Palmer will Grüne konservativer machen: Aufbruch in neue Milieus
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer stellt in einem Thesenpapier urgrüne Forderungen infrage, darunter das Adoptionsrecht für Lesben und Schwule.
BERLIN taz | Das Papier sei parteischädigend, sagten am Montag grüne Spitzenpolitiker. Die meisten wollen es jetzt in den Giftschrank sperren, öffentlich nicht über den Inhalt sprechen. Intern aber haben die fünf Thesen zum Thema "Grünes Wachstum – um welchen Preis" von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zu heftigen Auseinandersetzungen geführt.
Bei den Grünen ist eine bizarre Debatte darüber ausgebrochen, ob sich die Partei auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft, angesichts von Wahlergebnissen und Umfragewerten jenseits der 20 Prozent, von grünen Kernpositionen verabschieden müsse. Angestoßen hatte diese Diskussion unter anderem Boris Palmer mit einem internen Thesenpapier, das der taz vorliegt.
Darin schreibt er, dass "grünes Wachstum nicht ausschließlich im eigenen Lager möglich ist". Seine Partei könne in "relevantem Umfang in Wählerschichten vordringen, die bislang auf Union und FDP festgelegt waren". "Das gelingt gewiss nicht durch ein klares linkes Profil", heißt es weiter, denn die Fokussierung auf klassisch grüne Themen binde die Kernwählerschaft, verschrecke aber Neugrüne.
Wie diese programmatische Veränderung aussehen könnte, beschreibt Palmer provokant. "Das uneingeschränkte Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ist vorerst keine Forderung, mit der sich 25 Prozent der Deutschen gewinnen lassen." Auch nennt er Alkoholverbote in Innenstädten als Beispiel für eine programmatische Neuausrichtung.
Das trifft ins Herz linker Grüner. In der Sitzung des Parteirats am Montag vergangener Woche stießen die Thesen Palmers auf breite Ablehnung, wie Mitglieder berichten. Fraktionschefin Renate Künast habe gewarnt, das Papier könne schädigend für ihren Wahlkampf sein.
Künast, die im Herbst Regierende Bürgermeisterin Berlins werden will, distanzierte sich gegenüber der Nachrichtenagentur dpa von Palmers Thesen: "Die Grünen geben auch auf dem Weg, größer zu werden, ihre Kernpositionen und Werte nicht auf."
Auch der Bundesvorstand befasste sich am gestrigen Montag mit Palmers Papier. Dabei hätten einige Spitzenpolitiker seine Provokation gerügt, andere sich besonders darüber geärgert, dass das Papier an die Presse gelangt war, hieß es.
"Es war strikt ausgemacht, das nur intern zu besprechen", sagte Palmer zur taz. Er habe in der Sitzung des Parteirats betont, dass seine Thesen auch als Provokation gedacht seien. "Ich wollte die Debatte in Gang bringen, ob und wie wir uns als Partei programmatisch ändern müssen. Wie groß wollen wir sein und was folgt für uns daraus."
Dass er das Beispiel des Adoptionsrechts gewählt habe, bereue er. "Ich bin natürlich kein Schwulenhasser und nicht gegen das uneingeschränkte Adoptionsrecht für Schwule und Lesben", stellte er klar. Bei anderen Punkten müssten die Grünen ihre Positionen aber durchaus verändern.
Auch gegen diese These regt sich Widerstand. "Programmkorrekturen halte ich nicht für sinnvoll", sagte Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Partei. In bestimmten Bereichen vertrete man auf absehbare Zeit keine Mehrheitsmeinungen. "Das muss auch so bleiben. Wir erfüllen als Korrektiv eine wichtige Aufgabe in der gesellschaftlichen Debatte."
Auch Gesine Agena, Sprecherin der Grünen Jugend, sagte, man dürfe die Positionen nicht aufweichen: "Wir sind für und wegen dieser Positionen gewählt worden. Es wäre absurd, sie jetzt zu verwerfen."
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