CHRISTIAN RATH ÜBER DAS TONBAND-VERMÄCHTNIS VON HELMUT KOHL: Tollkühne Veröffentlichung
Der Autor Heribert Schwan veröffentlicht in diesen Tagen sein Buch „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“. Es beruht auf vertraulichen Gesprächen, die Schwan vor mehr als zehn Jahren mit Kohl zur Vorbereitung von dessen Memoiren führte. Es ist tollkühn, dass Schwan die Tonbänder nun einfach für ein eigenes Buch auswertet.
Zwar ist ihm dies bisher nicht ausdrücklich untersagt worden. Das Oberlandesgericht Köln hat im August nur entschieden, dass Schwan 135 Tonbänder, die 630 Stunden Gespräch dokumentieren, an Kohl herausgeben muss. Das ist auch sachgerecht. So bekommt Kohl Zugang zu seiner eigenen Geschichte. Er kann die Bänder nun zum Beispiel einem anderen Ghostwriter geben, der damit die Memoiren fortführt.
Kohl müsste also einen neuen Rechtstreit beginnen, der sich nun gegen die Nutzung der vertraulichen Inhalte richtet. Dabei wird es stark auf die Verträge ankommen, die Schwan damals mit Kohls Verlag geschlossen hat. Selbst wenn diese keine ausdrückliche Vertraulichkeitsklausel enthalten haben, ist doch klar, dass hier implizit Verschwiegenheit vereinbart war. Es kann ja wohl nicht sein, dass ein Ghostwriter alles, was er beim Schreibprozess vertraulich erfährt, anschließend – unter Berufung auf das öffentliche Interesse – in einem eigenen Buch publiziert. Ein Ghostwriter ist ja kein Journalist, sondern ein bezahlter Dienstleister.
Eine Missachtung der Verträge könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn das öffentliche Interesse an bestimmten Informationen überragend ist. Davon ist bisher allerdings nichts zu sehen. Dass Angela Merkel früher – nach Ansicht Kohls – eher laxe Tischsitten pflegte, mag zwar voyeuristisch interessant sein, von herausragender politischer Bedeutung ist dies aber kaum.
Gesellschaft + Kultur SEITE 14
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