Neonazis in Bautzen: Nach der Menschenjagd
Rechtsextreme haben in seiner Stadt Flüchtlinge gejagt. Wie macht Bautzens linker Bürgermeister Alexander Ahrens weiter?
Das Futteral muss abschließbar sein und der Waffenschrank hier natürlich auch, beginnt Ahrens, ganz der Jurist, zu referieren. Das deutsche Waffenrecht sei streng, „und das ist richtig so“. Am Abend will Ahrens auf die Pirsch, jagen, Wildschweine vielleicht oder Rehe.
Der Büchsenmacher, bei dem das Gewehr zur Reparatur war, hatte den Bürgermeister mit „Weidmanns Heil!“ verabschiedet. In Bautzen denkt man bei so einem Gruß an ganz andere Jagdszenen. Das, was hier in der Stadt passiert war, hat Ahrens selbst „Menschenjagd“ genannt, wenn er darauf zu sprechen kam, was deutschlandweit in die Schlagzeilen brachte.
Gemeint ist ein Abend im Herbst, der 14. September. Etwa 80 Einheimische, zumeist rechtsgerichtete junge Männer, trieben Asylsuchende durch Bautzen. Vom Kornmarkt über die Friedensbrücke, die sich hoch über der Spree spannt, bis in die Flüchtlingsunterkunft. „Chaotisch“ sei es zugegangen, berichtete die Polizei. Die Gewalt, so stellten es die Beamten dar, sei von den Asylsuchenden ausgegangen, minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Mit Flaschen hätten sie geworfen. Ein plausibler Anlass für einen Polizeieinsatz, aber nicht für das, was Ahrens Menschenjagd nennt.
Ein linker Vogel regiert
Draußen vor dem Rathaus verbreitet der „Wenzelsmarkt“ adventlichen Budenzauber, Heimeligkeit. Die Stände ziehen sich durch die Altstadt bis hin zum Kornmarkt, wo die Krawalle begannen. Unter dem Rathausturm wird Ahrens bald einen Fernsehauftritt haben. Ahrens wird die Weihnachtsansprache halten und sich, wie schon im Vorjahr, kurz fassen. Nach den Vorfällen im September musste er weiter ausholen, beispielsweise als er in der Talkshow von Anne Will zu Gast war und versuchte, Bautzen zu erklären. Diesen Ort, den die Öffentlichkeit nur noch als rechtes Nest zwischen Hoyerswerda und Heidenau wahrnahm.
„Wenn Bautzen ein rechtes Nest ist, dann wäre so ein linker Vogel wie ich, der auf humanitäre Werte setzt und sich ganz klar für die Flüchtlingspolitik engagiert hat, niemals gewählt worden“, konterte Ahrens in der Talkshow. Er schilderte Verhältnisse, kündigte Lösungen an, die Anstellung eines Streetworkers beispielsweise und rechtfertigte Sanktionen gegen Flüchtlinge, etwa ein Alkoholverbot. Auch sein Gesprächsangebot an NPD-Kader und die Betreiber rechtsgerichteter Webseiten verteidigte er. Offensichtlich mit Wirkung.
„Bei dreihundert Zuschriften haben wir aufgehört zu zählen“, erzählt Ahrens Monate später im Rathaus. Ihr Tenor: meist positiv. „Mir schrieben Leute aus dem Westen, dass sie zum ersten Mal ein anderes Bild von Sachsen hatten.“ Möglicherweise hat Ahrens mit seinem Fernsehauftritt mehr erreicht als die sächsische Landesregierung, die im vergangenen Jahr mehrfach Imagebroschüren in überregionalen Zeitungen beilegen ließ, um das unangenehme Sachsen vergessen zu machen. Pegida, Clausnitz, Bautzen.
