Nachruf Václav Havel: Das Leben als Paradox
Nach langer Krankheit ist Václav Havel gestorben. Er war Staatsfeind, Mythos und Freund. Vor allem aber war er ein Mann der Wahrheit und der Menschenrechte.
PRAG taz | Über sich selbst sagte Václav Havel einmal, dass sein Leben sich aus einer "verdächtig großen Anzahl von Paradoxen" zusammensetze. Das wohl größte Paradox erlebte Havel 1989: das von der Ohnmacht zur Macht.
Noch zu Beginn des Jahres 1989 wurde Havel als "Feind des sozialistischen Regimes" verhaftet und eingesperrt. Zum Jahresende saß er schon als Präsident der Tschechoslowakischen Republik auf der Prager Burg, im Amt bestätigt von einem Parlament, das damals noch von Kommunisten kontrolliert wurde.
"Die Macht der Ohnmächtigen" lautete der Name eines Essays, das Havel während der "Normalisierung" verfasst hatte, der grauen Zeit der siebziger Jahre, in der die Moskau-treuen Kommunisten ihre Macht zementierten, die sie sich von den Reformern des Prager Frühlings im August 1968 so gewaltsam zurückerobert hatten.
Wirklich ohnmächtig war Václav Havel nur in den Jahren - insgesamt fünf -, in denen er in verschiedenen Gefängnissen eingeschlossen war. Draußen, in der relativen Freiheit seiner Wohnung am Prager Moldauufer und seiner "Chalupa" bei Hradecek am Fuße des Riesengebirges, war Havel zum Symbol des gewaltfreien Widerstands gegen den Kommunismus geworden: "Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht."
Er mochte die Demos nicht
Dabei war Havel ein stiller, fast schüchterner Mensch. Keiner, der sich unbedingt darum gerissen hatte, sich einem ganzen System zu stellen. "Havel war eher vorsichtig", erinnert sich der tschechische Schriftsteller Jáchym Topol, der in den achtziger Jahren als Teil der jungen Generation des tschechoslowakischen Dissens mit Havel zusammenarbeitete. "Unsere Demonstrationen fand er nicht so toll, er hatte Angst, dass das Regime mit Gewalt gegen uns vorgehen würde", sagt Topol.
Dabei schien das kommunistische System eigentlich immer mehr Angst vor Havel zu haben als umgekehrt. Kein Wunder, genoss Havel doch das, was den Machthabern in Prag oder auch in Moskau immer versagt geblieben war: Legitimität.
Früh machten die Kommunisten dem Sohn aus großbürgerlicher Familie das Leben schwer. Aus "Kadergründen" durfte Havel nur eine Lehre als Chemielaborant machen. Weil er dennoch sein Abitur nachholte, konnte Havel während des politischen Tauwetters der sechziger Jahre wenigstens extern Dramaturgie an der Kunsthochschule DAMU studieren.
Faszination Theater
Das Theater übte auf Havel eine lebenslange Faszination aus. Schon während seines Studiums engagierte er sich am Prager Theater am Geländer (Divadlo na zábradlí), in dem er auch seine erste Frau Olga kennenlernte, ein Arbeiterkind, das Havel, wie er selbst sagte, half, den "verlegenen Intellektuellen" in ihm zu überwinden. Nach Olgas Tod 1996 gab Havel selbst zu, sich verloren zu fühlen. Vielleicht heiratete er auch deswegen relativ schnell darauf seine langjährige Geliebte Dagmar Veskrnová, ein Schritt, den ihm viele Tschechen nie wirklich verziehen haben.
Mit dem Ende des Prager Frühlings 1968 kam auch das Aus für Havels Theaterlaufbahn. Die offizielle Normalisierungskultur hatte keinen Platz für intellektuelle Bürgerkinder und versuchte daher, Havel zum Proletarier umzupolen. Doch der zog sich, wie so damals viele Tschechen, in die innere Emigration zurück. Und auf sein Häuschen am Riesengebirge.
Hier entstanden in den siebziger Jahren die meisten seiner absurden Dramen, in denen er das System karikierte. Und die Essays. Und die Untergrundkultur, die 1977 in der Charta 77 mündete. Auslöser für die Gründung dieser kleinen, aber entschlossenen Bürgerbewegung war die Verhaftung der Dissidenten-Rocker der "Plastic People of the Universe".
Die Truppe um den Dichter, Schriftsteller und Enfant terrible des tschechoslowakischen Dissens, Ivan "Magor" (Narr) Jirous waren gern und oft gesehene Gäste in Havels Häuschen, sogar einige ihrer Aufnahmen entstanden dort. Der Tod seines Freundes und Weggefährten Ivan Jirous am 9. November hat Havel schwer getroffen.
Der Mythos Havel
"Man hat mich zum Mythos gemacht", sagte mir Havel bei einem Interview 1998. Zu diesem Zeitpunkt war er schon zum dritten Mal zum Präsidenten gewählt worden. Es dauerte eine Weile, bis sich Havel in der Rolle des Mythos zurechtgefunden hatte. Wer in Tschechien erinnert sich nicht an die ersten unbeholfenen Schritte Havels als Präsident in zu kurzen Hosen.
Der erste Enthusiasmus, den die Tschechen 1989 ihrem Dichterpräsidenten entgegenbrachten, legte sich relativ schnell. Havels "apolitische Politik" kam beim eher pragmatisch gesinnten Volk nicht so besonders gut an. Viele werfen ihm seine erste große präsidentielle Amnestie vor, im Laufe deren auch verurteilte Schwerverbrecher aus der Haft entlassen wurden.
Andere schimpfen, weil sich Havel zeit seiner insgesamt 13 Jahre dauernden Präsidentschaft weigerte, von seiner Überzeugung abzuweichen. "Menschenrechte sind allgemein und universal." Deshalb hielt er immer auf Distanz zu Russland und weigerte sich, mit den Chinesen überhaupt zu kommunizieren. Lieber lud er offiziell den Dalai Lama auf die Prager Burg ein, mit dem ihm auch eine große Freundschaft verband.
So stark Havels Geist auch war, der Körper war es nicht. Gesundheitlich ging es Václav Havel schon lange schlecht. Seitdem ihm bei einer Krebsoperation 1996 ein Lungenflügel entfernt wurde, litt er immer wieder unter starken Atemproblemen. Seiner schwindenden Gesundheit zum Trotz blieb Havel aktiv.
"Der Abgang"
Zum einen fasste er seine Erfahrungen in der hohen Politik im Drama "Der Abgang" zusammen, in dem er auch auf seine typische zurückhaltend-ironische Art mit seinem großen Widersacher abrechnete, Václav Klaus, der diametral anders gepolte zweite Mann des tschechischen Postkommunismus. Mit der Verfilmung des Dramas erfüllte sich Havel selbst noch einen großen Wunsch, den er schon in seiner Zeit im "Theater am Geländer" gehegt hatte: Er führte Regie.
Den großen Traum Václav Havels, dass sich in Tschechien eine richtige Bürgergesellschaft entwickeln werde, müssen jetzt andere verwirklichen. Václav Havel hat gesät und die Saat dann gepflegt. "Wahrheit und Liebe werden siegen über Lüge und Hass" war das Leitmotiv Václav Havels, dem er in seinem ganzen, so widersprüchlichen Leben treu geblieben ist.
Auf dass dieser Gedanke seinen Schöpfer überlebt. Am 18. Dezember ist Václav Havel im Alter von 75 Jahren in seinem Häuschen am Fuße des Riesengebirges gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren