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Debatte ReligionsunterrichtDas Okay der Sittenwächter

Kommentar von Hilal Sezgin

In NRW soll es ab 2013 islamischen Religionsunterricht geben. Das ist ein Fortschritt, auch wenn die Details liberalen Muslimen die Zähne klappern lassen.

D er Pluralismus dieser Gesellschaft zeigt sich in nur wenigen Punkten so konfliktträchtig wie beim Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Die einen wollen, dass ihre Kinder nicht nur ethnologisch über religiöse Bräuche informiert, sondern auch in den Inhalt des Glaubens eingeführt werden; die anderen halten das Reden über Gott für wenig sinnhafter als das über den Osterhasen und sehen darin ein Überbleibsel aus alten Zeiten.

Trotzdem kann man an beide Seiten appellieren, den Konflikt nicht existenzieller zu machen, als er ist. An ihren Schulen sollen Kinder all das mitbekommen, was für ein selbstbestimmtes Erwachsenenleben und für gesellschaftliche Teilhabe als unerlässlich gilt. Dazu gehören neben Wissen auch das Einüben sozialen Verhaltens sowie die Beschäftigung mit Sport, Kunst und Musik.

Wenn nun einige Eltern meinen, auch der Glaube an Gott sei unerlässlich für das Gedeihen der jungen Menschen, ist dies kein Problem, solange der Religionsunterricht nicht obligatorisch ist, sondern es säkulare Alternativen wie das Fach Ethik gibt. Im Gegenteil kann man sagen, dass religiöse Familien sogar ein Recht auf Religionsunterricht haben, im selben Maße wie auf anderen der Persönlichkeitsentwicklung dienenden Unterricht.

Bild: privat
HILAL SEZGIN

ist Journalistin und Schriftstellerin. Zuletzt erschien von ihr: "Landleben. Von einer, die raus zog" (DuMont Verlag). 2010 erhielt sie den European Muslim Women of Influence Award.

Wie viel komplizierter wird es aber, wenn es nicht mehr nur um christliche, sondern auch um islamische Inhalte geht! Beim islamischen Religionsunterricht (IRU) gehen viele Religionsgegner erst recht auf die Barrikaden, ja man hat den Eindruck, das Thema IRU habe die allgemeine Debatte über den Religionsunterricht in den letzten Jahren überhaupt erst wieder beflügelt. Dabei stehen viele Diskussionen unter dem Vorzeichen einer latenten bis manifesten Islamophobie - und zwar auch bei den Befürwortern.

Schreckensbild Hinterhof

So hört man oft, der IRU sei notwendig, um Kindern informierten Islam zu vermitteln; man müsse den Islamunterricht "aus den Hinterhöfen herausholen". Allein das Beschwören dieses Hinterhofschreckensbildes zeugt von dem Misstrauen, mit dem sich Muslime in Deutschland konfrontiert sehen. Die Einführung des IRU ist weniger motiviert vom Recht auf Bildung als von Misstrauen; statt des Interesses der Eltern und Kinder wird das der Gesellschaft an "kompatiblen" Mitgliedern in den Vordergrund gestellt.

Tatsächlich müsste es aber um Gleichberechtigung gehen - um die leicht wohlwollende, aber inhaltlich neutrale Haltung, die das Grundgesetz allen Religionen garantiert. Eine Vielzahl von Gesetzen regelt diese Haltung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, in denen Staat und organisierte Religionen kooperieren.

Diese Regelungen sind im Laufe von mehreren hundert Jahren sozusagen der Organisationsform der christlichen Kirchen auf den Leib geschneidert worden - ihre Anpassung an andere Religionen ist kompliziert. So muss etwa eine Religion, um an Schulen bekenntnisorientierten Unterricht anbieten zu dürfen, die spezifische rechtliche Form einer Religionsgemeinschaft angenommen haben. Aus diversen formalen Gründen ist dies "dem Islam" in Deutschland, also seiner Vielzahl von Verbänden, nicht geglückt.

Konservativer geht es kaum

Während einige Bundesländer bislang Ersatzlösungen, etwa "neutralen" Islamkundeunterricht, angeboten haben, verkündeten in den vergangenen Wochen zwei Bundesländer einen rechtlichen Durchbruch. Als erstes will Nordrhein-Westfalen und ab dem Schuljahr 2013/2014 auch Niedersachsen einen regulären IRU anbieten.

Das wirklich Phänomenale an dieser Entwicklung ist, dass sich hier Länder und Religionsvereine zusammengesetzt haben, um ein den Kirchen nicht exakt entsprechendes, aber analoges Modell zu schaffen, das mit denselben Rechten bezüglich eines bekenntnisgebundenen Unterrichts ausgestattet werden kann.

Ein Streit, der jahrelang ideologische Züge angenommen hatte, ist damit endlich einer konstruktiven Lösung näher gebracht worden. Während man in Nordrhein-Westfalen das Schulgesetz um einige Passagen ergänzt hat, wurde in Niedersachsen ein Beirat muslimischer Verbandsvertreter gebildet, der individuell über die Erteilung der Lehrerlaubnis entscheiden wird - die Ijaza.

Die Details der neuen "Ijaza-Ordnung" allerdings lassen einer liberalen Muslimin wie mir die Zähne klappern. Die männlichen Bewerber müssen die regelmäßige Teilnahme am Freitagsgebet, die Frauen hingegen Gemeindearbeit nachweisen - und sämtliche Bewerber eine "fortwährende islamische Lebensweise nach der rechten islamischen Lehre und den guten Sitten". Konservativer geht es kaum.

Einfach jammerschade

Wer entscheidet über die "rechte" Lehre, was sind "gute" Sitten? Müssen dafür in den Vorgesprächen Topoi wie voreheliche Jungfräulichkeit, strenge Alkoholabstinenz und, wer weiß, der unerschütterliche Glauben an den exakten Bauplan der Arche Noah abgeklopft werden? Der Fall homosexueller KandidatInnen oder überhaupt unverheiratet zusammenlebender Paare wird zwar nicht explizit erwähnt, aber man kann sich schwer vorstellen, dass ein Beirat diesen Partnerschaften eine Übereinstimmung mit "der rechten islamischen Lehre und den guten Sitten" bescheinigen wird.

Dennoch: Solche Arten von Gender Bias und Diskriminierung sind rechtlich so wenig zu beanstanden wie ähnliche Vorgänge in der katholischen Kirche. Wenn deutsche Muslime nicht wollen, dass ihre Kinder eine konservative, "rechte" muslimische Lebensweise als einzig wahre beigebracht bekommen, müssen sie sich in nennenswerter Zahl organisieren. Solange dies nicht geschieht, ist es völlig korrekt, dass die Länder die mitgliederreichsten Verbände als ihre kirchenanalogen Partner installieren.

Aus staatsbürgerlicher Perspektive muss man die Entwicklung in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen als bedeutenden Schritt zur Gleichberechtigung der Religionen anerkennen - auch wenn mir zugleich als Muslimin das Herz blutet. Dass die ersten Islamlehrer in meinem Bundesland Niedersachsen auf das Okay traditioneller Sittenwächter angewiesen sein werden, ist einfach jammerschade.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.
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12 Kommentare

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  • M
    Musa

    Das, was Sie schreiben, Frau Sezgin, gibt den Inhalt der Ijaza'-Ordnung nicht korrekt wieder:

     

    " Die männlichen Bewerber müssen die regelmäßige Teilnahme am Freitagsgebet, die Frauen hingegen Gemeindearbeit nachweisen"

     

    Tatsächlich ist in der Ijaza'-Ordnung keinerlei Diskriminierung nach Geschlechtern vorgesehen:

     

    http://beirat-iru-n.de/app/download/5780358776/Ijaza-Ordnung+Niedersachsen+Fssg+27.01.12.pdf

     

    Schade, das Sie auf eine bewusste Polemisierung dieser Debatte setzen - vielleicht, um mehr Mitglieder für ihren kleinen Verein zu finden?

     

    Übrigens, aller Hochachtung, Ihr Artikel wurde auch von unseren Freunden bei PI zitiert als Beispiel für den ach-so-bösen konservativen Islam. Sie haben ihnen somit direkt in die Hände gespielt.

