Griechenland vor dem Abgrund : Schluss, aus, Feierabend

Papandreou hat die Vertrauensabstimmung gewonnen und will in der nächsten Woche ein neues Sparprogramm vorlegen. Doch die Menschen haben wenig Hoffnung.

Während im Parlament über die Zukunft des Ministerpräsidenten abgestimmt wurde, demonstrierte davor das Volk. Bild: dpa

ATHEN/THESSALONIKI taz | Mittwoch, eine Stunde nach Mitternacht – erst jetzt durfte Ministerpräsident Giorgos Papandreou aufatmen: Nach einer dramatischen Sitzung sprach ihm das griechische Parlament das Vertrauen aus. Es hätte auch danebengehen können.

Noch kurz vor der Abstimmung sorgte der für seine Attacken berühmt-berüchtigte Vizeregierungschef Theodoros Pangalos für einen Affront. Er hatte gesagt, dass es die erste demokratische Regierung Griechenlands erst 1981 mit den Sozialisten unter Andreas Papandreou gegeben habe.

Ein Schlag ins Gesicht der Konservativen. War es doch ihr Parteigründer und übermächtiger Landesvater Konstantinos Karamanlis, der 1974 die Demokratie in Griechenland wiederherstellte, die Kommunistische Partei erstmals legalisierte und die Rückkehr seines verhassten politischen Gegners Andreas Papandreou aus dem Exil überhaupt erst ermöglichte.

Nach diesem Affront verließen fast alle Abgeordneten der konservativen Opposition den Saal. Ministerpräsident Papandreou sprach später von einem "Missverständnis" und bat die Volksvertreter der Opposition ausdrücklich darum, in den Plenarsaal zurückzukehren, was diese auch taten.

Das Gerangel der Politiker lässt den 22-jährigen Constantinos kalt. Der Ausgang der Vertrauensabstimmung sei ihm egal, sagt der Informatikstudent. "Dann wäre eben jemand anders gekommen, der sich nicht um uns schert."

Mit dieser Ansicht ist Constantinos nicht allein. Seit 28 Tagen kampiert er auf der Straße, genauer: auf den Grünflächen rund um den Weißen Turm, das Wahrzeichen von Griechenlands zweitgrößter Stadt, Thessaloniki.

Angst vor der Zukunft

Mit ihm haben ein paar hundert weitere junge Erwachsene hier Zelte aufgestellt. An der Wand des Turms hängt der Slogan ,Aganaktismeni', auf Deutsch: Schluss, aus, Feierabend.

"Wir wollen keinen neuen Ministerpräsidenten, wir wollen direkte Demokratie und eine Regierung der Arbeiter", sagt die 29-jährige Georgia. Wogegen sie sind, da sind sich die Demonstranten einig. Wofür sie gemeinsam eintreten wollen, ist ungleich schwieriger herauszufinden. Das liegt auch daran, dass auf den Wiesen im Schatten des Weißen Turmes Angst die maßgebliche treibende Kraft ist.

"Ich habe studiert, einen Abschluss, aber habe nur einen Gelegenheitsjob", so Georgia. "Wegen der Krise ist mein ohnehin karger Lohn noch mal um ein Drittel gekürzt worden." Eine Familie zu gründen komme nicht infrage.

"Meine Eltern konnten mich noch zu einer guten Schule schicken", pflichtet ihr der junge Lehrer Costas bei. "Was werde ich meinen Kindern bieten können? Nichts."

"Wir müssen jetzt bluten"

Constantinos fürchtet, letztlich für die Arbeitslosigkeit zu studieren. Und die Mittvierzigerin Daphne, die 20 Jahre in Deutschland gelebt hat, glaubt nach zwei Jahren ohne Arbeit nicht mehr daran, im heutigen Griechenland noch einen Job finden zu können.

Armut ist für viele hier etwas Neues. "Wir haben doch nichts geklaut", sagt Daphne. "Die Regierung hat das Geld gestohlen, nicht wir einfachen Leute, die jetzt bluten müssen."

