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Wahl im IranUnd dann tanzen sie

Vor der Wahl am Freitag hoffen viele junge Iraner auf zaghafte Reformen. Für ihre Freiheit kämpfen sie lieber im Privaten.

Anhängerinnen des iranischen Präsidenten Rohani bei einer Wahlkampfveranstaltung in Teheran Foto: dpa

Karadsch/Teheran taz | Der Tag, an dem Samira Nafisi geboren wurde, war ein guter Tag. Der Iran-Irak-Krieg war faktisch zu Ende am 19. Juli 1988, am Vortag hatte Iran den Waffenstillstand akzeptiert. Dann ging für sie alles erst mal bergab. Als Fünfjährige wollte sie sich die Fingernägel anmalen. Durfte sie nicht. Mit 14 musste sie einen Tschador tragen, den schwarzen Ganzkörperschleier, bei dem nur das Gesicht frei bleibt. Wollte sie nicht. Aber was galt schon ihr Willen. Ihr Vater sagte ihr, was sie zu tun hatte.

Heute sind ihre langen Fingernägel rot-weiß-orange bemalt und ihre Lippen rot. Sie trägt schwarze Lackschuhe, ein dunkelbrauner Schal liegt locker über ihrem Haar. Es ist etwas passiert, mit ihr, aber auch mit ihrem Land. Und Äußerlichkeiten sind dabei gar nicht das Wichtigste. Wobei Äußerlichkeiten hier wichtiger sind als anderswo, weil alles politisch ist. Nicht zuletzt die Frage, wie sich jemand anzieht.

Samira Nafisi heißt eigentlich anders. Ihr Name wurde in diesem Text geändert, weil sie noch Dinge sagen wird, für die man in der Islamischen Republik Iran großen Ärger bekommen kann. Wer in ihr Leben eintaucht, erlebt ein Land, das anders ist, als es sich viele im Westen vorstellen. Wer sie und andere jungen Iraner begleitet – wie den Geschäftsmann Ali Asadi und seine Freunde –, versteht, wieso es nur sachte Veränderungen gibt. Wie sich junge Leute freikämpfen, ohne dass ihr Land viel freier wird.

Am Freitag wird in Iran der Präsident gewählt, zum zwölften Mal seit 1979. Wie immer wurden die Kandidaten fein ausgewählt. Von mehr als 1.600 Männern und Frauen, die sich einschrieben, ließ der Wächterrat sechs Männer zu. Darunter der jetzige Präsident Hassan Rohani, ein Pragmatiker, dessen größte politische Leistung es ist, das Atomabkommen mit dem Westen ausgehandelt zu haben. Er hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Aber sicher ist sein Sieg nicht, Wahlentscheidungen fällen die Iraner immer sehr kurzfristig. Und auch Samira Nafisi zweifelt.

An diesem Morgen ist sie mit zwei Freundinnen unterwegs. Sie wollen in ein Café, frühstücken. Der Verkehr in Karadsch, einer Millionenstadt, die inzwischen fast mit Teheran zusammengewachsen ist, stockt. Die Frau am Steuer des roten Van tippt auf ihrem Smartphone herum und hält es dann ans Ohr. „Es gibt hier eine Regel, dass man das darf, wenn man weniger als 30 km/h fährt“, sagt sie. Es klingt entschuldigend.

Hunde auf Instagram

„Wenn das eine Regel ist, ist das eine schlechte Regel, man sollte sie nicht einhalten.“ Samira Nafisi auf der Rückbank weiß, dass sie nicht die beste Ratgeberin ist, ihren Führerschein hat sie erst im fünften Versuch geschafft. Aber mit Regeln kennt sie sich aus, wie alle hier hat sie gelernt, diese zu umgehen.

Und schon sind sie mitten drin in einer Diskussion. Die Frau am Steuer, nennen wir sie Neda, sagt: „Es ist nicht alles schlecht hier, Iran ist ein gutes Land. Klar, wir haben Probleme, wie jedes andere Land auch.“ – „Vielleicht ein paar mehr“, sagt Samira von hinten. – „Jedes Land hat Probleme.“ – „Wir haben 50 Prozent mehr.“ Neda sagt nichts mehr, sie singt zusammen mit Laura Fabienne aus dem Lautsprecher „Je t’aime“, ihre Großmutter ist einst aus Frankreich hergezogen. Samira Nafisi zeigt aus dem Fenster.

