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Symbolfigur der Stuttgart-21-BewegungRichter klagt Rechtsstaat an

Auf der Montagsdemonstration gegen das Bahnhofsprojekt S21 beschwert sich die neue Symbolfigur Dieter Reicherter über das Demokratieverständnis der Justiz.

Symbolfigur im schwarzen Hemd: Dieter Reicherter. Bild: Screenshot: Youtube

STUTTGART taz | Früher, sagt Dieter Reicherter über sich selbst, sei er als Strafrichter ein „harter Hund“ gewesen, „streng, aber gerecht“. Inzwischen pensioniert, würde er heute einige Fälle anders entscheiden – vor allem, seit er in diesen Tagen den Rechtsstaat von der anderen Seite kennenlernen muss.

Am Montagabend steht der 64-Jährige in blauer Jeans und schlichtem schwarzen Hemd am Stuttgarter Hauptbahnhof auf der Bühne. Er gilt als Symbolfigur der Protestbewegung gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Die traditionelle Montagsdemo dürfte für ihn also ein sicheres Terrain sein. Doch er wirkt vor seiner Rede etwas nervös. Seine Finger klammern sich an die Klarsichthülle, in die er seinen Text gesteckt hat.

Seit Wasserwerfer den Widerstand überwiegend friedlicher Bahnhofsgegner vor fast zwei Jahren brechen sollten, hat sich der Richter im Ruhestand juristisch in den Konflikt eingemischt. Er schrieb damals eine Dienstaufsichtsbeschwerde an das Innenministerium und unterstützt seitdem immer wieder angeklagte S-21-Gegner.

Computer und Unterlagen beschlagnahmt

Nun ist er selbst zur Zielscheibe der Justiz geworden. Ende Juni, so erzählt er auf der Kundgebung, sei seine Wohnung durchsucht worden – während er im Ausland weilte. Dabei seien Computer und Unterlagen beschlagnahmt worden. Der Grund für die Durchsuchung: Reicherter war im Besitz von internen Unterlagen aus dem Innenministerium. Aus ihnen geht hervor, wie weit die Ermittlungen gegen S-21-Gegner gingen.

Unter anderem heißt es darin, dass die Sicherheitsbehörden auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes und auf die Arbeit verdeckter Ermittler zurückgreifen sollten. „Unterlagen“, sagt Reicherter, „die ein mehr als nur bedenkliches Demokratieverständnis zeigen und die schönen Worte im Koalitionsvertrag der grün-roten Landesregierung Lügen strafen.“ Die Kripo sollte herausfinden, wer Reicherter die Unterlagen zugesteckt hat. Der Versuch, dass er die Papiere freiwillig herausgibt, sei zuvor gar nicht erst unternommen worden.

Keine Antwort, von niemandem

Dabei hatte Reicherter nach eigener Auskunft Anfang des Jahres mehrfach versucht, mit der Landesregierung Kontakt aufzunehmen. Doch weder vom Staatsministerium noch vom Innenministerium habe er eine Antwort erhalten.

Dienstagmittag bei einer Pressekonferenz mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne): Auf Nachfrage der taz, warum Reicherter keine Antwort von ihm erhalten habe, schaut Kretschmann in seine Unterlagen, die ihm für die Pressekonferenz vorbereitet wurden. Er verweist auf zwei Treffen vor Weihnachten, bei denen es unter anderem um eine friedliche Räumung des Schlossgartens ging.

Innenminister Reinhold Gall und die Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, Gisela Erler, seien dabei gewesen. „Selbstverständlich waren wir also mit Herrn Reicherter im Gedankenaustausch“, sagt Kretschmann. Dieses Gespräch sei konstruktiv verlaufen – allein: Zu diesem Zeitpunkt war Reicherter noch gar nicht im Besitz der Unterlagen.

Nun entscheidet das Landgericht

Ob es Anfang des Jahres noch weitere Treffen gegeben habe, soll Kretschmann beantworten. Das steht nicht in seinen Unterlagen. „Weiß ich nicht“, murmelt er. Sein neben ihm sitzender Justizminister Rainer Stickelberger ergänzt, dass über die eingelegte Beschwerde von Reicherter nun das Landgericht zu entscheiden habe. Dabei werde über die Recht- und Verhältnismäßigkeit entschieden.

