Kommentar 'Ndrangheta-Verhaftungen: Die Mafia ist in Deutschland zuhause
160 verdächtige Mitglieder eines 'Ndrangheta-Clans wurden verhaftet. Die ökonomische Macht der kalabrischen Mafia ist ungebrochen.
I m dem BKA-Bericht „Analyse zur Präsenz der 'Ndrangheta in Deutschland“ aus dem Jahr 2008 sind dem Clan Farao und seinen Aktivitäten in Deutschland 26 Seiten gewidmet, auch der Name Marincola taucht in diesem Zusammenhang gehäuft auf.
Wenn also nun die Verhaftung von mehr als 160 verdächtigen Mitgliedern des 'Ndrangheta-Clans Farao-Marincola bekannt gegeben wird – darunter in Deutschland 11 Mitglieder dieser im süditalienischen Kalabrien beheimaten kriminellen Organisation – kann das kaum überraschen.
Die 'Ndrangheta hat in Deutschland, man denke an das Massaker von Duisburg 2007, schon eine etwas längere Geschichte. Die 'Ndrangheta ist die mächtigste und in gewissem Sinne sogar einzige verbliebene Mafia Italiens, die in den letzten Jahren ihre Machtstellung nicht nur erhalten, sondern global ausgebaut hat. Sie kontrolliert weite Teile Kalabriens – darunter den wichtigen Containerhafen von Gioia Tauro, einen der zentralen Zulieferhäfen für Kokain.
Die 'Ndrangheta ist der unmittelbare europäische Ansprechpartner der südamerikanischen Kartelle. Ein besseres Geschäft als das mit der Droge gibt es nicht, aber es ist bei weitem nicht das einzige Business. Die Drogenmilliarden heizen vielmehr die Diversifizierung des mafiösen Geschäftsmodells an, die Kohle muss ja irgendwo hin: in die Baubranche, in Immobilien, in die Gastronomie, in die Landwirtschaft Kalabriens und in die europaweite Belieferung mit ihren Erzeugnissen.
In ihrer Heimat, ergaben die Ermittlungen, muss der Einzelhandel sogar das Brot von mafiösen Firmen kaufen, in Deutschland werden italienische, aber auch andere Restaurants erpresst, Wein, Süßwaren, vorgefertigte Pizza und weitere Leckereien abzunehmen. Ziel ist dabei immer das Monopol, die totale Kontrolle.
'Ndrangheta zielt auf die oberen Gesellschaftsklassen
Die Verhaftungen seien „ein wichtiger Erfolg gegen die Unterwanderung unserer Wirtschaft“, sagt nun Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). „Wir lassen es nicht zu, dass kriminelle Organisationen wie die Ndrangheta Deutschland als Rückzugs- und Investitionsraum nutzen und hier ihr kriminelles Geschäft erledigen.“ Dafür ist es natürlich zu spät. Die 'Ndrangheta hat sich längst in Deutschlands Mitte eingekauft, besitzt insbesondere im Osten wahre Gastronomie-Imperien.
Kapital ist ein scheues Reh und im boomenden Deutschland ein so gern investierter wie gesehener Gast. Wer denkt, dass seien doch letztlich nur Milliarden-Peanuts und Panikmache, der könnte genau hinhören, wenn die Carabinieri den Begriff „radikal“ benutzen, was die Methoden, vor allem aber was die Zielsetzung der 'Ndrangheta angeht. In Deutschland beschäftigen die Mafiosi inzwischen ganze Anwaltskanzleien, die jede kritische Berichterstattung sehr genau beobachten und gerichtlich zu verhindern versuchen – koste es, was es wolle, Geld haben sie ja nun wirklich genug.
Die 'Ndrangheta ist hierzulande längst aus dem Schatten herausgetreten, überlässt den Kleinkram etwa armenischen Kriminellen. Sie selbst zielt auf die oberen Gesellschaftsklassen, auf die Entscheider. Nicht umsonst wurde in Italien der Präsident der Provinz Crotone verhaftet und mit ihm drei Bürgermeister. Dass zu den unter Mafiaverdacht Festgenommenen auch der Stuttgarter Gastronom Mario L. zählt, ist unter diesem Blickwinkel mehr als eine Fußnote aus der fernen Vergangenheit.
Über den Kontakt zu seinem ehemaligen Duzfreund Mario L. wäre in den 1990er-Jahren immerhin fast der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Baden-Württemberg, der spätere Ministerpräsident und EU-Kommissar Günther Oettinger gestolpert. Die Ndrangheta ist hier und sie ist nicht mit der Schrotflinte unterwegs, sondern mit Laptop und Aktentaschen voller potenzieller Parteispenden. Mal sehen, ob sich das nun mal rumspricht: in den Medien, in der Politik und nicht zuletzt in der Justiz.
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