Eine Baustelle, ein Gebäude mit einer riesigen Kuppel wird errichtet. Keine Moschee, wie man denken könnte, sondern eine Shoppingmall. Wenn es so weitergeht, hat Iran bald mehr Shoppingmalls als Moscheen. Daneben eine Straße mit Restaurants, in denen sich Frauen und Männer verabreden. Am Anfang der Straße eine kleine Polizeistation, die Polizisten sagen nichts. Hinter hohen Mauern ein Park nur für Frauen, aber niemand geht dort spazieren.

Wer mit Samira Nafisi und ihren Freundinnen durch die Stadt fährt, bekommt ganz nebenbei eine Einführung in die Widersprüche der iranischen Gesellschaft.

Ein Café und Treffpunkt junger Leute in der Nähe des Stadttheaters im Zentrum von Teheran Foto: Sebastian Erb

An dieser Straßenecke, erzählt sie, hat sie vor Kurzem einen abgemagerten Hund gefunden. Sie hat ein Foto auf Instagram gepostet, gleich kamen Anwohner und haben dem Hund Wasser gebracht und etwas zu fressen. Hunde, das muss man wissen, sind haram, unislamisch. Das soziale Netzwerk Instagram ist – im Gegensatz zu Facebook und Twitter – erlaubt.

Weiter geht’s, der Verkehr läuft jetzt flüssiger. Hätten sie nichts anderes zu tun, würden sie bis in den Sonnenuntergang fahren, durch die Straßen, um die Verkehrskreisel. Vielleicht würden sie dann einem Mann in einem anderen Auto, der ihnen gefällt, ihre Telefonnummer auf einem Zettel zustecken. Das heißt, die Älteste der Clique würde nicht mitmachen, weil sie verheiratet ist. Ihr Mann ist Direktor einer Alkoholfabrik, industrieller Alkohol, klar. Alkohol zu trinken ist in Iran verboten.

20 Liter Rosinenwodka

Erst mal frühstücken. Brot mit Tomaten, Schokoladencrêpe, türkischen Kaffee. Und über die Zukunft sprechen. Neda wollte in den USA studieren, aber jetzt doch nicht, wegen Trump, und außerdem will sie bleiben, sie mag Iran.

Iran vor der Wahl

Entscheidung: Am 19. Mai sind rund 55 Millionen IranerInnen aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen, nach dem Obersten Führer das zweithöchste Staatsamt. Bekommt kein Kandidat die absolute Mehrheit, gibt es eine Woche später eine Stichwahl. Amtsinhaber Hassan Rohani, 68, hat laut Umfragen die besten Chancen.

Entspannung: Im Juli 2015 hat Iran nach jahrelangen Verhandlungen mit den fünf UN-Vetomächten und Deutschland das Atomabkommen unterzeichnet, mit dem eine iranische Atombombe verhindert werden soll. Iran unterwirft unter anderem seine Urananreicherung strengen Beschränkungen. Im Gegenzug hob der Westen Wirtschaftssanktionen auf.

Entwicklung: Iran konnte seinen Erdölexport steigern, der erhoffte Wirtschaftsaufschwung ist aber ausgeblieben, da viele westliche Firmen weiterhin Investitionen scheuen. Auch Menschenrechtler beschreiben die Situation nach wie vor als schwierig und kritisieren besonders die große Zahl an Hinrichtungen.

Die drei Frauen gehören der Generation an, die 2009 politisiert wurde, als für kurze Zeit eine grüne Welle der Hoffnung auf Veränderung durchs Land schwappte und junge Leute auf die Straße gingen, um gegen Wahlfälschungen zu protestieren. Und die ziemlich desillusioniert wurde.

Ali Asadi gehört auch dieser Generation an. 34 Jahre ist er alt, ein kräftiger Mann mit einer sanften Stimme, er raucht viel, vor allem zu Hause. Auch er und seine Freunde heißen eigentlich anders. Er wohnt in Teheran, das Haus ist ein Betonklotz, aber die Wohnung ist schick. 200 Quadratmeter, im Wohnzimmer ein großer Flachbildfernseher, eingerahmt von zwei Boxentürmen, Sofalandschaft. Ali Asadi sitzt immer am mittleren der drei Holztische, wenn er an einer neuen Idee tüftelt. Geschäfte machen ist aber auch nach dem Atomdeal nicht so leicht, wie er und viele andere dachten.

Feierabend. Er schaut auf den 20-Liter-Plastikkanister Rosinenwodka, der in einer Ecke steht. Davon muss er an diesem Abend nichts beisteuern, er weiß, dass die Gastgeberin selbst genug organisiert hat. Heute Abend wird gefeiert.

Ali Asadi läuft die Treppe hinunter, ein Stück zu Fuß die Straße entlang, dann hält er ein Taxi an, ein paar Straßen Fahrt. Es ist der Geburtstag einer Freundin, Nazanin, sie trägt ein schwarzes Netzkleid und Ohrringe, er umarmt sie zur Begrüßung. Ein paar Freunde sind in ihre Wohnung gekommen, Alis Bruder ist auch da. Es gibt Schnaps aus einer grünen Kristallglasflasche, verdünnt mit Wasser, in dem Erdbeeren und Melonenstücke schwimmen, Eiswürfel. Dazu Kartoffelchips.

Das Wort für Schmuggel

Eine Frau im kurzen rotgemusterten Kleid zeigt ihren Freunden auf dem Smartphone Bilder von einem Ausflug mit ihrem Freund in die Berge. Und dann ein paar von sich mit Hidschab, der islamischen Verschleierung, sie hat sich für eine Fotoausstellung fotografieren lassen. Ganz anders sieht sie aus, man erkennt sie kaum. Wie passt das zusammen, hier im Wohnzimmer die Freiheit feiern und als Model die Moralvorstellungen des Regimes illustrieren? „Das war doch nur zum Spaß“, sagt sie, „ein Freundschaftsdienst.“

2009 waren alle, die hier feiern, auf der Straße. Sie haben gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad protestiert. Ali Asadi erinnert sich genau, wie er „Wo ist meine Stimme?“ rief, am Anfang im grünen Shirt und mit grünem Armband, das war ihm bald zu gefährlich. Er und seine Freunde erlebten, wie die Demonstrationen niedergeknüppelt wurden. Alle kennen sie welche, die ins Gefängnis kamen. Deswegen sind sie jetzt vorsichtiger. Sie gehen wählen. Aber wen?

Ali Asadi erzählt, wie er jede Runde der Atomverhandlungen verfolgte, auf seinem Laptop, auch wenn er am nächsten Tag früh aufstehen musste. Er schaute BBC Persisch, eigentlich ist der Sender blockiert. Er hat gebangt, dass der Deal funktioniert. Dass er unterzeichnet wurde, ist für ihn Grund genug, dass Rohani Präsident bleiben soll. Weil Iran nun die Chance hat, aufzuholen, nach dem Ende der Sanktionen. Schon bei Rohanis Wahl 2013 hoffte er, dass alles besser wird.

Ein Grafitti an der Mauer der ehemaligen US-Botschaft im Zentrum von Teheran Foto: Sebastian Erb

Als Ahmadinedschad Präsident war, saß Ali Asadi auch oft vor dem Fernseher. Da hatte er Angst, dass etwas Schlimmes passiert, dass Bomben fallen, dass die Iraner bestraft werden, weil sie ihn gewählt haben.

Ahmadinedschad wollte noch einmal antreten, durfte aber nicht. Vom Wächterrat wurden andere Hardliner und Konservative zugelassen, die Rohani vorwerfen, er gefährde mit seinem Öffnungskurs die Unabhängigkeit Irans. Auch deshalb, sagt Ali Asadi, müsse man Rohani wählen. „Wenn wir jungen Leute nicht wählen gehen, könnte wieder ein Verrückter gewählt werden und dieses Land zur Hölle machen.“

1,7 Kinder pro Frau

Ali Asadi hat es auch in Ahmadinedschads Zeit geschafft, das Beste herauszuholen. Er kommt aus einer wohlhabenden Familie, der Vater Regierungsbeamter. Er selbst hat bis vor Kurzem auch in einem Ministerium gearbeitet und nebenbei lange studiert, erst Architektur, dann Philosophie, schließlich BWL. Die Arbeit war okay, ordentlich bezahlt zumal. Aber irgendwann hatte er keine Lust mehr.