Eine Sache ist hingegen bereits entschieden: Der frühere Richter selbst hat sein Vertrauen in den Rechtsstaat verloren, teilweise zumindest. Dieser Prozess habe bereits im vergangenen Jahr begonnen. „Zunächst habe ich noch gedacht, dass es objektive Behörden gebe, die das aufklären, aber da habe ich erhebliche Zweifel bekommen.“ Das alles treffe ihn innerlich sehr. „Weil ich selbst Teil des Rechtsstaates war.“

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14 Kommentare

 / 
  • KE
    Klardenker Esslingen a. N.

    Reicherter täte, wie alle S21-Demonstranten, gut daran, die Illusion von Rechtsstaat und sogenannter 'Demokratie' entlich abzulegen und den Fakten ins Auge zu blicken. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine kriminelle Organisation, die unsere Steuergelder für Kriege und Polizeiwillkür verschleudert. Beweise? Jede Menge. Googeln Sie einfach mal nach der Datei BRD-Mafia-20120701-2120.pdf, dann löst sich der Nebel hoffentlich auf.

  • S2
    SS 20 Abschußbasis

    In Stuttgart fahren täglich hunderttausende Klimakiller und damit Massnmörder rum. SS 20 drauf und Tschüss.

  • A
    Arvanit

    Demokratie ist bloß ein philhellener Übersetzungsfehler, genau wie Olympia ohne Doping und Trojaner.

  • S
    Stuttgarter

    Erst mal zur Aufklärung wer Hans König ist. Er ist bezahlter Schreiber der Lügenpropaganda für die CDU und S21 betreibt und ist in BW bei allen Zeitungen bekannt als Lohnschreiber bei den Kommentaren.

     

    nun zur Frage wer Herr Häussler ist. Herr Häussler ist der Oberstaatsanwalt von Stuttgart und der politische Arm der CDU. Er verhinderte das Verfahren geben die Verbrecher der CDU Mappus u Notheis auch verhindert er Verfahren gegen SS Massenmörder . ( http://mannheim.vvn-bda.de/artikel/2011/20110309.html )

     

    Anderseits verfolgt er vehemennt alle S21 Gegner und jeden der eine andere Meinung vertritt als das rechte Politbüro der CDU. Egal ob Richter, Lehrer, Pfarrer oder Rentner. Er hat auch die Aufklärung des 30.09 dem sogenannten schwarzen Donnerstag an dem er selbst vor Ort war verhindert und es wurde die sogenannte Prügelglatze und der versuchte Totschlag per Wasserwerfer auf einen Rentner nicht verurteilt.

  • LC
    Lara Croft

    So sieht also die Politik der ersten grün-roten Landesregierung aus.

     

    Nicht nur, dass die Grünen jetzt Stuttgart 21 bauen, obwohl sie der Protestbewegung gegen den Bau des überflüssigen über 4 Milliarden teuren unterirdischen Bahnhof zum Großteil ihren Wahlsieg verdanken. - Jetzt sieht man auch wie eine grün dominierte Landesregierung mit kritischen Leuten umgeht, die sich gegen staatliche Repressionen und gegen ihre eigene Kriminalisierung wehren, obwohl sie lediglich ihre demokratischen Rechte wahrgenommen haben.

     

    Wer sich noch irgendwelche Illusionen gemacht hatte, die Grünen würden eine andere Politik machen als CDU,SPD und FDP, der braucht nur nach BaWü zu gucken.

     

    Der Bericht des pensionierten Strafrichters:

    "Ende Juni, so erzählt er auf der Kundgebung, sei seine Wohnung durchsucht worden – während er im Ausland weilte. Dabei seien Computer und Unterlagen beschlagnahmt worden. Der Grund für die Durchsuchung: Reicherter war im Besitz von internen Unterlagen aus dem Innenministerium. Aus ihnen geht hervor, wie weit die Ermittlungen gegen S-21-Gegner gingen.

     

    Unter anderem heißt es darin, dass die Sicherheitsbehörden auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes und auf die Arbeit verdeckter Ermittler zurückgreifen sollten. „Unterlagen“, sagt Reicherter, „die ein mehr als nur bedenkliches Demokratieverständnis zeigen und die schönen Worte im Koalitionsvertrag der grün-roten Landesregierung Lügen strafen.“ Die Kripo sollte herausfinden, wer Reicherter die Unterlagen zugesteckt hat. Der Versuch, dass er die Papiere freiwillig herausgibt, sei zuvor gar nicht erst unternommen worden."

  • M
    @morun

    welcher häussler? in dem artikel kommt niemand vor der so heisst... bissle fehl am platz...

  • HK
    Hans König

    Bei den Protestlern kann man ja nun leicht zur "Symbolfigur" aufsteigen, man muss einfach nur mal mit irgendeiner Aktion in die Presse kommen und ein paar "aufregende" Geschichten auftischen können.

     

    Ernsthafte / ernstzunehmende Persönlichkeiten hat die zum Kasperletheater verkommene Bewegung ja schon lange nicht mehr zu bieten.

     

    Die Selbsteinschätzung "streng aber gerecht" ist da genauso überheblich, wie die Selbsteinschätzung dieser Protestler, welche sich als Nabel der Welt und Mutter aller weltweiten Protest- und Bürgerbewegungen sehen.

     

    Ohne Grund wird man Reicherter wohl mit erst 62 Jahren nicht in den vorzeitigen Ruhestand versetzt haben.

     

    Am 30.09.2010 nahm er im Schlössgarten ja zehntausende Schüler und Studenten war, obgleich an der vorausgegangenen Demo nicht einmal 2000 Schüler teilnahmen und nur ein Teil von diesen in den Park ging. Wie er einen Studenten erkennen will, verrät Reicherter ja auch nicht.

     

    Allerdings behauptete er von sich auch, im Laufe seiner Berufstätigkeit tausende solcher Durchsuchungsgsbeschlüsse erlassen zu haben.

     

    Auch diese Zahl dürfte allein seiner Phantasie entstammen.

     

    Auch sonst zeigen die Ausführungen Reicherters ja eine ausgeprägte Paranoia / einen ausgewachsenen Verfolgungswahn.

     

    Weshalb Landesregierung und Innenministerium offiziellen Kontakt mit ihm aufzunehmen oder halten sollten, verrät er ja auch nicht, sondern überschätzt seine "Bedeutung" offensichtlich schon in paranoider Weise.

  • P
    Pitchblack

    Es ist so verdammt wichtig, dass dieses Thema und alle kleinen und großes Skandale drum herum Bundesweit präsent bleiben - denn in Stuttgart und BaWü selbst gibt es keine Chance, die Wahrheit gegen die pro-S21-eingestellten Medien einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Danke daher für diesen (sowie alle verausgegangenen und hoffentlich noch folgenden) Beitrag hier bei Euch!!

  • Z
    Zweifler

    „Zunächst habe ich noch gedacht, dass es objektive Behörden gebe, die das aufklären, aber da habe ich erhebliche Zweifel bekommen.“

     

    Da geht´s ihm wie mir.

  • EL
    Ernst Lehmann

    Ein Rechtsstaat zeichnet sich auch dadurch aus, dass es keinen Richterbonus gibt. Ermittlungen ohne Ansehen der Person nennt man das.

  • F
    Fred

    Tja, jetzt bekommt der feine Richter mal seine eigene Medizin zu schlucken. Schadet ihm gar nichts.

  • G
    Groschen

    bin entsetzt und sehe mich in meinen schlimmsten Vermutungen bestätigt.

    Wer garantiert uns noch den Rechtsstaat, wenn nicht die, die dazu laut Verfassung bestimmt sind ?

    Ist unsere Demokratie längst nur noch eine Fiktion? Ein Wunschtraum der ahnungslosen braven Mehrheit?

    Nur so bekämen viele Vorkommnisse der letzten Jahre eine Erklärung.

    Ich wende mich ab mit Grausen.

    G.

  • H
    h.morun

    Der gute Herr Häussler ist anscheinend absolut überarbeitet, wenn es um NS Morde und deren Aufklärung geht. Aber bei S21 versteht er keinen Spass und ist bei kleinsten Dingen sofort zur Stelle.

     

    http://mannheim.vvn-bda.de/artikel/2011/20110309.html

  • GB
    Grün bankrott

    Nicht mal ein Jahr haben die "Grünen" Hoffnungsträger gebraucht um das erhoffte Sonnenblumenfeld in einen miefigen Komposthaufen zu verwandeln. Das macht ihnen keiner nach.