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Urteil zur Flüchtlingshilfe in FrankreichSolidarität ist keine Straftat

In Frankreich dürfen sich Helfer uneigennützig für Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis engagieren, so das Verfassungsgericht.

Das Urteil stellt auch einen persönlichen Triumph für Cédric Herrou dar Foto: dpa

Paris taz | Jetzt hat es Frankreichs Regierung schriftlich von der höchsten Gerichtsbarkeit der Republik bekommen: Flüchtlingen aus mitmenschlicher Regung zu helfen ist nicht illegal. Im Gegenteil, die „Brüderlichkeit“ (Fraternité) und damit Solidarität ist neben Freiheit und Gleichheit einer der drei Grundwerte der auf der Menschenrechtserklärung basierenden französischen Verfassung, mahnen die sieben Verfassungsrichter des Conseil constitutionnel.

Die Entscheidung geht auf den Fall des südfranzösischen Bauerns Cédric Herrou zurück. Er war mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten, als er im bergigen Hinterland der Riviera, unweit der Grenze zu Italien, immer wieder Flüchtlinge bei sich aufnahm oder sie mit seinem Fahrzeug transportierte. Als er erneut angeklagt wurde, hat er mit einer individuellen Klage beim Conseil constitutionnel verlangt, dass geprüft werde, ob diese Anschuldigung an sich überhaupt verfassungskonform sei.

Das französische Gesetz verbietet Hilfe für illegale Einreise oder Aufenthalt von Ausländern. Es sieht jedoch eine Ausnahme vor, wenn Menschen aus humanitären Gründen beim Aufenthalt helfen – etwa, indem sie Migranten Essen geben oder sie unterbringen. Bislang galt diese Ausnahme aber nicht für Fälle, in denen Menschen Migranten helfen, sich innerhalb Frankreichs fortzubewegen.

Der französische Gesetzgeber hatte bei einer kürzlichen Revision des Immigrations- und Asylrechts trotz Bedenken aus der linken Opposition, aber auch aus den Reihen der Regierungspartei La République en marche die „Kriminalisierung“ von humanitären Flüchtlingshelfern an der Grenze nur teilweise aufgehoben. In bestimmten Fällen blieb die Solidarität ein Delikt.

Humantitäres Motiv

Dass Cédric Herrou nun von den Verfassungsrichtern recht bekommen hat, ist ein Sieg für alle humanitären Helfer, die bisher ständig mit einer Strafklage rechnen mussten. Die Regierung und mit ihr erst recht alle rechten Kräfte, die sich für eine weitere oder gar verschärfte Strafverfolgung des „Solidaritätsdelikts“ einsetzten, werden damit bloßgestellt.

Der Verfassungsgrundsatz der „Fraternité“ definiert nach Auslegung des höchsten Gerichts eine „Freiheit, anderen aus humanitären Zielsetzungen zu helfen, ohne dabei deren legalen Aufenthalt auf dem nationalen Territorium berücksichtigen zu müssen“. Das heißt, wer Flüchtlingen in uneigennütziger Weise hilft, sie bei sich aufnimmt, ernährt oder in Frankreich weitertransportiert, kann deswegen keinesfalls belangt werden.

Das Urteil stellt einen persönlichen Triumph für Cédric Herrou dar. Er war im August 2017 vom Berufungsgericht von Aix-en-Provence zu einer Strafe von vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden, weil er rund 200 Geflüchtete aus Sudan und Eritrea an der italienischen Grenze abgeholt und in einem improvisierten Aufnahmezentrum auf seinem Hof beherbergt hatte.

Dasselbe Gericht hatte auch den Universitätsdozenten Pierre-Alain Mannoni zu einer Strafe verurteilt, weil er drei Flüchtlinge zu einem Bahnhof gebracht hatte. Mannoni hat sich wie mehrere humanitäre Organisationen wie La Cimade und die französische Menschenrechtsliga Herrous Verfassungsklage angeschlossen.

Bei der Revision des Asylrechts wollte die Regierung ursprünglich zwischen kriminellen Schlepperorganisationen, die aus finanziellen Interessen handeln, und Solidarität aus humanitären Gründen unterscheiden. Das ist ihr aber nach Ansicht des Verfassungsgerichts nur in unzulänglicher Weise gelungen. Es legt darum gegen bestimmte Formulierungen ein Veto ein. Das humanitäre Motiv des Beistands müsse das entscheidende Kriterium bleiben.

Nicht toleriert dagegen wird es weiterhin, Flüchtlingen beim illegalen Grenzübertritt zu helfen. Jede Form von Solidarität auf französischem Territorium aber kann nicht verboten werden.

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