Er hat angefangen, für einen Freund zu arbeiten, Geldwechsel, Import-Export. Der Freund hat ein Konto in Dubai, das braucht man, um Geld zu transferieren – die Sanktionen. Es gab eine große Nachfrage an iPhones in Iran, an manchen Tagen haben sie mehr als 1.000 Stück importiert. Und an jedem 4 oder 5 US-Dollar verdient. Und wie haben sie die Handys hergebracht? Ali Asadi sucht die englische Übersetzung für das Wort mit seinem Smartphone: Schmuggel.

Rohani achte jetzt darauf, dass alles korrekt abläuft, sagt Ali Asadi, dass Steuern gezahlt werden. Das findet er gut. Alle hier im Wohnzimmer wollen Rohani wählen.

Aus kleinen Boxen läuft Musik, vom Smartphone abgespielt. Sie rauchen, sie flirten und dann tanzen sie auch, so wie man in jeder Metropole tanzt, nur dass es hier nicht erlaubt ist. Jemand trägt den Geburtstagskuchen herein, eine Schokotorte, auf die eine „34“ gesteckt ist. Nazanin, das Geburtstagskind, ist geschieden, sie war mit einem Fotografen verheiratet, es hat nicht funktioniert. Beruflich kommt sie nicht so recht voran. Sie malt, damit Geld zu verdienen ist schwer.

Die Geburtstagsrunde zeigt, wie sehr sich die iranische Gesellschaft verändert hat: Scheidungen sind häufig geworden, auch wenn nichts gegen den Willen des Mannes geht. Männer und Frauen leben zusammen, ohne verheiratet zu sein. Die Geburtenrate ist stark gesunken, gerade noch 1,7 Kinder pro Frau. Mehr Frauen als Männer studieren.

Mussawi, die Hoffnung im Hausarrest

Ali Asadi ist sich sicher, dass auch die Mächtigen viele Dinge pragmatisch sehen: Lieber eine Jugend, die visionslos Spaß hat, als eine, die sich auflehnt.

Ein Grund könnte die Jugend doch wieder auf die Straße treiben: ihre ökonomische Situation. Wenn die Mieten weiter steigen und die Preise, aber nicht die Gehälter. Wenn das Leben einfach zu teuer wird. Noch jemand einen Drink?

Auch Samira Nafisi, die junge Frau aus dem Auto, hat gegen den Wahlbetrug demonstriert. Einmal wurde sie auf dem Unigelände von Milizen gejagt, bis ihr jemand die Haustür aufmachte und sie hineinschlüpfen konnte. 2009 hatte sie für Mir Hossein Mussawi gestimmt, den Reformer und Hoffnungsträger. Und was ist daraus geworden? „Nein, ich werde nicht wählen“, sagt sie. Es ändere sich ja ohnehin nichts. „Der Einzige, den ich wählen würde, wäre Mussawi.“ Sie will keine Kompromisse, sie will einen anderen Iran. Frei und selbstbestimmt.

Das Problem: Mussawi steht unter Hausarrest, er darf nicht mehr bei Wahlen antreten. Es darf öffentlich nicht einmal sein Name erwähnt werden. Kürzlich wurde er aus einem Video der Rohani-Kampagne herausgeschnitten.

Vom Frühstück haben die Freundinnen längst nicht alles aufgegessen, aber sie müssen los. Wieder ins Auto, Samira Nafisi lässt sich bei ihrer Sprachschule absetzen. Schon mit 15 Jahren hat sie Englisch unterrichtet, gegen den Willen ihres Vaters. Mit einem Stipendium hat sie Elektroingenieurwesen studiert, danach ein Jahr in einer Telekommunikationsfirma gearbeitet. Dort achteten ihre Vorgesetzten darauf, dass sie immer ordentlich verschleiert war. Sie wechselte zu einer Firma für Medizinprodukte, ihr Chef wollte privat mehr, sie nicht; sie kündigte. Von ihrem Freund, einem Fabrikbesitzer, hat sie sich getrennt, weil er nicht wollte, dass sie arbeitet.

Goodbye, have a nice day!

