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Kommentar Terror in Wolgograd33 Anschläge, 33 zu viel

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Von einem Frieden ist der Nordkaukasus weit entfernt. Die jüngsten Anschläge fordern Regionalherrscher, aber auch das gesamtrussische System heraus.

Mindestens 15 Opfer forderte der Anschlag auf einen Trolleybus im Zentrum der Stadt Wolgograd. Bild: dpa

N ach den Anschlägen von Wolgograd, dem 33. Terroranschlag in Südrussland seit Februar 2013, ist die Bevölkerung der Stadt in Panik. Man geht lieber zu Fuß zur Arbeit als sich in einem Bus erneut einer Gefahr auszusetzen. Die Anschläge werfen erneut ein Schlaglicht auf den Nordkaukasus, mit 600 Getöteten in den ersten neun Monaten des Jahres Europas blutigste Region. Dabei dürfte der Umstand, dass eine Terroristin von Wolgograd offensichtlich aus dem nordkaukasischen Dagestan stammt, das ohnehin angespannte Verhältnis von Russen und Kaukasiern weiter belasten.

Die Terroristin, die angeblich verdächtig ausgesehen haben soll, hat dem friedlichen Zusammenleben von Moslems und den zahlreichen anderen in Russland lebenden religiösen wie nicht-religiösen Minderheiten einen Bärendienst erwiesen. Schlechte Zeiten stehen allen, die irgendwie verdächtig aussehen, ins Haus.

Nun ist die Stunde der Hardliner gekommen. Der Gouverneur von Wolgograd erwägt den Einsatz von Bürgerwehren. Für den heutigen Montag haben russische Nationalisten zu einer Straßenblockade in Wolgograd aufgerufen. Tschetscheniens Diktator Ramsan Kadyrow fordert ein rücksichtsloses Vorgehen gegen Terroristen und deren Sympathisanten, verlangt ein Verbot aller radikalen Gruppen.

Doch wie den Terrorismus bekämpfen?

Dagestans neuer Präsident Ramazan Abdulatipow fährt mit seiner Null-Toleranz-Politik gegenüber Islamisten und dem Einstellen jeglichen Dialogs eine Linie, die bald in ganz Russland Schule machen könnte.

Spätestens nach Sotschi, die Olympischen Spiele beginnen im Februar, wird sich zeigen, ob Russlands Führung in der Bekämpfung des Terrorismus sich am rücksichtslosen Weg von Ramazan Abdulatipow und Ramsan Kadyrow oder dem auf Dialog beruhenden Vorgehen des inguschetischen Präsidenten Jewkurow orientieren wird. Nur ein nachhaltiger Frieden im Nordkaukasus und eine Förderung der Wirtschaft in der Region können Russlands Terrorismus den Boden entziehen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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10 Kommentare

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  • Militärisch sind die nordkaukasischen Banditen erledigt, sie sind nicht mehr zu grösseren Aktionen, sondern nur noch zu Anschlägen in der Lage.

     

    Diese wird man wohl nie verhindern können. Wenn man keine militarisierte, total unter Kontrolle gestellte (wie sie die USA anstreben, wie man dank Snowden weiss) Gesellschaft will, muss man wohl oder übel mit Dingen wie Terroranschlägen leben. Sie sind gewissermassen der Preis, den wir für unsere freie Gesellschaft bezahlen müssen.

     

    Aber es ist sehr wohl möglich, dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen, in dem man genügend Arbeitsplätze schafft. Hier sind insbesondere die Olympischen Spiele in Sotschi positiv zu erwähnen: Diese lösten einen regionalen Investitionsboom aus und schafften hunderttausende von Arbeitsplätzen.

     

    @Irma

    Hallo, Sie schon wieder. Ich habe Sie schon einige Male gefragt, wer oder was diese mysteriösen Terschkisen sind, von denen sie dauernd schreiben. Und warum sollten sie irgendjemanden interessieren?

    • @Benz:

      Gut, daß Sie der TAZ-Leserschaft immer wieder zeigen, wie bewußtes Verleugnen und gezielte Provokation und Verunglimpfung der Opfer eines kolonialen Völkermordes gehen. Meinen Sie, es fällt nicht auf, daß Sie hier ausnahmslos zur Verteidigung des putinschen Staates kommentieren?

