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Marxismus heute„Klasse konstituiert sich im Kampf“

Der Begriff des Klassenkampfs ist aktuell, so Karl-Heinz Schubert von der Onlinezeitung „trend“. Das zeige sich etwa beim Konflikt um bezahlbare Mieten.

"Wir stehen also vor der Frage, wie innerhalb der proletarischen Klasse, zwischen einzelnen Fraktionen, Bündnisse geschlossen werden können": Karl-Heinz Schubert vor Marx. Bild: dpa
Interview von Susanne Memarnia

taz: Herr Schubert, Sie eröffnen an diesem Mittwoch mit einem Vortrag über Karl Marx die Veranstaltungsreihe „Let’s talk about class“. Was können wir denn heute noch mit dem Klassenbegriff anfangen? Ist die Welt nicht etwas komplexer als Bourgeois gegen Proletarier?

Karl-Heinz Schubert: Marx hat schon ganz früh festgestellt, dass sich die Klasse als Klasse überhaupt nur im Kampf konstituiert, wo die Individuen ihre subjektiven Interessen als gemeinsame entdecken. Heute leben wir in einer Zeit, wo in den Metropolen die Klasse verschwunden zu sein scheint und das bürgerliche, hedonistische Individuum als Leitfigur gilt.

Solange die Menschen nicht am Klassenkampf teilnehmen, sind sie nicht Teil einer Klasse?

Wir müssen unterscheiden zwischen einer soziologisch-beschreibenden Sichtweise auf die Gesellschaft und einer ökonomisch-analytischen. Aus dem Blickwinkel der ersteren existiert die Klasse scheinbar nicht, es gibt nur noch Arme, Reiche, Bildungsferne, Wutbürger, Hedonisten und so weiter. Dagegen analysiert die Marx’sche Kritik der Ökonomie die ökonomische Basis der kapitalistischen Gesellschaft, auf deren Grundlage sich zwei Klassen konstituieren. Auf der einen Seite die Kapitalisten als Eigentümer der Produktionsmittel. Auf der anderen die Lohnarbeiter, deren Ware Arbeitskraft sie für eine bestimmte Zeit kaufen und unter ihr Kommando stellen. Das Besondere an der Ware Arbeitskraft ist aber, dass sie mehr an Wert produziert, als sie den Kapitalisten gekostet hat. Dieser „Mehrwert“ gehört jedoch allein ihm.

Und das ist heute noch so?

Diese Kernstruktur ist nach wie vor die gleiche. Ob man in einer Fabrik Schuhe produziert oder in einer Bank arbeitet, man ist Lohnabhängiger. Profit und Zins, Formen des Mehrwerts, gehören dem Kapitalisten.

Die Klasse und die Masse

Mit einem Vortrag von Karl-Heinz Schubert über Marxens Kritik der Politischen Ökonomie als Grundlage der Klassentheorie beginnt am heutigen Mittwoch (19.30 Uhr, Zielona Gora, Grünberger Straße 73) eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Lets talk about class". Veranstalter ist die linke Onlinezeitung trend, die vom "Arbeitskreis Kapitalismus aufheben" herausgegeben wird.

Die zweite Veranstaltung im Dezember befasst sich mit der Entsorgung der Klasse durch die Kritische Theorie. Im dritten Teil geht es um die Klasse als politisches Projekt. Weitere Veranstaltungen sollen folgen. (sug)

Infos:

Im Interview: Karl-Heinz Schubert

ist Mitglied im "Arbeitskreis Kapitalismus aufheben". Er hält seit Jahren Vorträge zum Thema.

Also ist heute das Problem, dass innerhalb der lohnabhängigen Klasse die Differenzierung so groß geworden ist, dass man das gemeinsame Klasseninteresse nicht mehr erkennt?

