Protestwelle in Chile: Mit Kunstblut gegen das Bildungsystem

Teure Privatschulen, miserable öffentliche Bildungseinrichtungen: 400.000 demonstrieren gegen Pinochets Erbe. Und Chiles Präsident lenkt ein - ein bisschen.

Zombies, Vampire und eimerweise Kunstblut: Chilenische StudentInnen demonstieren in Valparaiso gegen die staatliche Bildungspolitik. Bild: reuters

PORTO ALEGRE taz | Rhythmische Sprechchöre hallen durch Santiagos Prachtstraße La Alameda: "Und es wird fallen, und es wird fallen", heißt es in Abwandlung einer Protestparole gegen das Militärregime (1973-90), "das Bildungssystem von Pinochet."

Am Donnerstag zogen wieder Hunderttausende auf die winterlichen Straßen Chiles. SchülerInnen, Studierende und DozentInnen aus Schulen und Hochschulen hatten zum "nationalen Streik" gegen das Zweiklassenbildungssystem aufgerufen, in dem gut ausgestattete Privatschulen miserablen öffentlichen Bildungseinrichtungen gegenüberstehen.

90 Prozent der Eltern können sich keine Privatschule für ihre Kinder leisten. Arme Gemeinden sind weniger denn je in der Lage, einen vernünftigen Unterricht zu gewährleisten. Deshalb, so eine zentrale Forderung, müsse wieder Santiago das Ruder übernehmen.

Aber der Konflikt wird grundsätzlicher: Vereinzelt ist bereits der Ruf nach Neuwahlen zu hören. Und so waren am Donnerstag auch Umweltaktivisten, Gewerkschafter und alle jene dabei, für die das Zweiklassensystem das Sinnbild des chilenischen Neoliberalismus ist.

Minderjährige wurden festgenommen

Nun, in der dritten Woche der neuen Protestwelle, waren in Santiago über 150.000 Menschen unterwegs, auch wenn der rechte Gouverneur Fernando Echeverría nur 80.000 angab. In vielen Provinzstädten, von Arica ganz im Norden bis Punta Arenas im Süden, strömten ebenfalls Tausende auf die Straßen. 400.000 sollen es im ganzen Land gewesen sein, das alternative Portal El Ciudadano will sogar eine halbe Million ausgemacht haben. Gegen Ende der Kundgebungen kam es wieder zu Zusammenstößen mit der Polizei - 121 Menschen, darunter viele Minderjährige, wurden nach offiziellen Angaben festgenommen.

Studentensprecherin Camila Vallejo forderte die Regierung auf, eine Volksabstimmung zu der Frage zu organisieren, ob die Chilenen eine gute, kostenlose Bildung wollten. Präsident Sebastián Piñera brach sein wochenlanges Schweigen und kündigte an, er werde einen Vorschlag vorlegen, in dem viele Anliegen der DemonstrantInnen berücksichtigt würden.

Ungenügendes Angebot der Regierung

Diese Ankündigung wurde mit allgemeiner Skepsis registriert, war doch das jüngste Angebot von Bildungsminister Joaquín Lavín - die Einrichtung eines 75-Millionen-Dollar-Fonds für die staatlichen Universitäten - von den Rektoren als ungenügend zurückgewiesen worden. Staatliche Mittel machten weniger als zehn Prozent des diesjährigen Jahresetats der Universidad de Chile aus, moniert Rektor Víctor Pérez, in den USA und Großbritannien seien es immerhin 15 bis 24, in Finnland gar 65 Prozent.

Das Zweiklassensystem geht tatsächlich auf Augusto Pinochet zurück, die noch heute gültige Verfassung von 1980 markiert seinen Beginn. Zuvor war das Bildungswesen weitgehend zentralisiert und in öffentlicher Hand, ab 1981 wurden die Schulen unter die Regie der Kommunen gestellt. "Es war der Anfang der Marktlogik von Angebot und Nachfrage", sagt die Forscherin Jenny Assaél. Am Tag vor seinem Abtritt 1990 unterzeichnete der Diktator dann noch das "Organische verfassungsgemäße Bildungsgesetz".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.