Stuttgart-21-Anhörung im Bundestag: S21 auch ohne Tiefbahnhof
Gegner des Megaprojekts hoffen auf Bewegung in ihrem Kampf gegen den Tiefbahnhof. Unfreiwillige Schützenhilfe kommt von Thilo Sarrazin.
Obwohl der unterirdische Bahnhofsbau in Stuttgart finanziell völlig aus dem Ruder läuft, wollen Bundesregierung und Bahn-Manager daran festhalten. Statt der ursprünglich anvisierten rund 2,5 Milliarden Euro wird der Bau nach Schätzungen der Bahn inzwischen mindestens 8,2 Milliarden Euro kosten. „Wir gehen davon aus, dass die Kosten weit darüber liegen werden“, sagte Hannes Rockenbauch, der zu den Gründern der Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 gehört.
Bahnchef Richard Lutz hatte im April im Verkehrsausschuss des Bundestages erklärt, „mit dem Wissen von heute würde man das Projekt nicht mehr bauen“. Es sei ein politischer Skandal, unter diesen Umständen an dem Projekt festzuhalten, sagte Rockenbauch.
Das von ihm vorgestellte Umstiegsszenario sieht vor, etwa die Neubaustrecken zum Stuttgarter Bahnhof einzubeziehen. „Was gut ist, wollen wir nutzen, was nicht funktioniert, sparen wir uns“, sagte er. Die Umsetzung des Konzept würde Gesamtkosten verursachen, die etwa der Hälfte der aktuell von der Bahn veranschlagten entsprechen. Anlass der Anhörung war der Antrag „Ausstieg und Umstieg bei dem Bahnprojekt Stuttgart 21“ der Linkspartei im Bundestag.
Ermittlungen gegen Bahn-Aufsichtsräte wegen Untreue
Impulse für eine Abkehr von den ursprünglichen Plänen erhoffen sich die AktivistInnen auch von Ermittlungen gegen Bahn-Aufsichtsräte wegen Untreue. „Es geht um die Frage: Hat die enorme Kostenexplosion Konsequenzen für jemanden?“, so der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Neskovic. Die Stuttgart-21-GegnerInnen stützen ihre Forderung nach Ermittlungen gegen Aufsichtsräte der Bahn auf ein Gutachten des Jura-Professors Jens Bülte von der Universität Mannheim. Dieses lege die Aufnahme von Ermittlungen nahe, sagte Neskovic.
Eine taz-Anfrage zu möglichen Ermittlungen beantwortete die Berliner Staatsanwaltschaft nicht.
Thilo Sarrazin
Zu den Experten, die zur Anhörung im Verkehrsausschuss geladen wurden, gehörte – auf Vorschlag der AfD – auch Thilo Sarrazin, der bis Ende 2001 Netzvorstand der Deutschen Bahn und Chef der Konzernrevision war. Dieser erklärte, die Entscheidung für Stuttgart 21 im Jahr 2001 sei auf der Basis der Preise von 1998 erfolgt. Dabei seien die Standardbaukosten berücksichtigt worden, aber keine Risikofaktoren, wie sie durch Besonderheiten in Böden entstehen könnten. „Deshalb war von Anfang an klar, dass die Kosten wesentlich höher ausfallen würden“, so Sarrazin.
In seiner Stellungnahme schreibt der Ex-Bahnvorstand zudem, es sei „völlig klar“ gewesen“, dass „die wie immer berechnete Wirtschaftlichkeit des Projekts Stuttgart 21 in sich zusammenbrechen würde, wenn sich nur ein kleiner Teil der Risiken, etwa im Tunnelbau, materialisierte“. Trotzdem ist er aber dagegen, das Projekt Stuttgart 21 einzustellen – wegen des vielen Geldes, das bereits investiert wurde.
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