: Schönheit durch Mathematik
Das Herforder Museum MARTa zeigt „Max Bill: ohne Anfang ohne Ende“. Die Schau konzentriert sich auf den Maler und Plastiker und weniger auf den Produktgestalter, Architekten oder Hochschulgründer. Das Bauhaus lebt
VON URSULA WÖLL
Als Aufmacher der Retrospektive „Max Bill: ohne Anfang ohne Ende“ wählte das Herforder Museum MARTa die Fotografie einer Hand aus einer Werbetafel. Das weckt allerdings falsche Erwartungen, denn die Ausstellung konzentriert sich weniger auf den Produktgestalter als auf den Maler und Plastiker Max Bill, dessen künstlerisches Werk absolut nicht gegenständlich ist. Es variiert geometrische Formen und Strukturen, denen man offenbar weniger Zugkraft zutraute. Vielleicht zu Recht, denn obwohl Bill zu den bedeutendsten Schweizer Künstlern zählt und in der Bundesrepublik die Nachkriegskultur wesentlich mitprägte, ist er im öffentlichen Bewusstsein unterrepräsentiert.
Max Bill – der 1994 verstorbene Künstler, Produktgestalter, Architekt und Gründungsrektor der Ulmer Hochschule für Gestaltung – selbst hat seine dem Konstruktivismus verwandte Methode immer wieder theoretisch reflektiert und ausgiebig kommentiert. So auch der gleich am Eingang platzierte Wettbewerbsbeitrag „denkmal des unbekannten politischen gefangenen“ von 1952, den er als „eine synthese von plastik-architektur-malerei“ definierte. Er besteht aus drei offenen Kuben, außen aus schwarzem Granit, innen aus weißem Marmor, in bis zur Mitte an- und danach wieder absteigenden Stufungen. Um in den dreieckigen Innenhof zu gelangen, müssen die Besucher aktiv werden und die Treppen überwinden. Sie stoßen auf eine dreikantige Spiegelsäule, die ihr eigenes Bild reflektiert.
Die an den sanft geschwungenen Wänden des von Frank O. Gehry entworfenen MARTa hängenden großflächigen Quadrate, Rechtecke und Kreisformen mit ihren Farbvariationen in Rot, Gelb, Blau und Grün sind nicht immer leicht zu durchschauen. Sind die intensiven Farbfelder nun linear oder progressiv geteilt oder versteckt sich noch eine ganz andere Struktur dahinter? Die „fünfzehn variationen über ein Thema“ etwa entwickeln sich sehr kompliziert aus den Grundformen Kreis und Dreieck, sodass der Künstler eine ausführliche Interpretation mitlieferte. Diese fehlt im Katalog leider.
Doch auf das Erkennen des jeweiligen Ordnungsprinzips kam es Bill an. „Ich versuche, eine Gegenwelt aufzustellen gegen die Konfusion, in der wir heute leben“, schreibt der Künstler-Philosoph. Als lebenslanger Optimist realisierte er eine Skulptur mit dem Titel „endlose treppe“ vor dem Geburtshaus Ernst Blochs in Ludwigshafen.
Viele der großformatigen Quadrate sind auf die Spitze gestellt, übereck gehängt, was ihre innere Dynamik steigert. Sobald ihre kräftigen Farbflächen von einem Zentrum ausstrahlen, scheinen sie zu rotieren. Jedes dieser Ölbilder sieht spielerisch, fast wie spontan entstanden aus, doch waren für Bill Impulsivität und Subjektivität in der Kunst identisch mit Chaos. Er bemühte sich, nach klaren, mathematisch exakten Ordnungsprinzipien zu komponieren. „ich habe mich auf bach konzentriert und gesagt, wir müssen mit dem material farbe und raum gleich vorgehen wie bach vorgegangen ist mit dem material ton.“
Die Plastiken aus Granit und vergoldetem oder verchromtem Messing variieren meist runde Formen, Säulen, angeschnittene Kugeln, Endlosschleifen. „die feste hälfte einer kugel“ ist wie das chinesische Yin oder Yang geformt. Besonders eindrucksvoll ist die Endlosschleife „kontinuität“, die in verschiedenen Größen existiert und auch vor der Deutschen Bank in Frankfurt steht. Die „einheit aus drei gleichen zylindern“ versöhnt wegstrebende und beharrende Impulse, und tatsächlich stimmt es, was der Titel des verschnörkelten „sechseck im raum mit gleichen Seitenlängen“ behauptet. Man klopft sich auf die Schulter.
Zum Mythos geworden
Die von Bill gestaltete Junghans-Küchenuhr aus der Wirtschaftswunderzeit, die Haarbürste oder der Stapelstuhl gleich nebenan entbehren als Kontrast nicht einer gewissen Komik. Im 1990 in seinem puristischen Haus in Zumikon bei Zürich gedrehten Film äußert der 82-Jährige, der mit seinem weißen Haar, den randlosen großen Brillengläsern und im Maßhemd immer noch gut aussieht: „Man ist bestrebt zu helfen, dass etwas besser wird durch Dinge, die in sich selbst gut sind.“
Diese Haltung ist ein Vermächtnis des Bauhauses, an dem Max Bill von 1927 bis ’29 studierte und das ihn prägte. Dessen Bemühungen um „die gute Form“ handwerklicher Produkte übertrug er als Gestalter auf industrielle Erzeugnisse. Am Bauhaus lernte er auch seine frühen künstlerischen Vorbilder kennen: Klee, Kandinsky, Moholy-Nagy, die er zunächst imitierte und später sammelte. Das Museum präsentiert einige Werke dieser Künstlerfreunde, zu denen auch Mondrian gehörte. Zurück in Zürich, schloss sich Bill den internationalen Künstlergruppen „abstraction-création“ und „de stijl“ an und entwickelte seine spezielle Version der „Konkreten Kunst“. Im Traktat „die funktion der künste“ kritisiert er andere Strömungen, die als Motiv Weltangst und Aggression wählen und das abbildungshungrige Konsumbedürfnis bedienen würden. „die konkrete kunst ist der einzige positive beitrag gegen konsumzwang, verschleiss und allgemeine aggressivität.“
Auch durch praktisches Engagement wurde Bill bekannt. Er war Mitgründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung, die sich auf das seit der Schließung durch die Nazis legendär gewordene Bauhaus berief. Durch seine Bekanntschaft mit dem in den USA gebliebenen Walter Gropius dominierte er bald die Mitinitiatoren Inge Scholl und Otl Aicher und wurde 1955 für kurze Zeit der erste Rektor der HfG, die inzwischen selbst zum Mythos geworden ist. Max Bill entwarf das Gebäudeensemble, das heute unter Denkmalschutz steht. Dieses sein wichtigstes Architekturprojekt hätte man gerne in der Ausstellung kennengelernt, auch wenn man versteht, dass das MARTa angesichts der Vielseitigkeit des Geehrten den Mut zur Lücke aufbringen musste.
Bis 30. März, www.marta-herford.de, Katalog 28 €
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