1. Urteil des Internationalen Strafgerichtshof: Schuldspruch liefert Stoff für Diskussion
Der ehemalige kongolesische Milizenchef Lubanga ist schuldig gesprochen, Kinder als Soldaten rekrutiert zu haben. Das Gericht kritisierte Chefankläger Moreno-Ocampo scharf.
BERLIN taz | Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga schuldig gesprochen, Kindersoldaten rekrutiert und eingesetzt zu haben. „Thomas Lubanga ist der Verbrechen schuldig, Kinder im Alter unter 15 Jahren in die Ränge der UPC/FPLC eingezogen und rekrutiert zu haben und sie eingesetzt zu haben, aktiv an Feindseligkeiten teilzunehmen“, schloss der Vorsitzende Richter Adrian Fulford vor einem vollbesetzten Gerichtssaal seine knapp halbstündige Urteilsverlesung am Mittwoch vormittag. Es war das erste Urteil, das der IStGH seit seiner Gründung vor knapp zehn Jahren überhaupt gefällt hat.
Lubanga war Mitgründer und Präsident der im Jahr 2000 gegründeten Rebellenorganisation „Union kongolesischer Patrioten“ (UPC), die während des 2003 beendeten Kongokrieges im Distrikt Ituri im Nordosten des Landes kämpfte und vor allem Kämpfer des Hema-Volkes vereinte. Er war nach der Umwandlung seiner Miliz in eine politische Partei in Kinshasa festgenommen und 2006 nach Den Haag überstellt worden.
Sein Prozess dauerte drei Jahre, und er ist mit dem jetzigen Schuldspruch noch immer nicht zu Ende, denn die Verkündung des Strafmaßes steht noch aus und dann wird die Verteidigung voraussichtlich in Berufung gehen. Das Strafmaß könnte bis zu 30 Jahren Haft gehen.
Für eine Berufung lieferte das Gericht in seiner Urteilsbegründung eine Steilvorlage, indem es die Arbeit der Anklagebehörde von Chefankläger Luis Moreno-Ocampo in beispielloser Form abwatschte. Besonders kritisch wertete Richter Fulford den Gebrauch „lokaler Mittelsmänner“ durch die Anklage - also Kongolesen, die im Auftrag Moreno-Ocampos Opfer und Zeugen aufsuchten und Aussagen sammelten. „Die Anklage hätte ihre Ermittlungsverantwortung nicht an die Mittelsmänner delegieren sollen“, schimpfte der Richter.
Zeugen seien unbrauchbar, sagt der Richter
Es seien aufgrund der „unbeaufsichtigten Aktivitäten“ der Mittelsmänner Zeugen geladen worden, die „der Manipulation ausgesetzt“ gewesen seien; es seien teilweise „inkorrekte und unehrliche“ Aussagen und Beweismittel vorgelegt worden. Es bestehe das „Risiko, dass Mittelsmänner Zeugen zu Falschaussagen überredeten, ermutigten oder anstifteten“, so der Richter weiter. Die drei in Den Haag als Opfer aufgetretenen Zeugen seien allesamt unbrauchbar, da die Identität von zweien unklar und damit auch die Aussage des dritten anzuzweifeln sei.
Nichtsdestotrotz seien die Vorwürfe der Anklage „zweifelsfrei erwiesen“, wonach Lubanga als politischer und militärischer Führer der UPC und ihres bewaffneten Flügels FPLC (Patriotische Kräfte zur Befreiung des Kongo) Kinder im Alter von unter 15 Jahren rekrutierte und einsetzte. Die Urteilsbegründung ist zwingend: Die UPC-FPLC „war eine bewaffnete Gruppe“ und Lubanga „übte eine übergreifende koordinierende Rolle“ aus.
Mit anderen Führungsmitgliedern habe er einen „gemeinsamen Plan“ erstellt und umgesetzt, „eine gemeinsame Armee mit dem Ziel der Erringung politischer und militärischer Kontrolle in Ituri aufzubauen“. Während Kinder nach Uganda zum Militärtraining geschickt wurden und Militärführer der FPLC in Ruanda Waffen beschafften, war Lubanga „in Mobilisierungs- und Rekrutiewrungskampagnen aktiv, um Hema-Familien zu überreden, ihre Kinder in die UPC-FPLC zu entsenden“.
