Influencer auf Youtube und Instagram: Die Ich-Ich-Ich-AG
Sogenannte Influencer kriegen Geld, indem sie Produkte in den sozialen Medien präsentieren. Ihr Erfolg steht für einen Wandel der Werbebranche.
Sami Slimani ist YouTuber. Er dreht Videos, in denen er Gesichtsmasken testet, er redet über Mode und Make-up, Haarstyling und Herbstsnacks. Sami Slimani war einer der ersten deutschen YouTuber, die es verstanden haben, Geld mit solchen Filmen zu verdienen.
Slimani ist 26 Jahre alt. Er springt auf. Putzt sich die Zähne. Verteilt Make-up unter seinen Augen, streicht seine Haare glatt und zieht sich einen Anzug an. Er simuliert, wie er sich für einen Abschlussball zurechtmachen würde, seine Zuschauer sollen an einem Gewinnspiel teilnehmen, für das wiederum sie Fotos von sich in C&A-Kleidung schießen müssen.
„Influencer sind Meinungsmacher“
Sami Slimani ist längst keiner mehr, der Filmchen für YouTube in seiner Freizeit dreht. Slimani ist Influencer, so nennt die Werbebranche Menschen wie ihn. Ganz unverhohlen.
Sami Slimani
„Für mich bedeutet es: Langfristigkeit, ein Vertrauensverhältnis“, sagt er. „Influencer sind Meinungsmacher.“ Er sitzt in einem dieser Cafés in Berlin-Mitte, in denen Essen so serviert wird, dass es sich gut auf Instagram macht. Auch Slimani hat gelernt, sich gut auf Instagram zu machen, auf seinem Blog, auf YouTube, Snapchat und manchmal als Moderator im Fernsehen.
Mindestens einmal täglich, meist öfter, erhalten seine Follower auf einem der Kanäle Neuigkeiten von ihm, über seine Gemütslage, sein Outfit oder darüber, dass er nun zu einem Lunchmeeting fährt. Er erzeugt damit die Nähe eines mitteilungsbedürftigen Freunds. In einer einseitigen Freundschaft. Einer mit Hintergedanken.
„Ein Social-Media-Imperium erschaffen“
Auf Instagram sieht das dann so aus:
Tag 1: Slimani sitzt in Berlin-Mitte auf der Kühlerhaube seines weißen Mercedes.
Tag 2: Slimani sitzt auf einer Betontreppe, sein Mantel rutscht ihm von den Schultern.
Tag 3: Slimani sitzt im Auto, einen Fuß auf der Armatur. Er schreibt: „Off to an adventure“.
In Sami Slimanis Welt gibt es nichts anderes als Sami Slimani. Das ist seine Marke.
Auf seiner Website schreibt Slimani: „Er hat ein Social-Media-Imperium erschaffen.“ 1,6 Millionen Menschen haben seinen YouTube-Kanal abonniert, 1,4 Millionen seinen Instagram-Account, jeweils etwa 700.000 auf Facebook und Twitter. Zum Vergleich: Die Modezeitschrift Instyle, eine der größten Deutschlands, erscheint mit einer Auflage von 330.000. Pro Monat.
Botschaften an die Gesellschaft
Sami Slimani ist ein Mann mit weichen Gesichtszügen, dunklen Augenbrauen, die er gerne so zusammenzieht, als schmachte er sein Gegenüber an. Oder die Gedanken in seinem Kopf. Manchmal platzen sie aus ihm heraus, dann filmt er sich dabei, und sendet nichts Geringeres als „eine Botschaft an die Gesellschaft“. Auch jetzt hat er wieder eine Botschaft. An die Werbebranche: „Bislang war alles eher Trial and Error“, sagt er. „Jetzt geht es darum: Wer bleibt langfristig?“ Das große Geschäft der Influencer geht jetzt erst los. Slimani will da mitmischen. Seine Schwestern Dounia und Lamiya Slimani auch.
Seit Jahren boomt das Geschäft mit YouTubern und Bloggern. Seit sie Drogeriekosmetik und Massenmode vor ihren Kameras besprechen, sind sie perfekte Werbeträger für eine Generation, die sich weniger durch Fernsehspots und Magazinanzeigen ansprechen lässt als durch soziale Medien. Längst haben die großen Konzerne, Pro7Sat1, Disney und RTL, das Potenzial erkannt, sich Firmen zusammengekauft, YouTuber und Blogger an sich gebunden. Und zu Influencern gemacht.
Noch einmal der Vergleich: Eine einseitige Anzeige in der Instyle kostet 30.000 Euro und mehr. Präsentiert ein YouTuber ein Produkt online, bekommt er laut Branchenkennern zwischen 5.000 Euro und 50.000 Euro (bestimmt auch mehr, sagt Slimani und will über seine eigenen Honorare nichts sagen) und redet – im besten Fall – minutenlang über das Produkt.
Sami ist happy, Sami ist dankbar
Sami Slimani ist seit Januar seine eigene Agentur. Es wäre schön, mit ihm über seine Pläne zu sprechen, über die nächsten Kampagnen, seine größten Erfolge. Wer ist Sami Slimani, wenn die Kameras ausgeschaltet sind, wenn der Geschäftsmann gefragt ist, nicht der Teenie-Schwarm? Einem Interview stimmt er zu, begleiten lassen will er sich aber nicht. Kein Treffen in seinem Büro, erst recht nicht in seiner Privatwohnung.
Wenn ihn jemand auf sein Auto anspricht, wiegelt er ab, sagt, die Reporterin soll es doch nicht sehen. Der Stuttgarter mit dem dicken Mercedes. Ein Scherz. Und doch ernst gemeint. „Meine Credibility hängt davon ab, dass die Leute mir vertrauen.“
Angefangen hat alles auf dem Fußboden seines Jugendzimmers. Schlechtes Licht, spießige Einrichtung und ein Teenager, der Datingtipps gibt. Das war 2009, und Sami Slimani war Abiturient in Stuttgart. Er nennt sich damals Mister Tutorial und ist einer der ersten Männer, die über Pickel, Make-up und Mode reden. Heute sind seine Videos professionell inszeniert, ausgeleuchtet, gedreht, geschnitten. Auf dem Fußboden sitzt er noch immer. Für die Bodenständigkeit. Slimani liebt das Pathos solcher Formulierungen. Slimani ist happy. Slimani ist dankbar. Slimani lebt seinen Traum und liebt seine Familie über alles.
Platz 9 auf der Spiegel-Bestsellerliste
Slimanis Leben ist nicht perfekt, sagt er und wird nicht müde, es zu betonen. Slimani sagt: „Du bist der Schreiber deiner Lebensgeschichte. Also schreib einen Bestseller.“ Naheliegend, dass er tatsächlich einen geschrieben hat, mit seinen Schwestern. „Das Slimani Prinzip“. Platz 9 auf der Spiegel-Bestsellerliste. Höchster Neueinstieg. Dank seiner Fangemeinde, vermutet sein Verlag.
Wie ist das, von so vielen Menschen bewundert zu werden?
„Das sind Zahlen. Aber damit bist du kein besserer Mensch.“
Sind Sie ein Promi?
„Ich bin ein Mensch, der selber glücklich ist mit seiner Arbeit.“
Sind Sie reich?
„Geld ist nicht alles.“ Später schiebt er hinterher: „Ich bin mehr als die Summe, die mir geboten wird.“
Werbung, die als redaktioneller Inhalt getarnt ist
Die Werbebranche rätselt: Ist das mit den Influencern nur ein Hype? Funktioniert Werbung ohne Fernsehspots und Anzeigen? Die Medienbranche rätselt: Geht das, Werbung, die als redaktioneller Inhalt getarnt ist? Die Influencer rätseln nicht, sie machen. „Wir sind unsere eigenen Redakteure“, sagt Slimani.
Anruf bei einer Kleidermarke, The Kooples, für die die Slimanis werben. Mäntel für 500 Euro. Ein Schal für 140 Euro. Was macht gute Influencer aus?
„Mittlerweile gibt es so viele Blogger, die ständig neue Marken bewerben. Das ist intransparent und nicht glaubwürdig“, sagt Kelly Lynn-Tran, Marketingleiterin der Marke. „Der Zuschauer soll langfristig sehen, dass jemand die Marke mag.“ Und warum die Slimani-Geschwister? „Ihr Alleinstellungsmerkmal ist, dass sie auf dem Boden geblieben sind.“
Die Generation YouTube entwickelt Kaufkraft
Die Zahl der Fans ist über die Jahre gewachsen, die Slimanis sind älter geworden. Ihre Follower auch. Die Generation, die YouTube erschaffen hat, Facebook längst wieder langweilig findet, sich auf Instagram und Snapchat präsentiert, wird kaufkräftig. Deshalb stellt Mercedes Influencern Autos für Spritztouren zur Verfügung, das Modelabel Dolce&Gabbana bucht sie statt professioneller Models für ihre Laufstege, sogar zum Deutschen Filmball werden sie eingeladen. Einige, damit sie gegen ein Honorar an neuen Eissorten lutschen. Sami Slimani einfach so.