Zeit für ihr eigenes Ding. Vor zweieinhalb Jahren hat sie ihre Sprachschule aufgemacht. Bald kam jemand von einer Regierungsbehörde und wollte wissen: „Warum werden Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet? Das geht nicht! Ich muss Ihre Schule schließen.“ Samira Nafisi antwortete: „Lassen Sie mich meinen Job machen, wenn Sie noch einmal kommen, das schwöre ich zu Gott, dann gehe ich in ein anderes Land.“ Der Behördenvertreter ging und kam nicht wieder. So schildert es Samira Nafisi heute. Ihre Sprachschule gibt es noch.

Sie befindet sich in einem Bürohaus, außen Spiegelglasfassade, innen Plakate an den Wänden und Whiteboards, Plastikstühle, nur das Nötigste. Die Räume sind gemietet, für die Ausstattung musste sie ihre Ersparnisse nehmen, keine Bank wollte ihr ein Darlehen geben. Gerade ist ein Englischkurs für Kinder zu Ende gegangen, zwei Mütter holen ihre Fünfjährigen ab. Beide fragen sich, in was für einem Land ihre Kinder aufwachsen sollen.

„Nicht in diesem“, sagt die eine. Sie will Iran verlassen, deshalb soll ihr Sohn Englisch lernen. „Ich will, dass sich Iran verändert, und zwar zum Besseren“, sagt die andere. Ihr Kind soll Englisch können, wenn Iran dann mehr Kontakt mit der Welt hat.

Die erste Mutter sagt: „Ich hasse es hier. Ich will Freiheit, kein Kopftuch.“ Sie zupft daran herum, ihre blondierten Haare schauen ein ganzes Stück heraus. „Ich würde überall hingehen, wo man keinen Hidschab tragen muss.“ Es spricht nichts dafür, dass der Kopftuchzwang in Iran bald fällt. Denn er erinnert die Iraner jeden Tag an die Islamische Revolution.

Die andere Mutter: „Ich bin gegen Auswanderung. Du brauchst so viel Kraft, dass du am Ende nicht auf der Straße landest.“ Außerdem kenne sie niemanden im Ausland.

„Ich will nicht warten, bis ich alt bin“

Die beiden werden laut: „In den USA kann man in fünf Jahren mehr erreichen als hier in einhundert. Ich habe fünf Jahre studiert, aber keinen Job.“ – „Ich bin nicht so pessimistisch. Ich will, dass mein Kind hier aufwächst, in unserer Kultur.“

„Religion und Politik sind hier total vermischt. Säkular könnten wir besser leben.“ – „Wir müssen geduldig sein. Vielleicht können unsere Kinder etwas ändern, vielleicht unsere Enkel. Jedenfalls nicht wir.“ – „Ich bin jetzt 35. Ich will nicht warten, bis ich alt bin. Ich will jetzt leben.“

„Das Problem ist doch“, mischt sich Samira Nafisi in die Diskussion der Mütter ein, „dass wir nicht gemeinsam kämpfen.“

Die Mütter nehmen ihre Kinder an die Hand und verabschieden sich, Samira Nafisi sagt: Goodbye, have a nice day!

In ihrer Familie hat sie bereits eine Menge verändert. Ihre Eltern, sagt sie, finden inzwischen okay, was sie macht. Ihr Vater hält es sogar aus, dass sie zwar an Gott glaubt, aber nicht an den Islam. „Der Islam ist unser Problem“, sagt sie. „In zehn Jahren wird es hier keinen Islam mehr geben, nur noch eine Republik.“

Nicht die richtigen Leute geschmiert

Ali Asadi, der Unternehmer, hoffte auf die Zukunft, als das Atomabkommen unterschrieben war. Zeit für Neues! Er hat sich mit Freunden zusammengesetzt, sie haben überlegt, was sie machen wollen. Sie haben den Markt sondiert, Zielgruppen analysiert, ein Ladenlokal gesucht. Und dann in einem Einkaufszentrum ihr Café eröffnet: eine Art iranisches Starbucks, aber mit Lieferservice. „Du musst der Erste oder der Beste sein“, sagt Ali Asadi. „Wir wollten die Ersten sein.“ Und gut sein wollten sie natürlich auch.

Sie haben Transportbehälter ausgesucht, die den Kaffee warm halten, und belieferten vor allem Büros. Die Kunden waren zufrieden, sagt Ali Asadi. Aber das Geschäft lief schlecht.

