Die AfD und der Berliner Anschlag: „Geplante Provokation“
Der Tabubruch gehört zur Strategie der AfD – so auch nach dem Anschlag in Berlin. Das Reiz-Reaktions-Schema ist immer das gleiche.
Neu ist das nicht. Parteichefin Frauke Petry hatte Ähnliches intern schon mehrfach propagiert – und selbst in die Realität umgesetzt. In Interviews etwa, wenn sie sagte, dass Polizisten, um illegale Grenzübertritte zu verhindern, in letzter Konsequenz auch auf Flüchtlinge schießen müssten. Oder wenn sie darüber sinnierte, ob man den Begriff „völkisch“ nicht auch positiv besetzen könne. Auch Gaulands Einlassungen über die Nachbarschaft des Nationalspielers Jérôme Boateng gehören in diese Kategorie, genauso wie die Reaktionen von AfD-Politiker auf den Anschlag an der Gedächtniskirche.
Da wünschte Sven Tritschler, Chef der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative, dem SPD-Vize Ralf Stegner auf Twitter „fast Bekanntschaft mit einem Lkw-Reifen“. Stegner hatte geschrieben, dass es absolute Sicherheit in einer freiheitlichen Demokratie nicht gebe. Tritschler ist einer der aussichtsreichen AfD-Kandidaten für die Wahl in Nordrhein-Westfalen. André Poggenburg, Fraktionschef in Sachsen-Anhalt vom rechten Rand der Partei, twitterte: „Das Gutmenschengejaule zu Terror in Berlin wird gleich einsetzen.“
Die Nachricht mit dem vermutlich größten Ekelfaktor setzte Marcus Pretzell, Spitzenkandidat in NRW, auf dem Kurznachrichtendienst ab: „Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf? Es sind Merkels Tote!“, schrieb er am Montag um 21.15 Uhr. Gut eine Stunde nach der Tat. Fakten waren zu diesem Zeitpunkt noch so gut wie keine bekannt. Aber was soll’s? Schnell machte sich Empörung im Netz breit. Pretzells Einlassung wurde vielfach retweetet und kommentiert. Und wurde damit größer und größer.
Das Reiz-Reaktions-Schema ist immer das Gleiche: Auf die Provokation folgt die Aufmerksamkeit, darauf die Empörung und noch mehr Aufmerksamkeit. Dann hat die AfD, was sie will: Alle hören, was sie sagt. Sie kann ihre Themen platzieren.
Für Journalisten ist das ein Dilemma, denn sie sind Teil dieser Strategie. Will man über alles Relevante berichten, gehören die gezielten Provokationen der AfD mitunter dazu. Schließlich ist es nicht bedeutungslos, wenn die Chefin einer Partei, die bald im Bundestag sitzen wird, den Begriff des „Völkischen“ rehabilitieren will.
Und doch bekommt auch mit kritischer Berichterstattung die Partei, was sie will: Aufmerksamkeit. Da Ignorieren aus journalistischer Perspektive aber auch auch keine Lösung sein kann, bleibt nur das kritische Abwägen in jedem Einzelfall. Das wird im kommenden Jahr zu einer Herausforderung für die Medien werden.
Lesen Sie auch: Daniel Bax zu rechten Politikern, die das Geschäft des IS verrichten, Sabine am Orde zur schlecht besuchten AfD-“Mahnwache“ nach dem Anschlag
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind