: „Das ist ein Einstieg in die Zensur“
ÜBERWACHUNG Soziale Netzwerke sind in der EU durch das Urteil zu den Streaming-Plattformen noch nicht gefährdet, sagt der Blogger Markus Beckedahl. Doch die Netzsperren zum Schutz des Urheberrechts wecken Begehrlichkeiten, politische Zensur zu erleichtern
■ 38, ist Internetaktivist, Gründer und Vorsitzender der Netzpolitikorganisation Digitale Gesellschaft.
taz: Herr Beckedahl, Netzanbieter müssen nun den Zugriff auf Seiten wie kino.to sperren, wenn diese Urheberrechte verletzen. Wie funktioniert das?
Markus Beckedahl: Die einfachste Möglichkeit ist das Blockieren des Zugangs zu bestimmten Webseiten-Namen wie kino.to. Das funktioniert über sogenannte DNS-Server. Die verbinden die Seitennamen – wie man sie im Browser eintippt – mit bestimmten IP-Adressen. Sind diese Weiterleitungen gesperrt, kommt man nicht auf die gewünschte Webseite.
Wie effektiv ist das?
Wie man in der Türkei sieht, sind diese DNS-Sperren schnell zu umgehen, etwa indem man statt des Seitennamens die IP-Adresse direkt eingibt. Das lässt sich blockieren – auch auf IP-Ebene können bestimmte Adressen gesperrt werde. Da das aufwändiger ist, werden zur Zensur aber meist DNS-Sperren verwendet. Auch die Türkei hat anfangs nur DNS-Sperren benutzt, dann aber auch IP-Adressen blockiert.
Sind durch dieses Urteil auch in der EU soziale Netzwerke gefährdet?
Nein, das glaube ich nicht. Wenn die Inhalte einer Webseite komplett illegal sind, dann hat die Sperre laut Urteil eine Berechtigung. Wenn auf der Plattform gleichzeitig viele legale Inhalte kommuniziert werden, wie bei Twitter oder Youtube, ist eine Sperrung nicht gerechtfertigt.
DNS-Sperren bedrohen die Internetfreiheit also nicht?
Wir sehen jegliche Form von DNS-Sperren – auch wenn sie leicht zu umgehen sind – als Einstieg in die Nutzung von Zensurmaßnahmen. Wenn sich das erst mal etabliert hat, wird man erkennen, dass man noch bessere Strategien zur effektiven Zensur braucht, und die Infrastrukturen dafür ausbauen. Es besteht die Gefahr eines Kollateralschadens für die Demokratie.
Welches Urteil hätten Sie sich gewünscht?
Wir hätten uns gefreut, wenn der EuGH Netzsperren generell eine Absage erteilt hätte. Wir appellieren an die Gesetzgeber: Nur weil Sperren jetzt rechtlich möglich sind, sollten sie politisch nicht genutzt werden. Das EU-Parlament stimmt nächste Woche über die Connected-Continent-Verordnung der Kommission ab. Dabei könnte es Netzsperren rechtlich untersagen. DINAH RIESE