  • es herrscht noch der bellum omnes contre omnes in russland (voina!!)

  • AG
    ALI G

    Aha - Vorschläge, wie der internationale Terrorismus tatsächlich zu bekämpfen wäre, werden zensiert.

     

    Dass aber Saudi Arabien ein chauvinistischer Terrorstaat ist, darüber wird nur berichtet, wenn Frauen dagegen protestieren, dass sie im Königreich kein Auto fahren dürfen.

     

    Ideologen!

  • AG
    ALI G

    "Nur ein nachhaltiger Frieden im Nordkaukasus und eine Förderung der Wirtschaft in der Region können Russlands Terrorismus den Boden entziehen."

     

    Da ist der Wunsch, Vater des Gedankens!

     

    Das Land, dass den islamistischen Terror weltweit finanziell und logistisch am meisten unterstützt ist zeitgleich eines der reichsten Länder der Welt: Saudi-Arabien.

     

    Deshalb den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren, um unabhängig vom Öl zu werden und bis dahin ein gutes Verhältnis zu Russland mit fairem Handel pflegen.

     

    RED: Kommentar gekürzt.

  • D
    D.J.

    Wieso fast nie thematisiert: Dringend nötig ist nicht zuletzt die Isolierung der Dschihad-finanzierenden Regime am Golf, "unserer" faschistischen "Verbündeten". Dann klappt's vielleicht langfristig auch mit einem Frieden in Syrien und mit einer längeren Übereinkunft mit dem Iran.

     

    @Frau Kreiten,

     

    ich denke, wir haben allmählich Ihr Anliegen verstanden.

    • @D.J.:

      Ich meine, schon öfter gefragt zu haben, wer denn mit dem kollektiven "wir", das von verschiedenen Gast-Pseudonymen bemüht wird, gemeint ist. Zur Erinnerung: Sie schrieben mir gestern erst noch als langjähriges Mitglied der Gesellschaft für bedrohte Völker, Sie hätten prinzipiell für mein "dauerndes" (Ausrutscher oder Absicht?) Engagement Verständnis.

  • S
    sadfsfad

    Haltlose Vermutungen. Wo steht denn bitte, daß nur irgendeine wirtschaftliche Entwicklung dem Terror den Boden entziehen kann? Das sind doch Spekulationen und Wünsche des Autoren...

  • Und da Sie sich hier auch als Mitarbeiter der LINKEN präsentieren, warum setzten sie sich nicht einmal damit auseinander, wie Vertreter dieser Partei bisher mit Versuchen, den Völkermord an den Tscherkessen in unserer Öffentlichkeit zur Sprache zu bringen, umgegangen sind? Z.B. (aber keineswegs ausschließlich) in Gestalt von Tobias Pflüger (http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/2013/10/tobias-pfluger-kritischer-blogeintrag.html) oder Ralph T. Niemeyer (http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/2013/12/ralph-t-niemeyer-ein-verhinderter.html)?

  • "Doch wie den Terrorismus bekämpfen?" - Vielleicht, indem Journalisten wie Sie akkurat berichten und damit friedlichen und zivilen Bewegungen der Angehörigen der verschiedenen nordkaukasischen Minderheiten die Chance geben, in einer internationalen Öffentlichkeit Gehör und Unterstützung für ihre durchaus legitimen Anliegen zu finden? https://www.change.org/petitions/mr-joachim-gauck-president-of-germany-deutscher-bundespr%C3%A4sident-almanya-cumhurba%C5%9Fkan%C4%B1-sochi-2014-include-circassians-in-public-debate-tscherkessen-in-%C3%B6ffentliche-debatte-einbeziehen-%C3%A7erkesler-de-g%C3%BCndeme-al%C4%B1nmal%C4%B1#. Wer Nordkaukasier dagegen nur dann wahrnimmt, wenn sie terroristische Anschläge begehen, trägt zum Problem des Terrorismus bei, anstelle es zu lösen.