Soziologisch ist es natürlich so, dass sich Lohnabhängige mit geringem Einkommen einander näher fühlen als zu Facharbeitern, die immer noch ein 14. Monatsgehalt beziehen. Wir stehen also vor der Frage, wie innerhalb der proletarischen Klasse, zwischen einzelnen Fraktionen, Bündnisse geschlossen werden können. Dazu müssen die Menschen gemeinsame politische Erfahrungen machen, wodurch sie erkennen, dass sie zu diesem soziologisch diffusen Kreis der proletarischen Klasse gehören.

Aber warum ist es wichtig zu sagen, dass sie einer Klasse angehören, wenn die so diffus ist?

Wir Marxisten gehen davon aus, dass diese Gesellschaft aufgehoben werden muss in eine nicht kapitalistische. Und dass diese neue Gesellschaft nur von denen gestaltet werden kann, die heute schon die Produzenten sind, bislang aber nicht über die „Früchte ihrer Arbeit“ verfügen können.

Aber der gut verdienende Facharbeiter hat kein Interesse, diese Gesellschaft zu verändern. Dem geht’s doch gut.

Die Frage, die Sie damit aufwerfen, können Einzelne gar nicht beantworten. Einzelne wie unser „Arbeitskreis Kapitalismus aufheben“, die sich mit der politischen Ökonomie dieser Gesellschaft befassen, können nur aufzeigen, dass wir in einer Klassengesellschaft leben. Wie die Subjekte das wahrnehmen, können wir nicht stellvertretend erklären. Die Menschen müssen sich selbst als Teil ihrer Klasse definieren, das kann man ihnen nicht abnehmen. Deswegen sind wir für die politische Selbstorganisation und lehnen das Konzept der Avantgarde-Partei ab, die das „richtige Bewusstsein“ in die Klassenkämpfe reinträgt.

Aber wie sonst kommen die Menschen dazu, sich als Teil einer Klasse zu betrachten?

Das geht, denke ich, nur in Konfliktsituationen. Nehmen wir Kotti&Co. Da erscheint zunächst die GSW als der unmittelbare Gegner.

Das ist der Kapitalist.

War ja früher mal städtisch. Die Betroffenen wollen die alte Miete weiterzahlen und kommen so nicht umhin zu fragen: Wer ist unser Gegner, wer ist die GSW? Daran müsste anschließen: Reicht es aus, nur zu fordern, die GSW zu rekommunalisieren? Würde sich dann was ändern?

Und?

Solange die Menschen nicht versuchen, in die Profitmacherei einzugreifen, ist es egal, ob sich ein Unternehmen in Privathand, in Aktionärsbesitz oder in der öffentlichen Hand befindet.

Weil die öffentliche Hand auch versucht, Gewinne zu machen?

Als Marktteilnehmer zwangsläufig. Aber wenn wir Forderungen entwickeln, die in den Profitmechanismus eingreifen, kommen wir schnell zur Klassenfrage. Etwa wenn wir sagen: Der Boden, mit dem hier spekuliert wird, repräsentiert keine menschliche Arbeit, darf also nicht in die Berechnung des Mietzinses einfließen. Wir zahlen nicht für Grund und Boden, nur für Bau und Erhalt der Häuser. Damit greife ich unmittelbar ins Eigentumsrecht ein – also in die Klassenfrage.

Sie sagen, die GSW sei der „unmittelbare Gegner“. Wen haben die Mieter noch zum Gegner?

Den Staat. Das ist ja keine neutrale, über den Klassen schwebende Veranstaltung: Mit seinen Gesetzen greift er in alles ein. Und wenige Bereiche sind so stark reguliert wie Bauen und Wohnen. Etwa der Milieuschutz, über den viel debattiert wird: Der schränkt die Verwertungsmöglichkeiten ein Stück ein, weil es sich nicht lohnt, Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln, wenn man sie nicht so schnell losschlagen kann. Das ist also eine Sache, die der Staat machen kann. Wenn er diese Möglichkeit aber gar nicht nutzt, weil er die Stadt „als Ganzes“ für den Profit der Baukapitalisten nach vorne bringen will, zeigt sich, zu wessen Vorteil hier entschieden wird.

