piwik no script img

Drehbuchautor Bora DagtekinScheiße, ist der nett!

Der Erfinder von "Türkisch für Anfänger" schreibt Drehbücher mit Anspruch, die trotzdem jeder versteht. Mittwoch startet die neue Staffel "Doctor's Diary" (20.15, RTL).

"In kreativen Fragen bin ich ein Kontrollfreak." – Dagetkin bei der Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises 2009 für "Doctor's Diary". Bild: dpa

Mann, ist der nett! Außer der Queen vielleicht ist kaum ein Mensch vorstellbar, mit dem Bora Dagtekin nicht gleich per Du wäre. Aber die Queen ist ja auch Engländerin und qua Stand von eher reservierter Natur und darin das genaue Gegenteil von Bora Dagtekin, dem amerikanischsten unter den deutschen Drehbuchautoren, der dem Journalisten im Café offen lächelnd gegenübertritt und, kaum haben wir uns hingesetzt, die Hoffnung äußert, dass man über seine Witze lachen könne.

Schluck.

Er habe doch nicht etwa … – "Klar hab ich deine Kolumne gelesen. Ich bereite mich immer auf die Journalisten vor, die ich treffe." Sagts und grinst sein Collegeboy-Grinsen, wie ein Quarterback nach einem Touchdown.

Für alle, die sich nicht auf die Lektüre dieses Textes vorbereitet haben: In besagter Kolumne ging es um die Dominanz des lauwarmen Schmunzelfernsehens hierzulande, das dem Zuschauer statt Irritationen und Abgründen nur Langeweile zumutet. Und das, ja, das hat Bora Dagtekin, Autor der Erfolgsserien "Türkisch für Anfänger" und "Doctor's Diary", wohl tatsächlich gelesen. Es gibt wenig, was Journalisten so verunsichern kann wie die Erkenntnis, dass auch Nichtjournalisten googeln können.

Man könnte also auch sagen: Scheiße, ist der nett! So nett, dass es einem schon wieder ein bisschen suspekt ist. Dagtekins Freundlichkeit bringt sein Journalistengegenüber unweigerlich in Habachtstellung, nährt die Skepsis, er führe Dunkles im Schilde, bezwecke damit mehr als nur ein für beide Seiten angenehmes Gespräch. Aber nicht mit mir, Bora, nicht mit mir! Ganz schön paranoid diese Gedanken, lächerlich deutsch, ich weiß. Die Begegnung mit Bora Dagtekin erinnert an den Erstkontakt mit US-Servicekräften, die den aus Deutschland Gelandeten auch erst mal aus dem Konzept bringen mit ihrem von einem Lächeln begleiteten "How are you?": Das interessiert dich doch jetzt nicht wirklich, oder?!

Unverkrampfter, lässiger, antielitärer Tonfall

Bora Dagtekin, Sohn eines türkischen Arztes und einer deutschen Lehrerin aus Hannover, versteht es, Freundlichkeit als soziales Schmiermittel einzusetzen, nicht übermäßig berechnend, sondern als Teil seines Naturells. Und diese Zugewandtheit hat ihn, gepaart mit reichlich Talent natürlich, weit gebracht: Zwei Deutsche Fernsehpreise und zwei Grimme-Preise hat er für seine beiden Serien gewonnen, die einen neuen Ton in die deutsche Fernsehunterhaltung gebracht haben, einen unverkrampften, lässigen, antielitären, eben irgendwie amerikanischen und trotzdem eigenen.

"Mein Ziel ist immer, dass jeder meine Bücher versteht", sagt Dagtekin. "Ich möchte gern für Leichtigkeit trotz Anspruch stehen." Wobei Anspruch für ihn weniger mit Fremdwörtern zu tun hat als mit seiner eigenen Arbeitshaltung: "In kreativen Fragen bin ich ein Kontrollfreak." Deswegen hasst er es auch, wenn Schauspieler improvisieren: "Jeder Gag muss sitzen. Und in 95 Prozent der Fälle ist das, was sie draus machen, nicht witzig."

