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Der Selbstbedienungsladen

Kika-Betrug Sieben Millionen Euro sind weg. MDR-Intendant Udo Reiter will aufklären

Der Kinderkanal scheint der Vision einer „One Stop Agency“ recht nahe gekommen zu sein

VON STEFFEN GRIMBERG

Seit Montag heißt der brutalstmögliche Aufklärer der Republik Udo Reiter. Der MDR-Intendant ist in der ARD auch für den Kinderkanal in Erfurt zuständig, bei dem nach aktuellem Kenntnisstand seit 1997 mindestens sieben Millionen Euro abgezweigt worden sind. Es ist der größte Betrugsfall in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. „Ich habe die rückhaltlose Aufklärung der Vorfälle beim Kika angeordnet. Es gibt keinen anderen Weg, als die Ursachen und Verantwortlichkeiten umfassend aufzudecken und dann die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen“, erklärte Reiter. Zuvor hatten der Verwaltungsrat und der Rundfunkrat des MDR getagt – natürlich in nicht-öffentlicher Sitzung.

Mit den „Verantwortlichkeiten“ dürfte sich Reiter auch gleich selbst meinen: Denn der von der ARD und ZDF gemeinsam betriebene Kinderkanal scheint der Vision einer „One Stop Agency“, bei der alle Entscheidungen in einer Hand liegen, schon recht nahe gekommen zu sein. So soll der als Hauptverantwortlicher des Betrugs ausgemachte Kika-Herstellungsleiter Marco K. Angebote von Produktionsfirmen eingeholt, Aufträge vergeben und die gelieferten Programme auch abgenommen und abgezeichnet haben. Dies widerspricht dem bei den Sendern sonst üblichen 4-Augen-Prinzip bei der Auftragsvergabe – und verstößt gegen die auch beim Kika geltenden MDR-Dienstvorschriften.

K. hatte als Herstellungsleiter des Senders laut Staatsanwaltschaft allein seit 2005 etwa vier Millionen Euro aus dem Budget des Kinderkanals mit fingierten Rechnungen an die Berliner TV-Produktionsfirma Kopp-Film abgezweigt. Die übrigen Summen aus früheren Jahren sind verjährt und daher nicht mehr Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.

Aufgrund einer Sondergenehmigung von 2003, so berichten MDR-Rundfunkräte aus der montäglichen Sitzung, habe der Abteilungsleiter K. als Nummer 2 beim Kika außerdem Zahlungsanweisungen bis 500.000 Euro abzeichnen dürfen. Üblicherweise müssen derartige Summen beim MDR vom Fernsehdirektor genehmigt werden, worauf 2008 auch das interne Rechnungswesen beim MDR hingewiesen habe. Über dem Herstellungsleiter steht beim personell äußerst schlanken Kika nur noch Programmgeschäftsführer Steffen Kottkamp, die Ausnahmegenehmigung für K. stammt allerdings aus der Zeit von Kottkamps Vorgänger Frank Beckmann, heute Programmdirektor des NDR.

Dass sich MDR-Chef Udo Reiter nun als Opfer der Machenschaften von K. und weiterer Mitarbeiter aus K.s Abteilung sieht, sorgt bei manchen Gremienmitgliedern für Widerspruch. „Das Bild ist falsch“, sagt Carsten Meyer, der für die Grünen im MDR-Rundfunkrat sitzt: „Reiter ist kein Betrogener, sondern ein getäuschter Dienstvorgesetzter.“ Daher sei zu fragen, „wie eine solche Täuschung über Jahre hinweg möglich sein konnte“.

Dass Kontrollmechanismen im Sender und die Organisation der inneren Abläufe eher mal unzureichend sind, zeige sich schon darin, dass es für den Kika – Jahresetat rund 34 Millionen Euro – bislang nicht mal eigene Controller gab, sagen Gremienmitglieder. „Der Kika ist ein Erfolgsmodell – aber nur als Programm. Als Organisation ist er eine Katastrophe“, heißt es in Erfurt. „Die Verfahrensweise war sehr locker“, sagt ein Rundfunkrat. Man habe sich immer auf die besondere Rolle des Kika herausgeredet und erklärt, dass mehr Bürokratie bei dem kleinen Sender ja zu Lasten des Programms gehen würden. Heute weiß man: Pro Jahr wären fürs Programm sogar 800.000 Euro mehr drin gewesen, die in ganz andere Kassen flossen.

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