Anwalt über Demos in Chemnitz: „Höckes Traum ist aufgegangen“
Jürgen Kasek rief zu Protesten am Samstag gegen die rechten Demonstrationen auf. Die Vereinigung von AfD mit Nazihooligans hält er für strategisches Kalkül.
taz: Herr Kasek, ihr Bündnis hat dazu aufgerufen, am Samstag in Chemnitz gegen die rechten Aufmärsche zu protestieren. Die konnten am Ende nicht wie geplant stattfinden. Sind Sie zufrieden?
Jürgen Kasek: Dem Aufruf des Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ sind so viele Menschen nachgekommen, dass die Züge nicht nur völlig überfüllt waren, sondern Hunderte Menschen auf den nächsten und übernächsten Zug warten mussten.
Wie viele waren denn am Ende in Chemnitz auf der Straße?
Ich bin mit Zahlen sehr vorsichtig, die Lage war schwer einzuschätzen. Insgesamt würde ich denken 4.000 bis 4.500.
Und wie viele waren davon aus Chemnitz?
Etwa die Hälfte würde ich schätzen.
Ist das viel oder wenig?
Traurigerweise ist das ein bisschen zu gering. Ich hätte mir noch mehr gewünscht. Die Chemnitzer Strukturen haben ihr Bestes versucht und man muss unbedingt anerkennen, dass sie es geschafft haben, in wenigen Tagen alles zu stemmen. Mehr als 70 Organisation haben aufgerufen. Aber man muss feststellen, dass breite Teile der Bevölkerung dem eben nicht gefolgt sind. Der Altersdurchschnitt beim Gegenprotest war sehr niedrig. Es waren viele junge Menschen unterwegs, denen es um ihre Zukunft geht, während auf der anderen Seite, bei AfD und Pegida vor allem die Rentnergeneration überwog, unterstützt durch die Naziszene.
Jürgen Kasek ist Rechtsanwalt in Leipzig, Grünen-Mitglied und bloggt unter https://juergenkasek.wordpress.com/
Die Polizei hat deren Zug nach weniger als der Hälfte der Strecke gestoppt, weil die Straße durch einige Hundert GegendemonstrantInnen blockiert wurde. Die Polizei hätte diese Blockade räumen können, aber darauf verzichtet. Hat sie das überrascht?
Von der Gegenkundgebung sind Menschen im Laufe des Nachmittags auf die Straße gelaufen, irgendwann hat man gemerkt, dass die Polizei das nicht offensiv unterbindet. Zwischendurch gab es kurz Unruhe, weil eine Polizeikolonne durchgefahren ist und viele dachten, nun wird womöglich geräumt. Stattdessen ist es gelungen, das als Spontanversammlung anzumelden.
Gab es eine politische Weisung, nach den Ereignissen am Montag den Gegenprotest nicht hart anzugehen?
Am Johannisplatz bei der Gegenkundgebung war die Polizei relativ entspannt. Das bayrische Unterstützungskommande (USK), dass die Menschen umstellt hat, hat sich nach 45 Minuten zurückgezogen. Man war offensichtlich darauf bedacht, keine Fehler zu machen. Ich glaube, dass die Maßgabe galt, beide Seiten weitgehend zu trennen und vorsichtig miteinander umzugehen. Als dann die Leute auf der Straße waren, fiel die Entscheidung so aus: Wir lassen das Ganze hier stehen und senden keine Bilder einer größeren Auseinandersetzung, die dann wieder den Eindruck vermitteln, man wolle den Gegenprotest offensiv verhindern. Als einmal ein Demonstrant eine Ansage machte und mit dem Megafon von „Bullen“ sprach, wurde er zwar von Bundespolizisten aus Rheinland-Pfalz umstellt, aber nur verwarnt, nicht angezeigt. Das kannte ich so nicht. Ich hab dann den Beamten gesagt, dass die Wortwahl eben auch damit zu tun hat, dass das Vertrauen in die sächsische Polizei nicht so groß ist. Dann haben die auch nur genickt.
Entgegen der angemeldeten Planung hat sich der offen nazistische Aufzug der Pro Chemnitz-Initiative mit dem bis dahin eher bürgerlichen Zug der AfD vereinigt. War das eine gewollte, symbolische Zäsur bei der Annäherung der AfD an die extreme Rechte?
Ja. Der Traum von Björn Höcke ist am Samstag aufgegangen: Die Verenigung der immer noch nach außen bürgerlich erscheinenden AfD mit dem harten Hooligan-Spektrum. Es ist eine strategisches Kalkül, dieses Milieu einzugliedern. Dann hat man am Ende eine Partei, die offen in den Parlamenten gegen die Minderheiten hetzt und die auf der Straße von Schlägertrupps unterstützt wird. Die Bilder, die wir da gestern gesehen haben, haben mich äußerst beunruhigt.
Welche Bilder genau?
Wie sich bürgerliche Menschen mit organisierten Neonazis und Hooligans offensiv aufeinander zu bewegen, zusammen stehen, keine Annäherungsprobleme und Zweifel haben – nicht einmal, wenn der Hitlergruß gezeigt wird.
Von wem geht diese Annäherung aus – vom Nazispektrum oder von der AfD?
Das ist die Zielrichtung des nationalistischen so genannten „Flügels“ in der AfD um Björn Höcke. Gemeinsam mit den Identitären und auch dem neurechten Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek stecken sie den Rahmen ab. Und dieser Rahmen sieht vor, die AfD halbwegs bürgerlich erscheinen zu lassen, aber auf der Straße alle anderen Spektren einzubeziehen. Es gab ja mal einen Abgrenzungsbeschluss der AfD zu Pegida, Identitären und Organisationen der Nazis. Das gilt nicht mehr. Auf der Straße vereinigt man sich und Gewalt ist dabei mit einkalkuliert.
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