Die Millennials, die Generation, die mit ständig wechselnder Mode aufgewachsen ist, soll nicht mehr nur schnell, sondern auch teuer kaufen. Influencer sollen sie dazu bringen.
Wieder Berlin-Mitte, wieder ein Café, in denen Menschen mit Smartphones und MacBooks sitzen. Lamiya Slimani ist die Mittlere der drei Geschwister, 29 Jahre alt, lange dunkle Haare, lange Wimpern, professionelles Make-up. Lamiya Slimani ist Wirtschaftswissenschaftlerin. Und Visagistin. YouTuberin. Sängerin.
Nächstes Ziel: die eigene Kosmetikmarke. „Wir sind nicht nur Influencer, wir sind auch Unternehmer.“ Auch sie benutzt die großen Worte. Selbstverwirklichung. Authentizität. Vorbild sein. „Mir war es megawichtig, etwas Eigenes aufzubauen. YouTube hat mir die Möglichkeit dazu geboten.“
„Was mich abstresst: dass es nicht diese Gleichberechtigung gibt“
Gemeinsam kommen die Geschwister auf 10 Millionen Follower. Sogar der Vater posiert ab und an für Fotos, die Mutter postet ihren Stolz auf ihrem eigenen Instagramkanal. Doch wer sie wirklich sind, erfährt niemand. „Es geht um Geschichte, um Storys, um Emotionen“, sagt Lamiya. Aber auch: „Ich war immer sehr altersgerecht.“ Was heißt: keine Eskapaden, keine Skandale, nur Schönheit.
Ihr Bruder sagt: „Ein Glas Champagner würde ich nicht verstecken.“ Und postet kurz darauf ein Foto von sich auf der Party einer Champagnermarke. Die Berufe der Eltern? Zu privat. Was interessiert ihn außer Mode? „Kunst, Literatur, Geschichte“, sagt er. Dann äfft er sich selbst nach und lacht über die Leere des Satzes. Findet aber keinen besseren. Als Teenager fiel es Sami Slimani leicht, sich in die Öffentlichkeit zu stellen. Jetzt, als erwachsener Mann, sucht er danach, wofür er steht.
Ende Februar sitzt Sami Slimani vor seinem Sofa und motzt. Er ist genervt von Zuschauern, die ihn beschimpfen, weil er sich für ein Video geschminkt hat. „Kommt einfach drauf klar“, sagt er in die Kamera. Er spricht über Sexismus. Über gepflegte Männer und starke Frauen. „Was mich an der Gesellschaft abstresst: dass es nicht diese Gleichberechtigung gibt.“
Welche Gleichberechtigung er meint: dass er sich Concealer unter die Augen schmieren will, ohne sich anpöbeln lassen zu müssen. Dann schaut er in die Kamera und sagt: „Leb nach deinen Regeln.“
YouTuberinnen im Donut-Duftbad
Was aber auch Millionen Menschen sehen: YouTuberinnen, die Donut-Duftbad präsentieren. Slimani ärgert sich über solche Clips, über YouTuberinnen, die im Spaß ihren Freund vor die Kamera zerren und herumalbern lassen, damit es ihnen Klicks bringt. Was ihn daran so stört? „Viele haben nicht die Awareness, dass man mehr draufhat.“ Für ihn heißt das: mehr als eine Figur sein, die Produkte präsentiert. Sami Slimani will erwachsen werden. Slimani will kreieren, konzeptionieren, Geschichten gestalten. So sagt er das. Nur: Wie geht das, wenn er für alle nur der überdrehte Schönling ist?
An einem Märztag sitzt Sami Slimani in seinem Auto, er filmt Sequenzen für Snapchat. Später postet er, dass er seine neuen Schuhe längst mal zeigen wollte. Dass er sich was zu essen geholt hat. Dann packt er eine Tasche für mehrere hundert Euro aus. Tausenden Followern gefällt das.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“