Flüchtlinge in Libyen: In den Händen der Schmuggler
In Libyen organisieren Mafiabanden die Flucht nach Europa. Ohne das Geschäft mit den Migranten stünden viele junge Menschen ohne Einkommen da.
Seine Kollegen, allesamt Freiwillige aus der westlibyschen Küstenstadt Zauwia, tragen Schutzmasken und zerren an den in der Nacht angeschwemmten Leichen von Migranten, die aus dem Mittelmeer gefischt wurden – Opfer der tödlichen Flucht in Richtung Europa.
Die 40 Helfer sind in diesem Jahr trotz der unruhigen See im Dauereinsatz. „Die Bedingungen in den Internierungslagern verbessern zu können, ist motivierend“, sagt ein junger Mann mit roter Weste; „die Arbeit am Strand hingegen ist traumatisierend, die Toten haben oft tagelang im Wasser getrieben.“ Mit vier Kollegen hievt er einen Plastiksack von der Ladefläche, um den Toyota wieder freizubekommen.
Der libysche Rote Halbmond erhält internationale Hilfe. Doch die Decken und Lebensmittel von der IOM (Internationale Organisation für Migration) können nichts an der dramatischen Lage der schätzungsweise 120.000 Westafrikaner ändern, die in Libyen auf eine riskante Überfahrt nach Italien warten.
Die Strände gehören Mafiabossen
Die Menschen, die hier tot aus dem Meer gefischt werden, sind von Schmugglern im weiter westlich gelegenen Sabratha auf die Reise geschickt wurden. Alle Strände in Libyen, von der tunesischen Grenze bis nach Sirte, werden von einem Netzwerk aus Milizen, Schmugglern und Islamisten beherrscht. Mit Transport von Benzin, Drogen und Menschen scheffeln ehemalige Revolutionäre, Mafiabosse und kaum volljährige schwer bewaffnete Draufgänger Millionen. Ihre Reviere sind abgesteckt.
Libyen ist Bürgerkriegsland. Aber was wegen der Präsenz islamistischer Milizen wie ein ideologischer Konflikt aussieht, ist tatsächlich ein Ringen um Einkommen. Der international unterstützte Regierungschef Fajes Serradsch kontrolliert gerade mal drei Stadtteile der Hauptstadt Tripolis.
Die Einnahmen aus dem Geschäft mit den Migranten haben die staatlichen Lohnzahlungen ersetzt, die ausbleiben, seit 2014 der Ölexport zusammenbrach. Dass viele zu Tankschiffen umgerüstete Fischerboote nach Erreichen der EU-Hoheitsgewässer ihre libyschen Bootskennzeichen mit einem aus Malta überkleben, ist längst kein Geheimnis mehr. „Ohne das Geld aus Schmuggel und Migration stünden viele junge Libyer ohne Einkommen da“, sagt Oberst Rida Issa von der Marine.
Er glaubt nicht, den Schmugglern das Handwerk legen zu können. „Die Tankschiffe der Benzinschmuggler aus Zuwara sind schwer bewaffnet. Wenn wir Schlauchboote mit 100 Leuten an Bord an Land schleppen, greifen uns immer wieder Bewaffnete an, um die Außenbordmotoren zurückzuholen.“
„Macht euch auf was gefasst“
Auf von Schleusernetzwerken angemieteten Villengeländen oder Farmen pferchen nigerianische oder malische Bosse der sogenannten Boga-Netzwerke jeweils bis zu 1.000 Migranten ein. Die Migranten, meist aus Westafrika, werden in Listen registriert. Sobald das Geld überwiesen wurde, werden sie einem Boot zugeteilt und losgeschickt. Die Verbindungsleute von Boga – wie der berüchtigte Abubakr aus Mali, der zwei Lager in Sabratha mit über 3.000 Migranten unter sich hat – arbeiten mit örtlichen Milizen zusammen, die sie schützen.
Marineoffiziere wie Rida Issa befürworten zwar die geplanten EU-Traningsmaßnahmen für seine Küstenwache. Doch an der Lage in den etwa 24 privaten und offiziellen Internierungslagern werde dies nichts ändern, glaubt er.
Beim Auftanken der beiden Patrouillenboote im Hafen von Misrata klingelt sein Mobiltelefon: Ein Bekannter, gerade aus Sabratha zurückgekehrt, gibt Meldung. „Macht euch auf was gefasst“, sagt er. „Die Boga-Leute haben Boote in Tunesien gekauft. Sie wollen diese Woche 5.000 Leute auf einmal aufs Meer schicken.“ In diesen Tagen soll auch der europäisch-afrikanische Migrationsgipfel auf Malta stattfinden.
Auch Mohamed Sifau und seine Freiwilligen in Zauwia haben davon gehört. Das Lager in Zauwia ist das größte und völlig überbelegt. „Daher sind sich von der Gemeinde bis zur Marine insgeheim alle einig, dass man in dieser Nacht ein Auge zudrückt“, sagt Sifau.
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