So war Lubanga laut dem Gericht verantwortlich für die „verbreitete Rekrutierung von jungen Menschen unter 15 auf erzwungenener sowie freiwilliger Basis“. Die Kinderrekruten wurden entweder ins UPC-Hauptquartier in der Distrikthauptstadt Bunia geschickt oder in die UPC-Trainiglanger Rampara, Mandra und Mongbwalu. Sie waren dort einem „harten Trainingsregiment“ ausgesetzt, Mädchen seien zudem als Trägerinnen eingesetzt oder sexuell missbraucht worden, was allerdings nicht Teil der Anklage sei.
Die Kindersoldaten "befanden sich in den Rängen", sie "wurden in Bunia, Tchomia, Kaenyi, Bogoro und anderen Orten als Soldaten stationiert", sie "nahmen an Kämpfen teil", sie "wurden als militärische Wachposten eingesetzt", sie "wurden eingesetzt, um aktiv an Kampfhandlungen teilzunehmen", so der Urteilsspruch. Lubanga sei an der Rekrutierungspolitik der UPC beteiligt gewesen, habe selbst entsprechende Reden gehalten und selbst Kinder unter 15 Jahren als Wachleute eingesetzt. Lubanga sei sich seiner entsprechenden Handlungen und ihrer Konsequenzen bewusst, was ihn schuldig mache.
Umstrittene Definitionsfragen
Richter Fulford äußerte sich auch zu umstrittenen Definitionsfragen, die für die weitere Arbeit des IStGH und der internationalen Justiz insgesamt von Bedeutung sein werden. So sei der Krieg der UPC im Kongo nicht, wie ursprünglich vom Gericht angenommen, ein „internationaler Konflikt“, obwohl der Krieg im Kongo insgesamt als „teilweise international“ zu werten sei, sondern „die UPC war in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt“ gegen rivalisierende Milizen involviert. Dies ändert allerdings nichts in Bezug auf die Anklage gegen Lubanga.
„Einziehung und Rekrutierung“ von Kindersoldaten, so eine weitere Richterdefinition, bezieht sich auf „den Augenblick des Eintritts“ in die bewaffnete Gruppe, „mit oder ohne Zwang“. Wenn sich Kinder unter 15 Jahren freiwillig einer Miliz anschließen, ist demnach ihr Chef ein Kriegsverbrecher. Die Urteilsbegründung geht mit keinem Wort auf die vielfach von UPC-Seite vorgetragene Argumentation ein, wonach das Hema-Volk in Ituri sich kollektiv gegen „Völkermord“ wehren musste und daher die gesamte Bevölkerung ein legitimes Recht auf Selbstverteidigung wahrnahm.
Der Einsatz von Kindersoldaten zur „aktiven Teilnahme“ an Feindseligkeiten, so die dritte grundsätzliche Richterdefinition, ist sowohl „direkt“ als auch „indirekt“ zu begreifen. Wesentlich sei, ob „das Kind ein potentielles Ziel“ sei - also ein Ziel des militärischen Gegners. Kindersoldaten seien also auch „aktiv beteiligt“, wenn sie nie an der Front oder an Kriegsschauplätzen waren, sondern lediglich die Kämpfer anderweitig unterstützten, beispielsweise durch Lastentragen oder Nahrungsmittelzubereitung. „Entscheidend“ sei, „ob die Unterstützung, die das Kind dem Kämpfer leistet, es potentieller Gefahr als ein potentielles Ziel aussetzt“, so der Richter.
Den Schuldspruch fällten die drei Richter einstimmig. Zu einzelnen Punkten hätten die beiden Beisitzer allerdings abweichende Meinungen formuliert, so der Vorsitzende Richter - vermutlich war dies der Grund, warum das Urteil erst jetzt und nicht wie ursprünglich angekündigt im Januar gefällt wurde und warum die verlesene Urteilsbegründung deutlich kürzer ausfällt als ursprünglich veranschlagt. Dies sowie die Schelte gegenüber der Anklage dürfte reichlich Stoff für weitere Diskussionen liefern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg