Linkes Debatten-Magazin: Hoffen auf ein helles Wunder
Das kriselnde „Neue Deutschland“ startet online ein Portal für junge Linke. „Supernova“ will Betroffene und Aktivisten schreiben lassen.
Wenn sehr massereiche Sterne am Ende ihrer Lebenszeit explodieren, können sie noch einmal sehr hell aufleuchten. Sie können ihre Helligkeit um ein Milliardenfaches vergrößern und extrem viel Energie freisetzen. Supernova nennen Wissenschaftler dieses seltene Phänomen.
Je nach Betrachtung kann eine Supernova also ein helles Wunder sein. Oder der Anfang vom Ende.
Jan Brock glaubt an das Wunder. Er ist Videoredakteur bei der Tageszeitung Neues Deutschland. Seit zwei Jahren arbeitet er an einem Online-Lifestyle-Magazin für junge ND-Leser. Supernova soll es heißen und am Mittwoch starten. „Wir brauchen Platz für Neues, machen vorher Unsichtbares sichtbar, mit einer sehr hellen Explosion“, begründet Brock die Namenswahl.
Das Portal richtet sich an Menschen zwischen 20 und 40, die sich für linke Debatten interessieren: Bewegungen wie #MeToo oder die Seebrücke sollen diskutiert werden, Club- und Drogenkultur, Kunst und Musik. „Vielen Linken stellen sich beim Wort Lifestyle die Nackenhaare hoch“, sagt Christin Odoj, ebenfalls ND- und Supernova-Redakteurin. „Was wir mit dem Begriff ‚Lifestyle‘ meinen, ist: Wir werden uns nicht davor scheuen zu berichten, welche Turnschuhe man gerade auf Demos trägt.“
Große Konkurrenz
Viele Medienhäuser haben in den vergangenen Jahren Portale für Millennials gestartet, also Menschen zwischen 20 und 35. Schon lange betreibt die Süddeutsche Zeitung jetzt.de, 2015 startete SpiegelOnline Bento. Dazu kamen Orange vom Handelsblatt und ze.tt von der Zeit. ARD und ZDF starteten Funk, wo vor allem Videos fürs Netz produziert werden. Sie alle sollten auch Konkurrenz zu den US-Portalen sein: Buzzfeed und Vice, die eigene Redaktionen in Deutschland haben.
Die meisten dieser Redaktionen berichten bereits über Themen, die Linke interessieren: Sexismus, Rassismus, Identitäts- und Körperpolitik. Als vergangenen Montag der rechte Mob durch Chemnitz zog, waren es Videos von Vice und Watson, die in den sozialen Medien tausendfach geteilt wurden.
„Der entscheidende Unterschied zu den bestehenden Portalen ist: Wir sind bewegungsnah“, sagt Christin Odoj. Viele Artikel, die bei Supernova erscheinen werden, sollen nicht von der Redaktion, sondern von Aktivisten geschrieben werden – von der Antifa-Ortsgruppe bis zu großen Bewegungen wie BlackLivesMatter oder den Anti-Braunkohle-Protesten Ende Gelände.
Nur: Ist das noch Journalismus? Oder ein hübsch gestaltetes Online-Flugblatt?
„Ich halte nicht viel von einem Journalismusbegriff, der davon ausgeht, dass wir unseren LeserInnen die Welt erklären“, sagt Jan Brock. „Unsere Aufgabe ist es, Leuten zuzuhören, die unmittelbar erzählen können, was sie bewegt. Wir wollen denen eine Stimme geben, die sich dem kapitalistischen Irrsinn widersetzen.“ In dem Editorial, mit dem sie am Mittwoch online gehen, heißt es: „Eine andere Welt ist möglich.“ Auf der Supernova-Facebook-Seite schreiben sie: „Wir retten den Journalismus. Von links, feministisch, divers und mit Style.“
Kleine Redaktion, große Autorenschaft
Drei bis vier Texte sollen pro Woche bei Supernova erscheinen. In der Redaktion sind sie momentan zu dritt. Das ist nicht viel: Die Konkurrenz von Bento beschäftigt 20 feste Mitarbeiter, ze.tt 14. Allerdings hat auch ze.tt vor drei Jahren mit nur fünf Beschäftigten angefangen.
Das Neue Deutschland braucht dringend neue LeserInnen. Unter den überregionalen Tageszeitungen hat in den vergangenen Jahren nur die Bild stärker an LeserInnen verloren als das ND. Hatte das einstige Propagandablatt der SED vor der Wende noch eine Auflage von gut einer Million, liegt die heute noch bei rund 24.000 – Tendenz: stark sinkend. Die meisten Verluste, gut 60 Prozent, seien auf Tod und Krankheit der Abonnenten zurückzuführen, schrieb der Verlagsleiter Olaf Koppe gerade. Im vergangenen Jahr stand eine Insolvenz kurz bevor. Die Partei Die Linke, die Miteigentümerin der Zeitung ist, gibt der Zeitung noch wenige Jahre. Supernova soll also helfen, der Tageszeitung neuen Schwung zu geben.
Während viele andere Verlage ihre jungen Portale auch nutzen, um neue Werbeformen wie Native Advertising zu erproben, also als Journalismus getarnte Anzeigen, kommt das für Jan Brock nicht infrage. „Versteckte Anzeigen passen nicht zu unserem politischen Anspruch. Das würde uns unsere Leserschaft übelnehmen.“
Stattdessen will Brock mit Supernova freiwillige Bezahlmodelle ausprobieren. Für ein Jahr hat die Geschäftsführung zugesagt, die Webseite zu finanzieren, danach soll sie sich allein tragen. Wie genau, ob mit einem Förderclub, in den Leser einzahlen, oder mit einem Supernova-Printmagazin, ist noch unklar.
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