Anders als der Moloch Athen gilt der im Norden Griechenlands liegende, knapp eine Million Einwohner zählende Ballungsraum von Thessaloniki traditionell als aufgeräumt und wohlhabend. In Athen wird debattiert, heißt es hier, in Thessaloniki wird gearbeitet. Hier findet jeden Herbst Griechenlands wichtigste Handelsmesse statt.

Im Hafen werden Güter vom ganzen Balkan in alle Welt verfrachtet. Junge Unternehmer, die auf erneuerbare Energien und IT-Entwicklung setzen, haben sich in Thessaloniki angesiedelt. Jetzt droht die Krise alle Errungenschaften zunichtezumachen.

"Meine Mutter hat vierzig Jahre lang gearbeitet und gerade mal 400 Euro Rente bekommen", sagt Daphne. Vor einem Jahr wurde die Rente im Rahmen des Sparpakets um ein Viertel gekürzt.

Ins Ausland flüchten

"Ich sehe täglich, wie Eltern nicht mehr in der Lage sind, für die Erziehung ihrer Kinder zu bezahlen", klagt der Lehrer Costas.

Der arbeitslose Phillipp weiß, dass Familien im vergangenen kalten nordgriechischen Winter schon nicht mehr geheizt haben, weil das Heizöl zu teuer war. Jetzt soll es nochmals teurer werden. "Viele meiner Freunde planen, Griechenland zu verlassen und als Gastarbeiter irgendwo anders zu arbeiten."

Nicht nur die Kürzungen will niemand hier. Vom EU-Gipfel, der Donnerstag beginnt, will Georgia auch keine neuen Milliardenhilfen. "Wenn die Politiker weitere Milliarden bekommen, dann werden sie sie wie bisher zu ihrem eigenen Vorteil ausgeben." Selbst zweckgemäß verwendet, erreiche das Geld die Falschen.

"Dann werden Zinsen für alte Schulden bezahlt, während wir neue Zinsen für die dafür neu gemachten Schulden anhäufen - das ist doch Irrsinn, davon profitieren nur die Banken."

Neue Sparpläne

In Athen gelingt es Ministerpräsident Papandreou in der Nacht, die Parteidisziplin zu stärken, denn die Vertrauensabstimmung ist öffentlich und namentlich. 155 Parlamentarier stimmen schließlich für die Regierung, 143 Abgeordnete der Opposition verweigern ihr das Vertrauen.

In der kommenden Woche wird Ministerpräsident Papandreou das Parlament über ein neues Spar- und Privatisierungsprogramm abstimmen lassen; auch das ist eine Voraussetzung dafür, dass im Juli die Euro-Finanzminister die nächste Tranche des bereits vereinbarten Hilfspakets in Gesamthöhe von 110 Milliarden für Griechenland freigeben.

Zudem: Wenige Tage vor dieser wichtigen Abstimmung wackelt die Fünfstimmenmehrheit von Papandreou: Der nordgriechische Abgeordnete Alexandros Athanassiadis erklärt, er werde unter keinen Umständen für die neuen Sparmaßnahmen stimmen und sei sogar bereit zurückzutreten. Und selbst Chryssa Arapoglou, eine enge Vertraute des Ministerpräsidenten, äußert Bedenken gegen die Privatisierung staatlicher Unternehmen.

In Thessaloniki wird weiter der tägliche Protestzug beginnen. Wie jeden Abend, wenn die Sonne das Meer am Weißen Turm in rotes Licht taucht. Zu den Campern haben sich jetzt zahlreiche Angestellte gesellt, sie tragen noch Büroanzüge. Anders als in Athen muss hier niemand mit Unruhen rechnen.

"Ich arbeite, sonst wäre ich auch rund um die Uhr hier", sagt eine Mittvierzigerin im Hosenkleid, die für ein Handelsunternehmen arbeitet.

"So wie bisher kann es jedenfalls nicht weitergehen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.