Bora Dagtekin ist ein Fan der Serien von J. J. Abrams, "Lost" und "Alias" – als Vorbild würde er den perfektionistischen US-Kollegen trotzdem nicht bezeichnen. Und in Deutschland? Da fällt ihm erst recht keiner ein: "Es gibt ehrlich gesagt sehr wenig hier, was ich richtig gut geschrieben finde."

Es ist leicht, Dagtekin für ein arrogantes Großmaul zu halten, damit würde man ihm aber nicht gerecht. Schließlich hat er geschafft, was nur den wenigsten Drehbuchautoren gelingt, kein austauschbarer Schreibsklave zu sein, eine Marke zu werden. Die Bücher zur dritten Staffel von "Doctor's Diary", mit der RTL heute Abend die ewige Balz zwischen der leicht übergewichtigen Assistenzärztin Gretchen Haase (Diana Amft) und ihrem schwer selbstverliebten Kollegen Marc Meier (Florian David Fitz) fortsetzt, hat Bora komplett allein geschrieben, "weil keine Autoren verfügbar waren, die so gut sind, dass es am Ende eine Hilfe ist. Der Ton wird so speziell gewünscht vom Sender, dass man es sofort merkt, wenn ich es nicht selber schreibe."

Mit erst 32 hat Bora Dagtekin sich längst unentbehrlich gemacht – und sein Einfluss auf "Doctor's Diary" geht dabei weit über das Liefern der Geschichten hinaus. So war er etwa wie auch schon bei "Türkisch für Anfänger" am Casting beteiligt – "die Achse Autor-Cast ist relativ wichtig, aber vernachlässigt in Deutschland, schließlich lege ich den Schauspielern meine Worte in den Mund" - und redet auch beim Schnitt mit.

Schrittweise Kompetenzerweiterung

"Mittlerweile ist es für mich selbstverständlich, dass ich, wenn ich etwas aufschreibe, auch wissen will, wie es am Ende aussieht", sagt er. Räumt aber auch ein, dass "der Weg zu dieser Selbstverständlichkeit insgesamt sechs Staffeln gedauert" hat. Ob seine schrittweise Kompetenzerweiterung wirklich so reibungslos verlaufen ist, wie er es darstellt – allenfalls an "ein, zwei Diskussionen" wegen der unüblichen Präsenz des Autors im Schnitt erinnert er sich –, wissen nur die Beteiligten.

"Wer eine Stimme hat und die benutzt, wird auch gehört", sagt Dagtekin, der für Indiskretionen nicht zu haben ist, dafür ist er viel zu geschäftstüchtig. Die Redaktion von RTL lobt er über den grünen Klee – ohne dass man danach gefragt hätte: "Ich hab noch nicht den Albtraum erlebt, von dem alle immer sprechen. Ich find RTL sogar ziemlich cool." Privat guckt er allerdings eher ProSieben, wegen des männlicheren Profils: "Eigentlich schade, dass ich noch keine Serie für die gemacht hab." Sein Zielpublikum bei RTL sei eindeutig weiblich, um die 40, "aber ich achte schon drauf, dass man ,Doctor's Diary' auch als Mann gucken kann, ohne zu kotzen."

Auch zu Kommentaren, geschweige denn Lästereien über Kollegen und deren Arbeit ist Bora Dagtekin nicht zu bewegen. Auf die Frage, warum die zweite Serie des für "Berlin, Berlin" so hoch gelobten David Safier, "Zwei Engel für Amor", so gefloppt ist, antwortet er nur widerwillig: "Jeder Autor ist auch mal an mittlerem Erfolg beteiligt. Bei mir ist einfach alles sehr glücklich verlaufen. Rein statistisch gesehen hätte nach ,Türkisch für Anfänger' auch erst mal ein Riesenflop kommen müssen. Welchen Stoff ich als nächstes pilotiere, werde ich mir deswegen sicher ganz genau überlegen."

Dagtekin spielt die Auswirkungen des Erfolgs auf seine Arbeit herunter – im Grunde habe sich überhaupt nichts geändert, allenfalls kriege man vielleicht mal schneller einen Termin bei wichtigen Leuten, Leuten wie Martin Moszkowicz, dem Vorstand von Film & Fernsehen der Constantin Film, mit der er 2009 einen First-Look-Deal geschlossen hat. Damit hat die Constantin sich das Erstzugriffsrecht auf Dagtekins nächste Projekte gesichert. "Bora Dagtekin ist ein Star unter den TV-Autoren in Deutschland und eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Kreativszene", hieß es in der Pressemitteilung.