Sicher, räumt Ahrens ein, es gibt rechtes Potenzial. Bei der Landtagswahl 2014 haben in Bautzen mehr als 25 Prozent AfD oder NPD gewählt. Und die Zahlen des aktuellen „Sachsen-Monitors“ kann er im Schlaf aufsagen: 58 Prozent der Sachsen sind der Meinung, dass Deutschland in einem gefährlichen Maße „überfremdet“ sei. Ist Bautzen also doch ein Sammelbecken von Fremdenfeinden, Rassisten und Rechten?
Stadt des Aufschwungs – eigentlich
Ahrens steht auf. Der Mann ist wie aus dem Ei gepellt: rote Krawatte, dunkler Dreiteiler, braune halbhohe Schuhe. Man könnte ihn sofort wieder in ein TV-Studio rufen. Stattdessen geht er zu einer großformatigen Luftaufnahme, die an der Wand hängt. Bautzen – gut 1.000 Jahre alt, 40.000 Einwohner, Hauptstadt der Oberlausitz. Der historische Kern – Bürgerhäuser, Türme, das Domstift, Adelspaläste – erhebt sich auf einem Felsen über der Spree. An der Peripherie liegen Gewerbegebiete.
Ahrens, der mehrere Jahre als Firmenanwalt in China tätig war, spricht gern über Wirtschaft. „Wir haben 600 Arbeitsplätze pro 1.000 Einwohner. Ein Spitzenwert in Deutschland.“ Über Unternehmen. „Wussten Sie, dass alle Edding-Stifte aus Bautzen kommen?“ Über Demografie. „Im letzten Quartal gab es erstmals mehr Geburten als Todesfälle.“ Und über Finanzen. „Wir sind schuldenfrei.“
Doch es gibt diese andere Bilanz. Ahrens könnte mit dem Finger über seine Stadt fahren, den Weg nachzeichnen, den die Gejagten im September genommen hatten. Er könnte den „Husarenhof“ zeigen, das Hotel, in dem 300 Flüchtlinge einziehen sollten, dann aber im Februar angezündet wurde. Anwohner und Betrunkene hätten das „mit unverhohlener Freude“ kommentiert, vermerkte die Polizei. Und im September dann die „Menschenjagd“. Bautzen steht 2016 nicht für Aufschwung, sondern für Fremdenhass.
„Wir haben einen weitverbreiteten Alltagsrassismus, auch bei Leuten, die eigentlich keine Rassisten sind“, sagt Ahrens. Wenn sich einer keine Mühe macht, Asiaten zu unterscheiden, sondern von ‚Fidschis‘ spricht beispielsweise. „Das erinnert mich an die siebziger Jahre in Westberlin, wo von ‚Kanaken‘ geredet wurde, wenn man Türken meinte.“ Erst die Achtundsechziger haben das im Westen geändert. Bis in den Osten hat ihr Einfluss nicht gereicht. Auch nicht nach 1990.
Dabei hätten Sachsen eigentlich gar keinen Anlass, gehabt, sich vor Fremden zu fürchten. „Es gab faktisch keine Ausländer“, sagt Ahrens. Ihr Anteil liegt im Freistaat bei etwa 4 Prozent.
Zu Hemdsärmelig, zu wenig Stadtverwalter
Auf manchen Einheimischen mag Ahrens selbst wie ein Fremdling gewirkt haben, als er in die Oberlausitz kam. Das war 2008. Es klingt wie Stoff aus einer Filmromanze, wenn der Bürgermeister erzählt, wie er an einer Tankstelle seine zukünftige Frau kennenlernte. Weitgereister Westberliner trifft sächsische Polizistin. Sie verlieben sich, er bleibt. Erst Jahre später entwickelt sich diese Herzensentscheidung zu einem Politstück aus der ostdeutschen Provinz.
Im Sommer 2015 trat Ahrens als parteiloser Bürgermeisterkandidat von SPD, Linkspartei und einem kommunalen Bürgerbündnis an. In der Stichwahl siegte der Newcomer gegen den CDU-Kandidaten – mit fast 15 Prozentpunkten Vorsprung. Ahrens’ Triumph war nicht nur der Beweis, dass ein Linksbündnis die CDU-Herrschaft brechen kann, sondern auch Ausweis gegen das „rechte Bautzen“.