     

    Glückwunsch!

  • G
    gundi

    @ franz

     

    wenn Du uns erklärst, was Dein Kommentar mit dem Artikel zu tun hat, erklären wir Dir vielleicht auch, was Dein Problem ist!-)

  • G
    gundi

    Es erinnert an den Klassiker aus Adornos Minima Moralia: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" oder abgeschwächt an einen Optimierungsversuch unter suboptimalen Umständen.

    Die optimale Lösung wäre die "Ab"lösung in einer laizistischen Gesellschaft, in der "Staat und Kirche" real getrennt wären und das religiöse absolut privatisiert.

    Statt die Ausgestaltung zu diskutieren, sollte die Frage nach der generellen Rechtfertigung der "Glaubenslehre" an öffentlichen oder öffentlich subventionierten Schulen diskutiert werden - verharmlosend "Religionsunterricht" genannt handelt es sich dabei primär um eine Missionsveranstaltung der jeweiligen Welt(undoderHimmels)anschauungen - wenn überhaupt wäre ein Weltanschauungsunterricht im Sinne einer vergleichenden Wissenschaft in Verbindung mit gesellschaftsethischen Aspekten an diesen Einrichtungen lehrbar. Alle anderen Modelle hinken unserem formalen Gesellschaftsbild hinterher.

     

    Vorteile und positive Nebeneffekte? "ratlose" Kommentatoren könnten sich und uns irrelevante Vergleichsthesen ersparen, der Staat verfängt sich nicht in formal unübersichtlich und unstrukturiertem Gefilde, ... Nachteile? die fundamentalistischen Hinterhofveranstaltungen gesellschaftsfeindlicher Glaubenslehren lassen sich weder so noch so verhindern und der Segen der jeweiligen Glaubensgemeinschaften bleibt aus ... na ja, so schlimm ist letzteres auch nicht

  • K
    Krokodil

    Naja, Frau Sezgin, dies ist aber wirklich ein dünner Versuch, ihrem Verein ein paar Mitglieder mehr zu verschaffen. Schade, dass die TAZ sich dafür hergibt!

     

    Diese Lehrbefähigung ist sicherlich nicht das Gelbe vom Ei, aber immerhin haben die Muslime, die es betrifft, etwas gewagt, was auch ihr Verein noch lernen kann: Transparenz und Mut! Klar, dass es nun Kritik hagelt angesichts dieser Lehrbefähigung, aber immerhin wurde sie allen zugänglich gemacht. Man stelle sich vor, ihr favorisierter Verein stellt seine Mitgliederzahlen ins Netz! (Wär halt peinlich, weils nur ca. 50 sind?)

     

    Wer im Thema steckt, weiß, das die og. Kriterien sich auf Studienpraktika beziehen, nicht auf lebenslange Sittenwächterei.

     

    Interessant wäre es auch gewesen, zu erörtern, inwieweit Religionsunterricht glaubwürdig ist, wenn er unterrichtet wird von Lehrern, die sich ganz wo anders verorten. Übersehen wird anscheinend auch, dass Lehrer wie Kinder freiwillig an diesem Unterricht, egal ob katholisch oder islamisch teilnehmen. Muss sich also keiner dieser Sittenwacht unterziehen. Übersehen wurde auch, dass es weder um Islam oder Kirche geht, sondern um das generelle Recht von Religionsgemeinschaften, die Inhalte zu bestimmen. Wer diese Inhalte ablehnt, geht halt nicht hin. Klar kann man das diskutieren, sollte man vielleicht auch. Aber jetzt auf Muslime einzuschlagen, die sich wie alle anderen dieses Recht nehmen, wirkt irgendwie verfehlt.

  • F
    franz

    Tja so siehts aus.Dagegen muss ein Christlicher Religionslehrer gar nichts nachweisen ausser das er Studiert hat.Ob er an Gott glaubt,schwul,Kommunist ist alles egal.

    Bei uns hat der R. Lehrer ein ehemaliges RAF Mitglied eingeladen und der war imme rnoch Rot wie eine Tomate.

