US-Spähprogramm XKeyscore: So groß ist der große Bruder
Für die Netzüberwachung durch die US-Geheimdienste gibt es wohl nur eine Grenze: das Speicherlimit. Fragen und Antworten zu den neuesten Enthüllungen.
Schon wieder macht ein neu enthülltes Überwachungssystem Schlagzeilen: Mithilfe des Programms XKeyscore soll der US-Geheimdienst NSA noch leichter und umfassender Zugriff auf den Internetverkehr haben als bisher vermutet, berichtete der britische Guardian. Für alle, die allmählich den Überblick verlieren, hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Stand des Überwachungsskandals:
Werden wir wirklich alle abgehört?
Das wissen wir nicht. Die Enthüllungen von Edward Snowden und Recherchen einiger Medien legen zumindest nahe, dass die Geheimdienste Zugriff auf weite Teile der Internetkommunikation haben, wenn sie denn wollen. Dabei stößt selbst die NSA an technische Grenzen: Jede Kommunikation abzuspeichern übersteigt die vorhandenen Speicherkapazitäten bei weitem.
Was ist XKeyscore?
Ein Überwachungssystem, das einerseits aus einer Abfragesoftware, andererseits aus Servern besteht, die über die ganze Welt verteilt sind und massenhaft Daten abspeichern. Nach den neuesten Enthüllungen von Whistleblower Snowden, die der Guardian veröffentlichte, waren schon im Jahr 2008 über 700 Server an über 150 Standorten auf der ganzen Welt verteilt, darunter in China und in Russland. Das hat den Vorteil, dass die Daten direkt an den Entstehungspunkten der Kommunikation verarbeitet werden können, ohne sie zuvor in die Geheimdienst-Rechenzentren in den USA zu übertragen. Wie viele Server heute in Betrieb sind, ist unbekannt.
Was kann XKeyscore?
Nach den jetzt veröffentlichten Schulungsunterlagen ist die Plattform sehr vielseitig. Die Geheimdienstanalysten können sowohl nach E-Mail-, IP-Adressen oder bestimmten Facebook-Accounts suchen. Sie ermitteln, welche Suchanfragen ein bestimmter Nutzer getätigt hat und welche Sprachen er spricht. Doch das Werkzeug beherrscht auch Methoden zur Rasterfahndung: So können die Geheimdienste beispielsweise jeden Deutschen unter die Lupe nehmen, der in Pakistan verschlüsselte E-Mails verschickt – und die Empfänger der E-Mails.
Hilft Verschlüsselung gegen XKeyscore?
Nur eingeschränkt. Nach den Unterlagen werden die Geheimdienste sogar besonders wachsam, wenn ein Internetnutzer Verschlüsselungsprogramme wie beispielsweise PGP benutzt. Zwar können sie den Inhalt nicht ohne weiteres lesen, gleichwohl verraten die sogenannten Metadaten, wer hier mit wem verschlüsselt kommuniziert. Ist einer der Kommunikationspartner bereits als Verdachtsperson markiert, wird genau verzeichnet, mit wem sonst er kommuniziert. Auch auf Anonymisierungsserver hat es XKeyscore abgesehen: Der Dienst kann gezielt erfassen, wer zu welchem Zeitpunkt mit einem sogenannten VPN-Server Kontakt aufnimmt, und analysiert, welche Dienste über diesen Service abgerufen werden.
Woher kommen die Daten?
Hier sind die Enthüllungen noch nicht eindeutig. Snowden hat bereits das Programm Tempora enthüllt, mit dem der britische Nachrichtendienst GCHQ zusammen mit der NSA die transatlantischen Glasfaserkabel anzapft und damit zum Beispiel abhören kann, was deutsche Nutzer direkt an US-Server schicken – und umgekehrt. Dies ist aber offenbar nur die Spitze des Eisbergs. Der NSA hat nach Berichten Zugriff auf zahlreiche andere Kommunikationsknoten und beschäftigt auch Hacker, die sich illegal Zugriff auf interessante Systeme verschaffen können.
Werden auch Deutsche mit XKeyscore abgehört?
Davon muss man ausgehen. Zwar lassen die Schulungsunterlagen keine genaue Zuordnung zu – ganz Europa ist in einem Schaubild mit roten Punkten übersät –, doch dass die NSA ausgerechnet Deutschland umgeht, ist nicht zu vermuten. Zudem haben BND und Verfassungsschutz zugeben müssen, dass sie die NSA-Software derzeit selbst erproben. Mit welchen Daten sie das System zu diesen Tests füttern, blieb offen. Eine Auswertung von Daten, die beispielsweise nach Richterbeschlüssen gesammelt wurden, ist zwar prinzipiell möglich, wäre aber eine Zweckentfremdung.
Was sagt die US-Regierung?
Die Existenz von XKeyscore wird nicht bestritten, aber Missbrauch dementiert. „Der Vorwurf flächendeckender, ungeprüfter Zugriffe auf NSA-Daten ist falsch“, so Präsidentensprecher Jay Carney. NSA-Chef Keith Alexander versicherte, dass man den Zugriff auf das System überprüft und keine unzulässigen Abfragen entdeckt habe. Beide Dementi sind freilich wachsweich, da die US-Geheimdienste weitgehend freie Hand haben, was sie als zulässig ansehen oder nicht. Die US-Regierung verheimlicht sogar ihre Rechtsauslegung, welche Zugriffe ihrer Geheimdienste sie für legal hält. Laut Snowden müssen Mitarbeiter nur ein Onlineformular ausfüllen, um jede gewünschte Person zu überwachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten