Italiens Wahlsieger: Aliens in römischen Ruinen
Wer sind die Wähler der 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo? Viele sind jung, arbeitslos und sehr wütend auf den Feudalismus der Politikerkaste.
ROM taz | Sie sind die Landesmeister geworden: Die „5-Sterne-Bewegung“ (Movimento5Stelle – M5S) darf sich darüber freuen, mit 25,5 Prozent noch vor der gemäßigt linken Partito Democratico stärkste Partei Italiens geworden zu sein. Doch am Ende feierten die paar Dutzend Aktivisten, die in Rom am Wahlabend das Pressecenter der Bewegung betreut hatten, schlicht und fröhlich in einer Pizzeria um die Ecke statt mit Autocorsos oder Massenkundgebungen.
Politik zum Anfassen, Politik zum Selbermachen, „uno vale uno“ – „jeder zählt gleich viel“ – heißt das Motto der Bewegung, und vor allem: Politik zum Nulltarif. Mit diesem Stil haben sich die Grillini erfolgreich als die Aliens unter den Parteien in Szene gesetzt.
Im Selbstverständnis ist M5S eine „Nichtpartei“, eine riesige Webcommunity und zugleich Wutbürgerinitiative. Die Medien Italiens starrten voller fasziniertem Abscheu auf den fast immer lauten Frontmann Grillo, dabei entging ihnen das ameisenfleißige Wirken der Grillini vor Ort, ihr zäher Kampf gegen Müllverbrennungsanlagen oder die Naturverschandelung durch Bebauungspläne.
Vor allem aber lebten die Grillini bisher vor, was sie predigen. Seit Oktober 2012, als M5S bei den sizilianischen Regionalwahlen 15 Prozent holte, zeigen die 15 Grillini-Abgeordneten im Regionalparlament, was sie mit Politik zum Nulltarif meinen: Sie verweigerten die Annahme der ihnen zustehenden millionenschweren Wahlkampfkostenerstattung, und sie kürzten sich selbst die Abgeordnetendiät auf 2.500 Euro netto pro Monat.
Beispiel Sizilien
Mit dem großen Rest – Siziliens Regionalabgeordnete erhalten mehr als 10.000 Euro monatlich – richteten sie einen Fonds ein, der Kleinkredite an notleidende Unternehmen vergibt. Die Wähler belohnten die Grillini fürstlich: In Sizilien erreichten sie jetzt knapp 30 Prozent.
Denn solche Botschaften kommen an in einem Land, in dem die Wut auf die „Kaste“ der Politiker die Bürger von rechts bis links eint: die Wut auf eine politische Klasse, die sich auch in Zeiten der Krise Privilegien fast schon feudaler Natur gönnt.
Dann ist da noch die Wut der jungen, sich verloren fühlenden Generation. Bei den unter 30-Jährigen und denen, die für sich in Italien keine Perspektive und die in M5S zugleich die einzige Kraft sehen, die sie ernst nimmt, ist sie die weitaus stärkste Partei. Unter 40, jede Menge Frauen, viele hervorragend ausgebildet: Die Grillini sind auch der Spiegel jener Hälfte des Landes, das sich durch die angejahrte Männerriege in Rom bisher nicht vertreten sah.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Hamburg und die Kühne-Oper
Als das Wünschen noch geholfen hat