdruck der Karikaturen. Eine „Jetzt erst recht“-Haltung führt niemanden weiter, weil sie ohnehin starke Emotionen auf beiden Seiten weiter verstärkt. Wenn in Ländern wie Pakistan oder Afghanistan wieder Fahnen verbrannt werden, führt das auch in Europa zu neuen Ressentiments, obwohl die allermeisten Muslime hier nicht mit Gewalt reagiert haben. Natürlich ist mir bewusst, dass ich damit eine andere Meinung vertrete als viele andere Journalisten.
Die Tageszeitung New York Times hat die Karikaturen nicht nachgedruckt. „Diese Art von Humor ist eine unnötige Beleidigung“, sagte Chefredakteur Dean Baquet. Ist dies schon Selbstzensur?
Es ist vollkommen legitim, wenn Medien die Bilder nicht zeigen, weil sie selbst nicht hinter ihrem Inhalt stehen. Warum sollten sie diese dann drucken, nur um Solidarität zu demonstrieren?
32, arbeitet als Nachrichtenredakteurin beim Deutschlandfunk in Köln. Ihre Dissertation „Pressefreiheit oder Fremdenfeindlichkeit? Der Streit um die Mohammed-Karikaturen und die dänische Einwanderungspolitik“ ist gerade im Campus Verlag erschienen (380 Seiten, 45 Euro).
Wie weit darf Pressefreiheit Ihrer Meinung nach gehen?
Die Pressefreiheit muss unbegrenzt sein, aber diese Freiheit birgt auch eine gewisse Verantwortung. Man muss nicht immer alles umsetzen, was man tun darf. Wir Journalisten sollten uns vor einer Publikation immer auch Gedanken darüber machen, welche Folgen eine Veröffentlichung haben kann.
In Ihrer Dissertation mit dem Titel „Pressefreiheit oder Fremdenfeindlichkeit? Der Streit um die Mohammed-Karikaturen und die dänische Einwanderungspolitik“ beschäftigen Sie sich mit dem Abdruck von zwölf Zeichnungen des muslimischen Propheten in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten im Jahr 2005. Sind die Kollegen fahrlässig mit der Pressefreiheit umgegangen?
Zumindest zweifle ich sehr stark an, dass es Jyllands-Posten – wie immer wieder behauptet – mit den Karikaturen nur um die Verteidigung der Pressefreiheit ging. In dem Sommer vor der Veröffentlichung gab es eine hitzige politische und mediale Einwanderungsdebatte in Dänemark, in der vor allem Muslime sehr heftig verbal angegriffen wurden. Jyllands-Posten galt ja schon immer als sehr einwanderungskritisch, was die Zeitung natürlich auch sein darf – damals hat sie aber ganz gezielt den Skandal gesucht.
Der Chefredakteur Carsten Juste begründete im Nachhinein seine Entscheidung für den Abdruck der Bilder damit, dass er diese harmlos fand. „Wenn nun eine sehr grobe Zeichnung dabei gewesen wäre – wenn einer der Zeichner zum Beispiel Mohammed auf den Koran hätte pinkeln lassen oder so etwas in der Art – dann wäre sie natürlich zurückgehalten worden.“
Das Problem waren ja zunächst gar nicht so sehr die Karikaturen, die auch nicht alle schlecht waren. Das Problem war der Gesamtkontext, in welchem die Zeichnungen erschienen sind. Hätten die Blattmacher eine einzelne Mohammed-Karikatur abgedruckt, dann wäre vielleicht überhaupt nichts geschehen. Aber durch diese geballte Aktion auf einer ganzen Seite mit den dazugestellten verletzenden Texten – Kulturredakteur Flemming Rose schrieb etwa, Muslime müssten damit leben, dass man sie in Dänemark „Hohn, Spott und Lächerlichmachung“ aussetze – haben sich viele Einwanderer in Dänemark ausgegrenzt gefühlt.
Bei dem am Sonntag getöteten, mutmaßlichen Attentäter von Kopenhagen handelt es sich um einen 22-jährigen gebürtigen Dänen. Auch wenn bisher nur über die Motive spekuliert werden kann, stellt sich doch die Frage, warum ein einheimischer Muslim sich derart provoziert fühlt, dass er mordet?
Was genau den 22-Jährigen zu der Tat bewogen hat, kann ich natürlich nicht beantworten. Ich habe aber zum Beispiel in meiner Arbeit einen muslimischen Jugendlichen zitiert, der in Dänemark aufgewachsen ist und sich nach eigener Aussage „genauso dänisch“ fühlte wie seine Mitschüler. Durch immer neue Verschärfungen des Einwanderungsrechts in der Zeit der rechtsliberalen Regierung von Anders Fogh Rasmussen und wegen des Tons der damaligen Debatte über die Muslime hatte er aber das Gefühl, die Dänen wollten nicht, dass er dazugehörte. Diesen Eindruck haben auch andere geäußert. Deswegen halte ich es für so wichtig, mit muslimischen Einwanderern zu reden, anstatt immer nur über sie, wie damals geschehen.
Sie beschreiben die Einwanderungspolitik in Dänemark als rechtslastig und weitgehend islamfeindlich. Lässt sich schon absehen, wie dieser Anschlag sich nun auf die innenpolitische Migrationsdebatte auswirken wird?
Nein. Der Karikaturenstreit im Jahr 2006 hat der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei damals viel Zulauf beschert, und auch bei der letzten Europawahl hat sie sehr viele Stimmen bekommen. Andererseits hat der Konflikt damals auch zu einem verstärkten Dialog zwischen Dänen und muslimischen Einwanderern geführt, und viele Dänen reagieren sehr besonnen auf die Anschläge. Aber wie sie sich auf die Parlamentswahl in diesem Jahr und auf den Wahlkampf auswirken, bleibt abzuwarten.
Sie kritisieren, dass mit solchen Karikaturen das Bild von „wir“ und „die anderen“ konstruiert werde. Also sollten die Medien ganz auf den Abdruck von Mohammed-Darstellungen verzichten?
Nein, grundsätzlich bin ich überhaupt nicht dagegen, solche Karikaturen zu zeigen. Aber mittlerweile sorgt ja schon alleine das Wort für ein schauriges Gefühl. Die dänischen Zeichnungen waren eine Provokation um der Provokation willen, und inzwischen sind Mohammed-Karikaturen ein vorhersehbares Mittel, um Extremisten in die Händen zu spielen. Das führt zu einer nicht endenden Spirale von Empörung.
Auch Sie verzichten in Ihrer Dissertation darauf, die Karikaturen nachzudrucken. Warum?
Ich habe lange darüber nachgedacht und mich letztlich dagegen entschieden. Jeder, der diese sehen will, kann sie problemlos im Netz finden. Die Karikaturen haben für so viel Hass auf beiden Seiten gesorgt, dass es schwierig ist, sie in einem wissenschaftlichen Buch neutral abzubilden.
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