Rechtspopulisten im Bundestag: Der erste richtige Auftritt der AfD
In der ersten regulären Sitzungswoche im Parlament provoziert die AfD mit rechten Sprüchen. Die Anderen springen über das Stöckchen.
Weidel, eine der beiden ChefInnen der Fraktion, geht zum Redepult, stellt sich dort wie immer kerzengerade auf und zitiert Helmut Kohl: „Nach den vertraglichen Regeln zum Euro gibt es keine Haftung der Gemeinschaft für Verbindlichkeiten der Mitgliedsstaaten und keine zusätzlichen Finanztransfers.“ So, sagt Weidel, sei es den Wählern versprochen worden. „Aber offensichtlich ist es Ihnen, die hier schon länger sitzen, egal, was Sie den Bürgern versprechen.“ Weidels Ton ist von Beginn an scharf, er unterscheidet sich kaum von den Reden, die sie im Wahlkampf gehalten hat.
Die Politik sei „verantwortungslos“, „unmoralisch“ und „rechtswidrig“, die Bürger würden „kalt enteignet“, die Anleihenkäufe seien „verfassungswidrig und verstoßen gegen europäisches Vertragsrecht“. So geht es sechs Minuten lang, immer wieder unterbrochen vom Applaus der AfD-Fraktion, die sich zunehmend begeistert. Am Ende sagt Weidel: „Die Bürger haben es satt, eine abgehobene Politik der arroganten Gutsherrenart auszuhalten und es muss nun endlich wieder zur Rechtsstaatlichkeit zurückgekehrt werden.“ Als sie zu ihrem Platz geht, stehen die AfD-Abgeordneten auf und klatschen sich in Euphorie. Die anderen schauen irritiert bis entsetzt. Auch für sie ist es eine Premiere: Wie mit der AfD umgehen?
Eckhard Rehberg, CDU-Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, fällt die Aufgabe zu, als erster auf Weidel zu antworten. Er wirft ihr eine Tonlage wie jener von Erich Honecker oder Walter Ulbricht vor und dass sie gegen Europa hetze, „eine 70jährige Friedensgeschichte“. Doch Rehberg geht, wie alle folgenden RednerInnen, auch inhaltlich auf den Antrag ein: „Sie fordern den Bundestag zum Rechtsbruch gegen die Unabhängigkeit der EZB auf.“ Dafür erhält er Applaus von Ex-Jamaika bis zur SPD.
„Blockparteigequatsche ist das“, ruft einer aus der AfD-Fraktion dazwischen. Rehberg hält inne. „Wissen Sie, ein bisschen Benehmen gehört im Bundestag mit dazu“, entgegnet er unter Applaus. Dann fährt er fort. „Vertragsbruch“ tönt es jetzt aus den Reihen der AfD, auch Weidel ruft dazwischen. „Frau Kollegin Weidel“, entgegnet Rehberg, „Sie suggerieren in ihrem Antrag, dass das Bundesverfassungsgericht ihren Aussagen Recht gibt. Mitnichten ist das so. Sie tricksen mit wörtlicher Rede. Das ist infam.“
„Gerichtshuren“ im „Unrechtsstaat“?
Die SPD-Politikerin Bettina Hagedorn verweist darauf, dass der AfD-Abgeordnete Peter Böhringer als erster auf dem Antrag stehe. Dieser habe das deutsche Gerichtswesen „Gerichtshuren“ genannt, die Bundesrepublik einen „Unrechtsstaat“ und das Bundesverfassungsgericht ein „deutsches Systemgericht“. Das zeige: Das Vorgehen der AfD sei scheinheilig. FDP-Mann Otto Fricke räumt ein, dass der Antrag der AfD durchaus kritische Punkte anspreche. Aber er suggeriere auch, dass dies den Rest des Bundestags nicht interessiere. Das zerstöre das Vertrauen in das Parlament.
Der Grüne Manuel Sarrazin betont, dass das Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden habe, dass die Eurorettung rechtskonform sei. „Wollen Sie dem Bundesverfassungsgericht widersprechen?“, sagt er Richtung AfD. „Ja“, schallt es zurück. Nicht einer ruft das, sondern mehrere. „Wollen Sie damit die Gewaltenteilung in diesem Land in Frage stellen? Machen Sie sich zum Richter über das, was Recht ist und was nicht?“ Die AfD, so Sarrazin, stehe nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Applaus von Ex-Jamaika bis SPD. Hier klappt es ganz gut mit der Abgrenzung von der AfD.
Schwieriger hat es Andrej Hunko von der Linkspartei. Als er sagt, dass die Eurozone von Beginn an eine Fehlkonstruktion gewesen sei, klatschen seine Fraktion – und die Rechtspopulisten. Als er ausführt , dass der AfD-Antrag mit Blick auf den rechtlichen Rahmen „fanatisch“ sei, aber kein einziges wirtschaftspolitisches Argument enthalte, ist das vorbei.
AfD jubelt auf Twitter
In den sozialen Netzwerken wird die AfD später posten, dass Weidel eine fulminante Rede gehalten habe und fordert zum Weiterverbreiten des Mitschnitts auf. „Ein Wahnsinnseinstieg! Super gemacht @AliceWeidel“, schreibt einer der Abgeordneten auf Twitter. Davon, dass Weidels Co-Fraktionschef Gauland versprochen hatte, im Parlament herrsche ein anderer Ton als im Wahlkampf, ist nicht die Rede.
Schon am Vormittag, als der Bundestag über die Verlängerung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr berät, streuen Redner der AfD Provokationen ein. Jan Nolte sagt mit Blick auf die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge durch deutsche Soldaten im Mittelmeer, dass dies „unsere Bundeswehr zum Schlepper macht“. Norbert Kleinwächter kritisiert, man könne nicht den IS zum Feind erklären und gleichzeitig sagen, dass der Islam zu Deutschland gehört. Und Gauland stellt den Afghanistan-Einsatz unter anderem deshalb als Misserfolg da, weil im vergangenen Jahr 227.000 Afghanen einen Asylantrag in Deutschland gestellt hätten und damit 42 Mal mehr als zum Höhepunkt der Taliban-Herrschaft.
„Und jetzt, verehrte Bundesregierung und Frau Verteidigungsministerin, wollen Sie erneut deutsche Soldaten zur Staatenrettung nach Afghanistan schicken, während afghanische Flüchtlinge auf dem Ku'damm Kaffee trinken, anstatt beim Wiederaufbau ihres Landes zu helfen.“ Am Ende stimmt die AfD zu, dass drei der fünf Entscheidungen zur Beratung in den Hauptausschuss des Bundestages verlagert werden. Afghanistan und Syrien gehören nicht dazu.
Nur die Linke geht nicht darauf ein
Die meisten Abgeordneten springen an diesem Vormittag über die Stöckchen, die die AfD ihnen hinhält: Fast alle gehen in einem Schlenker auf die Provokationen ein. Die erste, die dies nicht tut, ist die Linkenpolitikerin Sevim Dagdelen. Sie wird – wie später ihr Parteifreund – von der AfD beklatscht.
Die Debatte geht am heutigen Mittwoch weiter. Am Mittag befasst sich der Bundestag mit der Verlängerung von zwei weiteren Auslandseinsätzen. Am späten Nachmittag steht dann der zweite Antrag der AfD auf der Tagesordnung: „Rückführung syrischer Flüchtlinge“ heißt er und fordert die Bundesregierung auf, ein Rückreiseabkommen mit der syrischen Regierung zu schließen.
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