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Gynäkologin über Geburtshilfe„Man muss lernen, abzuwarten“

Die Kaiserschnittzahlen steigen – über Risiken wird kaum gesprochen. Die Gynäkologin Katharina Lüdemann kämpft für die natürliche Geburt. Aber nicht um jeden Preis.

Frauen sollen ihr Baby an dem Ort gebären, der gut für sie ist, meint die Gynäkologin Katharina Lüdemann. Bild: m.edi / photocase.com

Katharina Lüdemann ist seit 20 Jahren Geburtshelferin – trotzdem ist der Kreißsaal nach wie vor ein Ort der Überraschungen für sie. Und einer, in dem man nicht alles unter Kontrolle hat. Das ist das eine, was selten aus den Kliniken dringt.

Und das andere: Obwohl sich in den letzten zwanzig Jahren die Zahl der Kaiserschnitte und Geburtseinleitungen verdoppelt hat, ist die Zahl der Kinder, die im Mutterleib sterben, gleich geblieben. Katharina Lüdemann engagiert sich deshalb in einer Informations-Kampagne des Arbeitskreises Frauengesundheit. Man muss als Arzt und Ärztin lernen, abzuwarten und zuzuschauen, sagt sie. „Denn im Prinzip kann ich den Verlauf einer Geburt nur stören durch Interventionen“.

Dabei ist sie alles andere als militant: Nachdem sie in Afrika gesehen hat, wie viele Frauen und Kinder bei so genannten natürlichen Geburten sterben, ist sie weit davon entfernt, sie mythisch zu verklären. Genauso wenig wünscht sie sich die 60er Jahre in Deutschland zurück, als Frauen zur vaginalen Geburt nahezu gezwungen wurden – unter anderem ihre eigene Mutter.

Aber was sie nicht hinnehmen will, sind Kaiserschnitte und Geburtseinleitungen, die nur deshalb gemacht werden, weil es den ÄrztInnen an Geduld fehlt – oder schlicht an Geburtshilfepraxis. Und genauso wenig arrangiert sie sich mit Geburtsstationen, bei denen so am Personal gespart wird, dass die Hebammen zwischen zwei oder drei Kreißsälen hin und her rennen.

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Das Ganze Gespräch über Geburtshilfe lesen Sie in der sonntaz vom 19./20. Mai. Am Kiosk, eKiosk oder im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

Zwei ihrer eigenen Kinder hat Katharina Lüdemann im Geburtshaus zur Welt gebracht, nachdem ein Kollege sie darauf hingewiesen hatte, dass eine Geburt in ihrem Alter auch kein Spaziergang sei – da hatte sie das dringende Bedürfnis, sich zurückzuziehen.

Trotzdem will sie die Arbeit im Sankt-Josef-Stift in Delmenhorst auf keinen Fall aufgeben – nicht nur, aber auch, weil sie leidenschaftliche Operateurin ist. Schwangeren Frauen wünscht sie, dass sie die Wahl haben, an dem Ort zu gebären, der für sie persönlich gut ist. Und nicht durch eine Schwangerenvorsorge verunsichert werden, die überall nur Risiken sieht.

Wie Katharina Lüdemann ihre erste Geburt als Studentin in Peru begleitet hat und wie sie mit der Angst bei der Arbeit umgeht, lesen Sie in der sonntaz vom 19. Mai 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

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4 Kommentare

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  • IN
    Ihr Name Dr. Maria Beckermann

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    Vielen Dank für diesen Artikel und das erhellende Interview mit Frau Dr. Lüdemann. Die Kollegin verdeutlicht mit sehr viel Respekt vor der Leistung und Kompetenz der Frauen, worauf es in der Geburtshilfe ankommt. Dieser Beitrag ist eine Ermutigung für Frauen und für GeburtshelferInnen.

  • AW
    anne wirth

    Während meiner Ausbildung zur Gynäkologin in der Klinik war das Mantra "Geduld ist eine der wichtigesten Tugenden in der Geburtshilfe." Das Wohl der Patientin und des Kindes sollten im Fokus stehen, ein Indikator schien eine angemessene an Kaiserschnittgeburten.

    Wohltuend altmodisch- war aber auch vor den Zeiten von DRGS , Fallpauschalen und Ähnlichem.

    Seit 14 Jahren arbeite ich nun als niedergelassene Frauenärztin. Die Sectiorate hat sich mehr als verdoppelt und zwar auch bei den"Low Risk Schwangeren".

    Worum geht es dabei- Selbstbestimmung der Frau, Wunschkaiserschnitt?, Angst vor Klagen, verlernten Fähigkeiten?

    Nach den vorliegenden Daten ja eher nicht um eine Verbesserung für Mutter und Kind

  • DV
    Dr. Viola Hellmann

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    Seit fast 32 Jahren bin ich Frauenärztin, 11 Jahre Klinik, 21 Jahre Praxis. In dieser Zeit hat sich die Kaiserschnittrate von 4% (große geburtshilfliche Abteilung mit mehr als 2000 Geburten im Jahr in einem Städtischen Krankenhaus, technisch eher schlecht ausgestattetes DDR-Krankenhaus) auf immerhin 20% in Sachsen (BRD gesamt 30%!) erhöht, bei etwa gleichbleibenden perinatalen Ergebnissen.

    Ich kann Frau Dr. Lüdemann nur zustimmen und bedanke mich für diesen differenzierten ausführlichen Artikel.

  • DV
    Dr. Veronika Branca

    DANKE endlich fuer einen differenzierten Artikel, der die verschiedenen Seiten des Problems beleuchtet , genauso habe ich es in Afrika erlebt, genauso sehe ich meine eigen Arbeit als Gynäkologin und Geburtshelferin im Gesundheitssystem der ersten Welt

     

    DANKE