Was kann man da tun?

Wenn ausreichender Druck von kollektiv handelnden Mietern auf den Staat entsteht, dann wird sein politisches Personal zweifellos anders handeln müssen. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass all diese Sachen nur auf die Verteilung zielen und das gesellschaftlich geschaffene Eigentum weiter in Privathand bleibt. Dies muss aufgehoben werden. Ein Problem ist dabei allerdings der bisher praktizierte Sozialismus. Wenn wir nicht plausibel machen können, dass wir die Aufhebung des Kapitalismus in dieser Form nicht wiederholen wollen, werden wir sowieso keine Schnitte machen.

War das bitter für Sie als Marxist, dass die DDR unterging?

Eigentlich nicht. Dieser Sozialismus war Staatskapitalismus und keine wirkliche Alternative.

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5 Kommentare

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  • H
    Heinz

    "man denke mal an die unhaltbaren Zustände in der DDR: Marode Häuser, Aussenklo" die gibt es auch in westdeutscher Entsprechung mit eine Mietforderung von 15€/qm. Die Wahrheit der Wohlstandskapitalisten ist doch die Ignoranz der Not anderer. Ich hätte gerne eine marode Wohnung mit Aussenklo, die mich nicht vollkommen ausbeutet, daß ich nur noch dafür malochen muß.

  • In dem Interview wird sich klar vom Staatskapitalismus distanziert.

    Ganz unabhängig davon wie man zum Marxismus steht, ist die Argumentation auch wirklich ausgesprochen dumm. Nur weil zwei Sachen gleich genannt werden, werden Argumente gegen die eine Sache nicht zu Argumenten gegen die Andere.

  • D
    DJ_rainbow

    Wohin sämtliche (!) nicht- oder antikapitalistischen Experimente geführt haben (und auch beim nächsten Versuch zwangsläufig wieder führen werden), kann in ganz Osteuropa besichtigt werden.

     

    Wie immer bislang übersieht auch diese murxistische Laberbacke, dass der Mensch an sich nicht zum Altruismus gezwungen und gleichgeschaltet werden kann, sondern sich immer eine Nische suchen wird, in der er sich selbst verwirklichen kann, und sei es materiell.

     

    Der Murx-Jünger sollte sich lieber mal Gedanken darüber machen, warum

    1. der pöhse Kapitalismus immer noch existiert, während sämtliche Arbeiter- und Bauernzertreterparadiese (mit Ausnahme von Kuba & Nordkorea, wahrlich leuchtende Beispiele!) von den damit zwangsbeglückten Menschen im Lokus der Geschichte runtergespült wurden, und

    2. er selbst lieber in der pöhse-kapitalistischen Bunzelrepublik Bullshit plärrt, anstatt in Nordkorea der Weltrevolution zum Sieg zu verhelfen. Egoismus, den er andern austreiben möchte?

     

    Als native born Ossi habe ich übrigens die heldenhafte Inkompetenz der Ritter es Ordens "Große Sozialistische Oktoberkloake zu Bitterfeld" noch selbst miterlebt. Ich brauche keine Wiederholung dieses Irrsinns.

  • G
    Gast

    kann mir mal jemand erklären was der gute herr ausser sprechblasen da sagen will?

     

    schon ein ziemlicher sch..., wenn die realität des menschen partout nicht mit der schriftlage eines philosphen aus dem 19. jahrhundert zusammengehen will

     

    entsprechend wirr klingen auch die verzweifelten versuche dieses herren

     

    aber ob zeuge jehovas oder marxist - schön wenn menschen sich an was festhalten können

  • TR
    Trürgen Rittin

    Populistische Forderungen wie Mietsenkungen etc werden den verstorbenen Marxismus nicht wiederbeleben.

     

    man denke mal an die unhaltbaren Zustände in der DDR: Marode Häuser, Aussenklo.