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Kommentar GriechenlandpolitikEuropa dem Wahlkampf geopfert

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Deutschland riskiert die Verschärfung des Problems: Ohne einen zweiten radikalen Schuldenschnitt wird die Wut der europäischen Staaten aufeinander zunehmen.

S o viel Unehrlichkeit auf einmal gibt es selten in der Politik. Griechenland hat nach Ansicht der Troika alle Auflagen erfüllt, aber Deutschland mauert weiter. Der Hintergrund dieses erbärmlichen Schauspiels ist klar: Die Bundesregierung will unter allen Umständen verhindern, dass noch vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr echtes Geld in die Hand genommen werden muss, um Griechenland zu helfen. Um das zu erreichen, verrät sie ihre eigenen Prinzipien ebenso wie das Vertrauen in Europa.

Dass Griechenland trotz der gewaltigen Anstrengungen mehr Zeit braucht, um die Sparziele zu erreichen, ist unbestritten. Und dass das Hinausschieben Geld kostet, ist simple Mathematik. Dennoch bestehen Schäuble und Merkel darauf, dass der Bundeshaushalt nicht belastet werden darf. Selbst eine Zinssenkung für Griechenland hat Deutschland verhindert, weil sie die Einnahmen im Bundeshaushalt unmittelbar verringern würde.

Weil mehr Zeit für Griechenland ohne neues Geld nicht geht, setzt Schäuble auf einen Trick: Finanziert werden soll der Aufschub über neue Garantien für den Rettungsschirm EFSF. Bei denen ist in diesem Fall aber schon fest eingeplant, dass sie am Ende tatsächlich fällig werden. Alternativ sind spezielle Staatsanleihen im Gespräch, die indirekt von der Europäischen Zentralbank garantiert werden – was das Problem ebenfalls in die Zukunft verschieben würde (und zudem zeigt, dass die Regierung ihre Ablehnung einer Staatsfinanzierung mit der Notenpresse gern aufgibt, wenn es ihr nützt).

Bild: taz
Malte Kreuzfeldt

ist Parlamentskorrespondent der taz.

All diese Maßnahmen sind nicht falsch, vermutlich lässt sich damit tatsächlich Zeit gewinnen. Aber das Problem lösen kann man auf diese Weise nicht. Das gelingt nur mit einem zweiten Schuldenschnitt für Griechenland, an dem sich diesmal auch die staatlichen Gläubiger beteiligen müssen. Das sieht nicht nur der IWF so, das wissen auch Schäuble und Merkel. Aber weil sie sich nicht trauen, dies ihren Wählern zu erklären, spielen sie lieber auf Zeit.

Die Opposition kritisiert das zwar, ist aber – mit Rücksicht auf ihre Wähler – mit Vorschlägen für Radikallösungen wie einen Schuldenschnitt ebenfalls zögerlich. Damit riskiert die deutsche Politik, dass sich das Problem weiter verschärft und die Wut der europäischen Staaten aufeinander weiter zunimmt. Lange wird Europa solche nationalen Egoismen nicht mehr aushalten können.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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7 Kommentare

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  • A
    anke

    Leider ist der Umstand, dass "das Hinausschieben [des Erreichens der griechischen Sparziele] Geld kostet", KEINE "simple Mathematik" sondern eine ziemlich komplizierte. Die finanziellen Folgen sind so weitreichend und komplex für die Beteiligten, dass sie noch gar nicht umfassend erkannt werden. Auf gut Deutsch: Die wissen nicht, was sie da tun. Weder mit der Verhängung ihrer Sparziele, noch mit dem Aufschieben des Termins dafür. Außerdem: Selbst wenn es Kanzlerin Merkel gelingt, den Haushalt bis zur Wahl außen vor zu halten – nach der Wahl wird die Sache um so teurer. Das klingt zwar simpel, ist aber komplizierter, als es Politik und Wählern lieb sein kann. Weswegen beide sich seltsam einig zu sein scheinen: "Besser ist, wir gucken gar nicht erst hin!" Das selbe, übrigens, haben die gleichen Leute auch schon gedacht, als die Misere eingerührt wurde.

  • K
    Kaboom

    Tschuldigung, aber die gesamte Politik dieser "Regierung" basiert auf billigstem Populismus. Boulevardpolitik ist das Prinzip dieser Kanzlerin. Wenn sie 2010 sachbezogen agiert hätte, anstatt Wahlkampf für Rüttgers zu machen, hätte sie - anstatt über die faulen Südeuropäer zu schwadronieren - das Problem mit der ganz großen Fliegenklatsche (-> Rettungsschirm) erschlagen. Und wir hätten niemals eine Eurokrise bekommen, weil die Spekulanten sich anderswo Ziele gesucht hätten. Merkel KANN nichts anderes als Populismus, das ist das Wesen ihrer Politik. Denn im Unterschied zu Kohl, der Regierungchef sein wollte UND seine Ziele umsetzen, sind Merkel die Inhalte ihrer Politik vollkommen egal. Solange sie nur Bundeskanzlerin bleibt

  • T
    Tantris

    Hat sich jemand Gedanken darübergemacht,dass es zu diese Katastrophe erst kam,wei die griechischen Regierungen sich erst mal in den € geschummelt haben u.dann ,als das erste Rettungspaket geschnürt war,damit fortgefahren ist?

    Traue den Danaern nicht(Homer,Troja),deshalb müssen erst Überprüfungen kommen,bevor der € rollt.

  • GI
    Griechenland ist überall

    Die 70% Wähler von CDU/SPD wollen die Wahrheit auch gar nicht hören.

     

    Die Hälfte der Gesellschaft, die sowieso nicht mehr wählt, weiß Bescheid schon seit Jahren.

     

    Die Pfründebesitzer unserer Gesellschaft wollen ihr mieses Spiel auf Kosten des sozialen Miteinanders fortführen.

     

    Es geht nicht um Griechenland, es geht nicht um die Menschen, es geht um die Macht des Kapitals.

     

    Griechenland ist überall. Es wird nur noch kaschiert.

     

    Wir können nicht aus dem Unrecht dieser Welt austreten, wir können es abschaffen und das wählen, was für des Menschen Wohl sorgt.

     

    Das sind nicht die Politiker.

     

    Schafft sie ab mit ihren sinnleeren, machtbesessenen Kalkülen.

  • A
    aurorua

    Alle in Erwägung gezogene Maßnahmen sind falsch. Griechenland hat den Euroraum gefälligst und schnellstmöglich zu verlassen. Für die zu lösenden Probleme sollen sich die griechischen Politiker an ihre Reichen und Superreichen wenden. Sofern sich Griechenland z.B. mit der Drachme in den nächsten dreißig oder vierzig Jahren wirtschaftlich wieder erholen, haben sie ja die Option den Euro wieder zu erlangen. Aber dann bitte nicht in kriminell, betrügerischer Absicht mit gefälschten Bilanzen.

  • BW
    bernie w.

    Zu Griechenland und darüber hinaus, für eine nachhaltige Bewältigung der aktuellen Krisen, sollten alle politisch und/oder ökonomisch 'hochrangigen' Entscheidungsträgerinnen/-er (und oder ihre Beraterinnen/-er), z.B. alle Mitglieder von Bundesparlamenten u. Regierungen, eigtl. verpflichtet werden, aufmerksam mindestens folgende 2 sehr gute Bücher zu lesen:

    -- Gero Jenner : Die arbeitslose Gesellschaft ... 1997 [schon einige Jahre alt, aber längst nicht überholt !]

    -- Blätter für deutsche und internationale Politik [Hg.] : Das Ende des Kasino-Kapitalismus? ... 2009

    [Ein Sammelband mit Beiträgen unter anderem von

    Elmar Altvater,

    Thilo Bode,

    Mike Davis,

    James K. Galbraith,

    Janna Greve,

    Hauke Ritz,

    Ernst Ulrich von Weizsäcker

    -- ... vielleicht außerdem auch diesen Blog (einschl. dort erwähnter Fachliteratur/Studien etc) www.utopia.de/blog/freedom-happiness-and-sensitivity-for-beauty-for-all-beings-in-solidarity-berniewa-s-utopia/utopisch-guter-traum

  • T
    Türlich

    "Lange wird Europa solche nationalen Egoismen nicht mehr aushalten können."

     

    Was nochmal ist der nationale Egoismus Deutschlands gegenüber Griechenland?

     

    Dass Deutschland nach einem halben Jahr einem zweiten Schuldenschnitt nicht zustimmt?

     

    Der echte Zynismus ist doch, danach von einer Schuldentragfähigkeit Griechenlands auszugehen.

     

    Das glaubt doch niemand!