Er hat sein Scheitern in einem Ordner abgeheftet, 50.000 Tausend Verlust, aber besser noch, er erklärt alles an Ort und Stelle. Das Café liegt in einem kleinen Einkaufszentrum, oben leuchtet das Logo, darunter glänzt das weiße Rolltor, es bleibt seit ein paar Wochen zu.

Vieles kam zusammen. Das Café lag plötzlich in einer Zone, die bei Smogalarm nicht angefahren werden durfte. Und einmal die Woche kam jemand von einer Behörde mit einer neuen Regel, so erzählt es Ali Asadi. Steuern, Hygiene, Preisregulierung, Genehmigung, das richtige Schild. „Der eine sagt das, der andere das Gegenteil“, sagt Ali Asadi. „Manchmal kann man nur sitzen bleiben und schauen, was passiert.“

Was nützt der Reformer in Gedanken?

Vielleicht haben sie am Ende die Lizenz auch nicht bekommen, weil sie nicht die richtigen Leute geschmiert haben. Der finanzielle Verlust scheint ihn nicht sonderlich zu schmerzen, er ist noch an ein paar Firmen beteiligt, die Geld abwerfen.

„Das Problem sind die hohen Erwartungen nach dem Atomabkommen“, sagt Ali Asadi. „Alle wollen schnell viel Geld verdienen.“ Die Rahmenbedingungen für Investitionen sind aber immer noch schwierig. Schon allein, weil Iran immer noch nicht an das internationale Bankensystem angeschlossen ist.

Ali Asadi hofft, dass Rohani in einer zweiten Amtszeit mehr durchsetzen kann, nicht nur, was die Wirtschaft angeht. Er hatte etwa Frauen „gleiche Chancen, gleichen Schutz und gleiche soziale Rechte“ versprochen. Das hat er nicht gehalten. Ali Asadi nimmt ihm das nicht übel, er habe getan, was er konnte. Man dürfe nie vergessen: Nur ein Teil der Macht wird überhaupt gewählt. Der oberste Führer Ajatollah Chamenei, aber auch das Militär, die Justiz und das Fernsehen sind fern jeder demokratischen Kontrolle. „Das System ist so mächtig, wir können es nicht ändern“, sagt er.

Er hat lieber kleine Veränderungen, die dafür aber stabil sind. Langsam, aber sicher. Bloß keine weitere Revolution. „Du weißt nie, was nach einer Revolution passiert. Die Kosten sind einfach zu hoch.“ Die Generation, die die Islamische Revolution nur aus Erzählungen kennt, ist revolutionsmüde. Auch weil sie sehen, was aus dem Arabischen Frühling geworden ist.

Ali Asadi hat eine neue Geschäftsidee, er will das Asantkraut anbauen und exportieren, aus ihrem Harz wird Arznei hergestellt. Aber erst mal will er reisen, Sprachen lernen, Neues entdecken, das er dann in Iran umsetzen kann.

Samira Nafisi hat sich inzwischen umentschieden. Sie wird doch wählen, Rohani. Was nützt der Reformer in Gedanken? Wenn er unter Arrest zu Hause sitzt und nicht zur Wahl antreten darf? Sie hat ihr Profilfoto bei Telegram geändert, dem Messenger, den in Iran alle nutzen. Unter ihrem Foto steht jetzt: #Rohanibis2021. „Wir müssen verhindern, dass einer der Hardliner gewinnt“, sagt sie. Dem einflussreichen Kleriker Ibrahim Raissi, der auf die Unterstützung der mächtigen Revolutionsgarden zählen kann, werden gute Chancen eingeräumt, nachdem Teherans Bürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf seine Kandidatur zurückgezogen hat. Er dürfte besonders auf dem Land Stimmen holen, wo viele Menschen die Dinge anders sehen als in den großen Städten.

Alles in allem sei Iran doch auf einem guten Weg, sagt Samira Nafisi: Es gibt wenig Kriminalität, im Grunde keine dschihadistischen Anschläge. Die Polizei muss man auch nicht mehr so sehr fürchten. Frauen und Männer können heute zusammen im Café sitzen. Und ihr Vater fragt sie manchmal, warum sie gerade eigentlich keinen Freund hat.

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