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Berliner Wochenkommentar IDas ist doch gar nicht links

Rot-Rot-Grün streicht die Hortgebühren für Erst- und Zweitklässler. Was sozial wirkt, ist in Wirklichkeit eine Entlastung der Gutverdienenden und der Mittelschicht.

Wer im August 2019 in die Schule kommt, kann ohne Zuzahlung in den Hort Foto: dpa

Es klingt erst mal wie eine soziale Maßnahme: Nach den Kitabeiträgen werden nun auch die Hortgebühren für Erst- und Zweitklässler abgeschafft. Das hat das Abgeordnetenhaus am Donnerstag beschlossen. Ab August 2019 müssen Eltern von jüngeren Grundschulkindern zur Nachmittagsbetreuung nichts mehr zuzahlen. Dass Bildung die Familien nichts kosten soll, diesem vor allem von der SPD angestrebten Ziel ist Berlin wieder einen Schritt näher gekommen.

Was auf den ersten Blick wie linke Politik anmutet, ist in Wirklichkeit eher das Gegenteil: eine Entlastung von gut Verdienenden und Mittelschicht. Schließlich sind die Beiträge, die Eltern bisher für den Hort bezahlen mussten, nach Einkommen gestaffelt. Eine Familie mit einem Einkommen von 22.500 Euro pro Jahr zahlt derzeit lediglich 14 Euro pro Monat, wenn sie den Nachwuchs bis um 16 Uhr im Hort lassen will. Eltern mit einem Jahreseinkommen von 40.000 Euro zahlen für die gleiche Betreuung 45 Euro pro Monat. Wer im Jahr mehr als 80.000 Euro verdient, muss 134 Euro überweisen. Letztere profitieren von der Abschaffung der Beiträge also ungleich mehr, obwohl sie das Geld am wenigsten nötig haben.

Die SPD-Formel der kostenlosen Bildung für alle ist zwar eingängig, führt im Ergebnis aber zu einer undifferenzierten Politik. Wenn das Soziale der Maßnahmen darin liegen sollte, Kinder aus Familien mit Hartz-IV-Bezug stärker in die Nachmittagsbetreuung zu bekommen, hätte es völlig ausgereicht, den Hort ohne Einschränkungen auch für sie zu öffnen – was das Abgeordnetenhaus am Donnerstag für die Erst- und Zweitklässler übrigens ebenfalls beschlossen hat.

Das Traurige an der Sache: Man wird das Rad auf absehbare Zeit nicht zurückdrehen können. Im Moment hat Berlin viel Geld im Haushalt. Aber wer sagt, dass das in fünf Jahren noch genauso ist? Politiker machen sich mit der Abschaffung von Beiträgen oder Steuern gerne beliebt. Sie zu erhöhen oder gar einzuführen ist weitaus schwieriger, steht doch früher oder später immer eine Wahl an, bei der man auf Stimmen angewiesen ist. So schön es für die einzelnen Familien ist, wenn sie jetzt für den Hort nichts mehr zuzahlen müssen – dem Gemeinwesen schadet Rot-Rot-Grün damit.

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7 Kommentare

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  • Die Abschaffung der Gebühren ist total links.

     

    Es ist ein Schritt zur Verringerung des Gender-Gaps, weil die Schwelle, ab wann es sich für Ehefrauen von gutverdienenden Männern lohnt zu arbeiten, gesenkt bzw. wegfällt.

     

    Wenn man für den 450-€-Job erstmal 134 € Hort-Gebühren zahlt, überlegt frau zweimal, ob es sich lohnt.

     

    22.500 € Jahreseinkommen bedeutet Hartz-IV-Niveau. Hatz-IV-Empfängern erleichtert es auch das LEben, wenn 14 € wegfallen.

     

    Es sorgt für eine bessere Integration von Migranten-Kindern, weil vielleicht ein Punkt wegfällt, der die Eltern davon abhielt, ihre Kinder in den Hort zu schicken.

     

    Es schafft bessere Rahmenbedingungen, dass Mittelschichtskinder im Hort ggf. länger zusammen mit Unterschichtskindern Zeit verbringen.

     

    Wenn das keine linken Werte sind, dann weiß ich auch nicht.

    • @rero:

      Wenn Die Ehefrau eines gut verdienenden Mannes für 450 Euro arbeitet, warum ziehen Siedann die 134 Euro Hortgebühren von ihrem und nicht vom Gehalt des Mannes ab? Die Logik verstehe ich nicht?

      22 500 € Jaheseinkommen ist auch nicht gleich Hartz4-Niveau - zumindest nicht für Alleinstehende oder Paaren mit einem Kind, selbst bei zweien nicht zwingend.

      • @mlevi:

        Die 22.500 durch 12 sind 1875 € monatlich.

        Ein Paar mit einem Kind haben Sie einen Regelbedarf für alle drei von 1002,- €. Bei zwei Kindern ist man mindestens bei 1242,- €.

         

        Hinzukommt die Miete mit einem Durchschnittswert von 605,- € sowie Heizkosten mit rund 90,- oder 100,- € - je nach Art der Heizung und der Gebäudegröße.

         

        Bei zwei Kindern darf die Wohnung entsprechend größer sein. Schon mit dieser dann sehr kleinen Wohnung ist man bei monatlich 1937,- € über einem Jahreseinkommen von 22.500 €

         

        Die 134 € können Sie abziehen, wo Sie wollen. Es ändert nichts daran, dass natürlich jedes Paar erstmal kalkuliert, ob es sich bei den Betreuungskosten überhaupt lohnt, dass auch frau arbeitet.

         

        Hier die Schwelle niedriger zu machen bzw. aufzulösen, ist eindeutig ein Schritt zur Gleichstellung (und Unabhängigkeit) der Frau.

        • @rero:

          Es ist nicht “links“, Arme um 14€ zu entlasten und Reiche um 140€.

           

          Ausserdem kann man davon ausgehen, dass die Sozialbehörden Wege finden werden, den Armen den verringerten Bedarf wieder abzuziehen.

           

          Wessen Interessen vertreten Sie da eigentlich?

  • Lederers Klientelpolitik...

    Wird Zeit, dass eine wirklich linke Sammlungsbewegung der Nenn-"Linken" Feuer unterm Hintern macht.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...jaja, die SPD. Zeitungsausträger bekommen in Zukunft den Mindestlohn, gut so, gleichzeitig zahlt der Arbeitgeber nur noch 5 %, statt wie bisher 15 %, in die Rentenkasse.

    Die SPD ist ja sowas von 'sozial'.

    Ich sage nur, aus Hartz IV nichts gelernt.

  • Keine Entlastung für die Mittelschicht! Die sollen mal schön schuften und Zahlen!