Aktuell entwickele man gemeinsam eine US-Kinokomödie. Das laufe aber als "Luxusprojekt nebenher", sagt Dagtekin, "der Schwerpunkt meiner Arbeit wird auch 2011 in Deutschland liegen." Deswegen interessiere er sich derzeit vor allem für den "Türkisch für Anfänger"-Kinofilm, der in diesem Jahr gedreht werden soll - und die Quote der dritten Staffel von "Doctor's Diary".

"Als Autor werde ich letztlich dafür bezahlt, Erwartungen zu erfüllen", sagt Dagtekin, dem eine gute Quote "tendenziell wichtiger" ist als die Anerkennung der Feuilletons: "Wenn man es dann noch schafft, dass die Kritiker es nicht für kompletten Schrott halten, ist das ein Pluspunkt obendrauf. Aber in erster Linie ist eine Serie nun mal eine millionenschwere Auftragsarbeit, die sich für den Sender, der sie finanziert, auch wieder auszahlen muss." Dass Dagetkin in sich eine eigene Handschrift mit einem klaren Bekenntnis zur Dienstleistung und zum Massengeschmack vereint, macht ihn wohl tatsächlich zu der Ausnahmeerscheinung, von der Moszkowicz spricht. Bora Dagtekin, der frank und frei zugibt, für jede Folge fünf bis zehn Drehbuchfassungen zu schreiben, hat letztlich doch eine realistischere Einschätzung von sich selbst als so manche Kollegen, die sich für Künstler halten, nur weil sie wissen, wie man einen Plot strickt

Handwerkschule "Gute Zeiten, schlechte Zeiten"

Das Handwerk hat Bora Dagtekin vor der Ausbildung an der Filmakademie Baden-Württemberg im Storylinerteam von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" gelernt und in der Zusammenarbeit mit gestandenen Kollegen weiterentwickelt. Für ihn ist das immer noch "die beste deutsche Serie", auch wenn man ihn, der für seine leichtfüßigen, lebensnahen Dialoge so geschätzt wird, dort ausgerechnet diese nicht schreiben ließ. Die enge Verbindung zu seiner aktuellen Produzentin, die er dafür schätzt, dass sie "kreativ entscheidet nicht nur mit dem Portemonnaie", ist sogar im Vorspann von "Doctor's Diary" dokumentiert: "Eine Serie von Bora Dagtekin & Steffi Ackermann" steht da.

Beratungsresistent ist Dagtekin also sicher nicht, aber auch nicht übertrieben offen. Sonst könnte ja noch jemand auf die Idee kommen, dass jeder seinen Job machen kann. "Jeder, der bessere Ideen hat als ich, ist immer herzlich willkommen", sagt er. "In seltenen Fällen tritt das auch ein."

Reicht es nicht, das zu denken, muss er das so offen sagen?

Bora Dagtekin weiß, was er kann und will. Und scheut sich nicht, das auch auszusprechen. Eine Kombination, die im Land der Zweifler und Zauderer Abwehrreflexe auslöst. Hat man sich allerdings darüber hinweggesetzt, muss man feststellen: Gar nicht so übel der Typ. Wie die Amis ja auch. Verzagte Miesepeter gibt es ja schon genug.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • K
    Kitty

    oi, da klingt jemand beleidigt.

    obschon stimmt, die türken werden im mainstream definitiv bevorzugt. sowie till schweiger und platte witze über körperfunktionen. aber offenbar wollen es die leute nicht anders.

    viel spass beim zuschauen!

  • R
    rolfmueller

    Oder Kurden, mit denen habt Ihr anscheinend besonders Probleme.

  • M
    MARTHA

    deutschland ist ein multikulti land. das bedeutet es gibt übrigens noch andere "gruppen" ausser türken. die haben auch interessantes zu bieten. schreibt doch mal über italiener, rumänen, ungarn, thailänder.