piwik no script img

Kommentar Kirchenbau in der TürkeiAlles andere als weltoffen

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Unter Erdogan profitieren in der Türkei auch die nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften. Für Säkulare ist dagegen kein Platz.

Es gibt selten neue Gotteshäuser: orthodoxe Kirche in der Türkei. Bild: ap

E rstmals seit vielen Jahrzehnten darf in der Türkei wieder eine neue Kirche gebaut werden. Das hört sich nach Toleranz und Weltoffenheit an, ein gutes Signal angesichts islamistischer Gewalt in den südlichen Nachbarländern der Türkei. Ist die „Neue Türkei“ von Präsident Recep Tayyip Erdogan also doch nicht so repressiv, wie es zuletzt immer mehr den Anschein hatte?

Ja und nein. Die neue Türkei unter Präsident Erdogan entwickelt sich immer mehr zu einer autoritären One-Man-Show, in der Kritiker oder einfach nur Leute, die nicht zu seinen Unterstützern zählen, nichts mehr zu lachen haben. Es reicht ein unbotmäßiger Tweet, um sich die Polizei ins Haus zu holen. Doch es gibt einzelne Gruppen, die, selbst wenn sie nicht zu den Erdogan-Unterstützern zählen, vom Regime der AKP profitieren. Das sind einmal die Kurden und zum anderen auch die nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften.

In der säkularen, kemalistischen türkischen Republik wurden nicht nur die Muslime, sondern auch die Christen scharf kontrolliert und teilweise schikaniert. Eines der wichtigste Anliegen von Erdogans AKP war immer die Freiheit der Religion von staatlicher Kontrolle. Während nach 12 Jahren AKP Herrschaft der sunnitische Islam mittlerweile zur neuen Staatsdoktrin geworden ist, genießen auch die Christen etwas mehr Freiheit als in früheren Zeiten. Das ist gut für die Kirchen, aber dennoch alles andere als Ausweis eines toleranten, weltoffenen Staates.

Erdogans Ideal ist das Osmanische Reich. Tonangebend sind die sunnitischen Muslime, aber die anderen Angehörigen der abrahamitischen Religionen, also Christen und Juden, werden toleriert. Für säkulare Kritiker der Herrschaft Erdogans ist dagegen kaum noch ein Platz vorgesehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Sie haben die Sache sehr gut aus einem objektiven Blickwinkel betrachtet und ihre Erläuterung hierzu in Anbetracht des Machthabenden ist durchaus vertretbar.

     

    Ich mag mich sogar soweit hinaus lehnen und eher von einer Duldung als wie von einer Toleranz behaupten.

    • @errol flynn:

      "Eines der wichtigste Anliegen von Erdogans AKP war immer die Freiheit der Religion von staatlicher Kontrolle."

       

      Das "Präsidium für Religionsangelegenheiten" und seine immer zahlreich werdenden Ableger, wie die DITIB in der BRD, zeigen also wie der "Führer aller Türken" sich nicht in die Religion einmischt?

       

      Kann mir das mal einer erklären?

      • @Saccharomyces cerevisiae:

        Kann und mag ich persönlich ihnen leider nicht erklären.

        Tut mir leid!