    Was das mit Religion zu tun hatte weiss ich immer noch nicht.

  • SH
    seiner Herrlichkeit

    Gottseidank hat das alles nichts mit dem Islam zu tun!!

     

    Die haben den Islam nur falsch verstanden, ähem interpretiert...

     

    Der einzige der den Islam richtig interpretiert ist vor rund 1300 Jahren gestorben.

  • C
    chagall1985

    Ein wirklich schöner Kommentar!

    Allerdings wage ich zu bezweifeln das in Bayern Religionslehrer aus der Kirche ausgetreten sein dürfen.

    Oder ob es einen bekennend Hommosexuellen katholischen Religionslehrer gibt.

     

    Es wäre ohnehin mal ein interessanter Vergleich zwischen den nun beschlossenen Anforderungen an muslimische Lehrer und denen der katholischen Bayern.

     

    Im Grunde haben sie den Kern richtig erkannt.

    Im Zweifel müssen halt die muslime dafür kämpfen den Unterricht zu erhalten den sie mehrheitlich wollen.

    Das geht nur in Ihren Verbänden!

     

    Ich persönlich bin seit Jahren nicht mehr in der Kirche und kann mit Gott absolut nichts anfangen.

    Stehe aber wiederrum auf dem Standpunkt, dass Religionsuntericht zur Allgemeinbildung dazu gehört.

    Und so wie in dem eindeutig SPD/grün geprägten Politik und und Sozialkunde Unterricht überleben Kinder auch einen konservativen Religionsunterricht. grins

    Ich hatte damals schon oft eine abweichende und hinterfragende Meinung zum Lehrstoff. schmunzel

  • B
    Boiteltoifel

    Ich sehe in KEINEM Religionsunterricht (auch nicht für das Fliegende Spaghettimonster) einen Fortschritt. Fortschritt ist, endlich Staat und Religion vollkommen zu trennen und gar keinen Religionsunterreicht mehr an Schulen zuzulassen. Eltern, die ihren Kindern dieser Gehirnwäsche unterziehen wollen, sollen sie in die ihnen genehme Kirche schicken.

     

    Alternativ könnte man Ethik unterrichten und darüber debattieren, wie es sein kann, daß jede der zig-hundert (oder mehr?) Religionen der Welt sich einbildet, die einzig wahre zu sein.

  • P
    Plural

    Ich denke, es spricht immer noch alles für einen gemeinsamen "Religionen und Ethik"-Unterricht aller Kinder, in dem dann durchaus Positionen der verschiedenen Religionen ihren Platz haben sollten, sich aber eben auch der Diskussion stellen müßten. Das könnte in der Grundschule bedeuten, die gemeinsamen Werte herauszuarbeiten, bei älteren Schüler/innen auch die Gegenüberstellung verschiedener Positionen innerhalb der einzelnen Religionen.

  • DU
    der Uli

    Danke für diesen klugen und differenzierten Artikel!

  • R
    ratloser

    Die klagsamen Äußerungen vieler türkischer Mitbürger über mangelnde soziokulturelle Submissivität der deutschen Gastgesellschaft stehen in eklatantem Widerspruch zur Toleranz muslimischer Gesellschaften gegenüber anderen Religionen, respektive Atheisten.

     

    Gibt es eigentlich in der Türkei optional einen christlichen Religionsunterricht für christliche Kinder?

  • L
    Laizist

    "Im Gegenteil kann man sagen, dass religiöse Familien sogar ein Recht auf Religionsunterricht haben, im selben Maße wie auf anderen der Persönlichkeitsentwicklung dienenden Unterricht."

    Ich denke nicht. Der einzige Grund, Religionsunterricht in den Schulen zu belassen, ist die bessere Kontrolle über Lehrinhalte, um die Ausbildung von fundamentalistischen Religionsschulen welcher Art auch immer zu verhindern. Ansonsten sollte keine religiöse Organisation das Recht auf staatliche Förderung haben. Aber mit einem Pastor als Bundespräsidenten wird sicherlich keine neue Runde im Versuch, die Verflechtung von Staat und Kirche aufzubrechen, eingeläutet werden.