Wenig später brannte der „Husarenhof“. Brandstiftung. Die Polizei ermittle immer noch, erzählt Ahrens. Vielleicht war Fremdenfeindlichkeit das Motiv. Vielleicht. Ahrens bemüht sich, unvoreingenommen zu kommunizieren. Ahrens führt durch das Rathaus. Man hat den Eindruck, dass der hochaufgeschossene Mann bei jeder Tür den Kopf einziehen muss, als sei das Rathaus für ihn zu klein. Hört man sich im Stadtrat von Bautzen zu Ahrens um, gibt es freundliche Zurückhaltung.
Claus Gruhl, einziger Grüner im Rathaus, findet dann doch ein paar Sätze. „Hemdsärmelig, das ist er“, sagt Gruhl über Ahrens am Telefon. „Er sieht sich selbst hauptsächlich als Politiker, weniger als Chef einer Stadtverwaltung, der er ja auch ist“, kritisiert Gruhl, Kommunalpolitiker seit 1990 und Verwaltungsleiter in der Kirchengemeinde. Es klingt wie ein Seufzer.
Schwungvoll öffnet Ahrens die Tür zum Ratszimmer. Das Gewölbe gibt einen eigentümlichen Stilmix frei: Eichenlaubtäfelung aus der Zwischenkriegszeit, eine Barockuhr und eine Kohorte von DDR-Polsterstühlen. Auf vieren von ihnen saßen im Oktober stadtbekannte Rechte, darunter zweifelsfrei Rechtsextreme, dazu ein Beamter vom Staatsschutz. Auf den hatte Ahrens bestanden. „Mit Menschenfeinden spricht man nicht“, konterten linke Bautzener Gruppierungen. Von Verharmlosung war die Rede.
Reise in verwirrte Köpfe
Seine Aufgabe als Oberbürgermeister sei es, mit allen ins Gespräch zu kommen, unabhängig von Nationalität und politischer Einstellung. So sieht es Ahrens. Sein Fazit ist ernüchternd: „Die Leute sind grundsätzlich demokratiefeindlich.“ Er beschreibt sie als „sehr agile, echt heftige Leute.“ Soll man mit Rassisten reden? Sie ignorieren? „Ich habe mich nicht wohlgefühlt und auch nicht darauf gefreut, sie im Rathaus zu haben.“
Hat er Neues erfahren? Ahrens nickt. „Das war sehr aufschlussreich.“ So habe einer bestritten, rassistisch zu sein, um im nächsten Satz über die „höheren Werte des deutschen Volkes“ zu räsonieren, sagt Ahrens süffisant. Außerdem habe er eine „philosophisch unterlegte, sehr umfassende Kapitalismuskritik“ gehört. Nicht die Flüchtlingskrise ist schuld, sondern das ‚Schweinesystem‘, zitiert Ahrens. Eine Kritik, die er schon in ganz anderen Kreisen gehört hat.
Es scheint, als habe Ahrens eine Reise in verwirrte Köpfe unternommen. In Rumpelkammern voller Dinge, die nicht zueinander passen. Nicht viel anders als der Ratssaal. Ahrens fährt mit den Fingern über die Täfelung. „Da, zwischen dem Eichenlaub, waren die zwei Hakenkreuze eingelassen.“ Nach dem Krieg wurden sie herausgemeißelt, als würde Geschichte dadurch ungeschehen. „Und dort stand die Hitlerbüste.“ Die Umrisse der Stele sind bis heute zu erkennen.
Der Bürgermeister hat Pläne für 2017. Einen Flüchtlingsrat will er im Februar gründen. Die rechten Ideologen will er mit anderen politischen Lagern ins Gespräch bringen, „streng geregelt und moderiert“. Und bald wird der Ratssaal gründlich restauriert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht