Polizeipräsident über Ende Gelände: „Ziviler Ungehorsam klingt harmlos“
Polizeigewalt gegen friedliche AktivistInnen beim Klimaprotest? Die hat er nicht gesehen, sagt Aachens Polizeichef Dirk Weinspach.
taz: Herr Weinspach, Sie haben einen Großeinsatz hinter sich, bei dem es im Vorfeld viele Warnungen vor Gewalt und Straftaten gab. Sind Sie mit dem Verlauf zufrieden?
Dirk Weinspach: Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass das Ganze ausschließlich friedlich bleibt und ein polizeiliches Einschreiten gar nicht nötig gewesen wäre, wie es zum Beispiel bei der beeindruckenden Demonstration „Rote Linie“ mit 3.000 DemonstrantInnen der Fall war. Aber von Teilen des Protestspektrums waren Straftaten angekündigt worden, zu denen es in überschaubarem Rahmen auch gekommen ist. Dagegen mussten wir vorgehen. Wir haben aber darauf geachtet, Verhältnismäßigkeit zu wahren.
Das ist aber nicht überall gelungen. Wir haben beobachtet, wie Einzelne mit Schlagstöcken auf Kopfhöhe von DemonstrantInnen zugeschlagen haben, nur um sie am Weitergehen zu hindern. Ist das auch verhältnismäßig?
Ich selbst habe solche Szenen nicht gesehen, obwohl ich, wenn es irgendwie ging, vor Ort war. Insgesamt war mein Eindruck, dass unsere Linie von den KollegInnen konsequent umgesetzt worden ist.
Was für eine Linie war das?
Eine deeskalierende. Die KollegInnen trugen, wenn möglich, keine Helme. Sie haben bei Gleisräumungen immer wieder gefragt, ob die Betreffenden nicht selbst gehen wollen. Die polizeilichen Zwangsmittel sollten nur da, wo es unbedingt nötig ist, eingesetzt werden. Aber irgendwann muss die Polizei auch die Mittel nutzen, die ihr von Rechts wegen zugewiesen sind, etwa um Straftaten zu verhindern oder aufzuklären.
Die Straftaten waren ja vor allem friedliche Gleisbesetzungen. Im Vorfeld sind aber Parallelen zu den Ausschreitungen bei G20 an die Wand gemalt worden. War das eine Fehleinschätzung?
Ich habe noch keine vollständige Übersicht. Aber ich habe im Vorfeld immer gesagt: Wir haben keine Anhaltspunkte für Hamburger Verhältnisse. Wir können zwar nicht völlig ausschließen, dass vereinzelt Personen oder Kleinstgruppen aus diesem Spektrum auch hierher kommen. Aber wir sind davon ausgegangen, dass der Großteil der Menschen hier friedlich demonstrieren will und dass auch diejenigen, die den verniedlichenden Begriff des zivilen Ungehorsams benutzen, keine massiven GewalttäterInnen sind.
Was halten Sie denn von zivilem Ungehorsam?
Das klingt so harmlos. Aber wenn Sie zum Beispiel die mit Stroh gefüllten Säcke nehmen, die Sie da drüben liegen sehen: diejenigen, die zivilen Ungehorsam als legitim ansehen, erzählen, dass man sich darauf legen kann. Aber unsere Erfahrung ist, dass sie tatsächlich vor den Körper gehalten werden, um KollegInnen umzurennen oder sie zur Seite zu drücken.
Der 1959 geborene Jurist ist seit 2014 Polizeipräsident in Aachen. In dieser Funktion trug er am Wochenende die Verantwortung für den Polizeieinsatz bei den Kohle-Protesten. Zuvor war Weinspach im nordrhein-westfälischen Innenministerium tätig und leitete beim Verfassungsschutz das Referat für die Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Ihre Beamten sind doch gut gepanzert.
Gewalt ist Gewalt. Eine Polizeikette „umfließen“ oder „durchfließen“ – diese Begriffe sind unglaublich beschönigend. Das ist kein liebes Durchfließen, das ist ein grobes und aggressives Wegstoßen. Wenn ein Kollege plötzlich hinfällt und massenweise Personen über ihn drüberlaufen, ist da ein unglaublicher Druck dahinter. Auch die Betreffenden selbst haben das nicht mehr im Griff.
Ist das hier passiert?
Nein, weil wir das dieses Jahr verhindert haben. Aber bei der Tagebau-Besetzung 2015 habe ich solche Bilder gesehen. Um also auf Ihre Fragen zu antworten, was ich von zivilem Ungehorsam halte: Ich bin gegen die Kriminalisierung eines ganzen Spektrums. Aber ich bin auch gegen die Bagatellisierung von Straftaten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch