Netzpolitik im Koalitionsvertrag: Eher Watte als Beton
Der Koalitionsvertrag verhandelt das Thema Internet in uneindeutigen Formulierungen. Entsetzen und Erwartungen liegen dicht beieinander.
Wortwörtlich hat die Große Koalition die Netzpolitik schon mal nicht auf ihrem Zettel. //www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf:In ihrem Koalitionsvertrag taucht der Begriff kein einziges Mal auf. Und auch sonst sieht Lars Klingbeil „keinen Grund, jetzt jubelnd durch den Bundestag zu laufen“, wie er sagt.
Klingbeil, 35, saß für die SPD mit am Verhandlungstisch. Er sieht zwar sehr wohl auch viel Gutes in dem Dokument. So wollen Union und Sozialdemokraten den Zugang zu Bildungsstoffen im Digitalen erleichtern, Stichwort: „Open Access“, und all diejenigen vor Strafen schützen, die ihre WLAN-Netze anderen zur Verfügung stellen.
„Es gibt aber auch ein paar Sachen, wo ich mir weitergehende Dinge gewünscht hätte“, sagt Klingbeil. So bedauert er, dass in der endgültigen Version nicht mehr von einer Milliarde Euro die Rede sei, die in den Breitbandausbau fließen sollen. Und auch das Informationsfreiheitsgesetz, mit dem Bürger Unterlagen von Ministerien und Behörden einfordern können, hätte er gerne im Sinne von mehr Transparenz verschärft.
Und dann ist da noch die Vorratsdatenspeicherung, das heikelste netzpolitische Thema dieser Zeit und für Klingbeil „eines der schwierigsten Themen des Koalitionsvertrags“. Deutsche Telekom und Co sollen künftig speichern, wer wann mit wem kommuniziert – es könnten sich ja Ermittler für diese sogenannten Verbindungsdaten interessieren.
Im Sinne der Innenpolitik
Klingbeil war im Wahlkampf auf Contra-Position und gibt sich auch jetzt nicht gerade begeistert. Warum es doch so kam? „Ich kenne die genauen Argumente nicht“, sagt er und betont: „Ich war in den Verhandlungen nicht mehr dabei.“ Entschieden haben die Parteichefs und das eben nicht im Sinne der Netz-, sondern der Innenpolitiker.
Dass das „Supergrundrecht“ auch hier alles andere verdrängt – ein Unglück für Netzaktivisten. Markus Beckedahl, der in seinem Verein Digitale Gesellschaft für die Interessen der Nutzer kämpft, erinnert an die NSA-Affäre. „Die Lehre sollte eigentlich sein, auf solche Mittel zu verzichten und Datensparsamkeit zu praktizieren“, mahnt er.
Klingbeil wiederum freut zumindest, dass Schwarz-Rot die Vorratsdatenspeicherung eindämmen möchte. Es plant laut Koalitionsvertrag, in Brüssel darauf zu drängen, die Speicherpflicht auf drei statt sechs Monate zu senken. „Da habe ich die Hoffnung, dass man noch mehr überarbeiten kann“, sagt Klingbeil. Er selbst wolle hier „aktiv werden“.
„Wie viel ist eine Vielzahl?“
Netzaktivist Beckedahl stört unterdessen noch mehr. Die Netzneutralität etwa werde zwar verankert und damit der Grundsatz, alle Datenpakete im Netz gleich zu behandeln. Aber auch hier glichen die Formulierungen eher Watte denn Beton, wie etwa der Zusatz demonstriere, die Netzqualität dürfe „nicht von einer Vielzahl von ’Managed Services‘ verdrängt werden“, den umstrittenen Privilegien, die Nutzer oder Anbieter bezahlen sollen.
„Wie viel ist eine Vielzahl?“, fragt sich Beckedahl. „Sind das jetzt 10, sind das 100, sind das 10.000?“
SPD-Netzpolitiker Klingbeil will Unschärfen dieser Art nicht überbewerten. „Ein Koalitionsvertrag lässt immer auch Interpretationen zu“, sagt er. Das Dokument sei außerdem schon allein deshalb ein Gewinn, weil „fast in jedem Kapitel digitale Politik“ stecke und außerdem alle Beteiligten verstanden hätten, dass das Internet eine zentrale Infrastruktur sei, die ausgebaut werden müsse. „Das ist ein Erfolg für die Netzpolitik.“
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