Handelsabkommen Mercosur: EU macht Weg für Hormonfleisch frei
Das Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten ist auf der Zielgeraden. Vor allem die Agroindustrie Südamerikas hofft auf Marktzugänge.
Von Optimismus ist keine Rede mehr. Trotz Schweigegebots ist durchgesickert, dass die Verhandlungen in der paraguayischen Hauptstadt Asunción wohl andauern werden. Nach der Ankündigung, bereits zur WTO-Ministerkonferenz im Dezember einen Vertrag vorzulegen, ist den Verhandlern nun bewusst, dass die wirtschaftlichen Interessen der beiden Seiten vor allem in der Landwirtschaft sehr strittig sind. Vertreter der Zivilgesellschaft weisen zudem darauf hin, dass alle Vorlagen für eine Einigung unter ökologischen wie sozialen Gesichtspunkten sehr fragwürdig sind.
Ziel der Verhandlungen ist die Etablierung und Vertiefung von klassischen Freihandelsregeln. Das bedeutet den gegenseitigen Abbau von Einfuhrzöllen, die Ausweitung von Importquoten sowie den Abbau weiterer Handelsschranken. Zum Beispiel möchte die EU ihre Automobilexporte Richtung Südamerika ausweiten. Brasilien stemmt sich gegen neue Konkurrenz auf diesem Markt und fürchtet Einbußen für die eigene Autoindustrie, die auf regionalen Export setzt.
Zudem fordert die EU für ihre Pharmaindustrie eine Verschärfung des Patentrechts für Medikamente. In den Mercosur-Staaten dürfte dies zu Preissteigerungen und damit zu einer Gefährdung der öffentlichen Gesundheitsversorgung bei bedürftigen Menschen führen.
Treibende Kraft sind europäische Exportstaaten
Die in Lateinamerika übliche Herstellung von Generika-Medikamenten wäre damit in Frage gestellt. Eine Studie der brasilianischen Forschungseinrichtung Fiocruz kommt zu dem Schluss, dass die von der EU vorgeschlagenen Freihandelsregeln im Patentrecht dem öffentlichen Gesundheitssystem Brasiliens bei der Behandlung von HIV und Hepatitis C jährlich Mehrkosten von mindestens 520 Millionen Euro verursachen würden.
Treibende Kraft hinter den Verhandlungen, die vor über 20 Jahren begannen und nie richtig vorankamen, sind die europäischen Exportstaaten, vor allem Deutschland. Auch die Mercosur-Staaten setzen auf Export, etwa bei Agrarprodukten und mineralischen Rohstoffen. Es handelt sich um die Festschreibung althergebrachter Handelsstrukturen: Die EU setzt auf Industrieexporte, während die Staaten des Südens ihre Rolle als Rohstofflieferant festigen und damit zugleich den Aufbau einer eigenen Industrie erschweren.
Es ist davon auszugehen, dass die protektionistische Haltung der USA beide Seiten motiviert, jetzt so schnell wie möglich einen Freihandelsvertrag abzuschließen. Hinzu kommt der radikale Rechtsruck in den beiden wichtigsten Mercosur-Staaten Brasilien und Argentinien. Zwar waren auch die vorherigen Mitte-Links-Regierungen durchaus freihandelsorientiert. Aber sie pochten auf die nationalen wirtschaftlichen Interessen und ließen sich nicht ohne Weiteres über den Tisch ziehen. Die jetzigen neoliberalen Regierungen beider Länder setzen hingegen auf Auslandsinvestitionen und den Rückbau staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft, sodass einem Freihandelsabkommen nach Geschmack der EU nichts mehr im Wege stehen dürfte.
Wichtigster Streitpunkt ist der Agrarexport. Der Mercosur beharrt darauf, bessere Einfuhrquoten für Rindfleisch und andere Produkte seiner Agroindustrie auszuhandeln. Dagegen laufen europäische Landwirte Sturm, die mit den Monokulturen in Südamerika kaum konkurrieren können. Auch Umweltschützer und Menschenrechtler sind gegen Vorzugsbedingungen für die Landwirtschaft im Süden. Denn sie setzt auf Gentechnologie, sorgt für Abholzung im großen Stil und ist verantwortlich für weitere Umweltsünden sowie die gewaltsame Vertreibung von Indigenen und Kleinbauern.
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, warnt vor diesem Abkommen: „Werden die Diskussionsvorlagen einmal Vertrag, dann heißt es freie Fahrt für Gentech-Soja und andere mit Pestiziden hoch belastete Rohstoffe, Agro-Treibstoffe aus zweifelhaften Quellen sowie Tonnagen von Hormon- und Gammelfleisch.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja