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Verlegerin und Autorin über VG Wort„Das wollen wir nicht!“

Was passiert, wenn der „Kopiergroschen“ künftig direkt an die Urheber ausgezahlt wird und die Verleger leer ausgehen? Ein Gespräch.

Nicht jeder Verlag kann das Geld einfach so zurückzahlen Foto: dpa
Sonja Vogel
Interview von Sonja Vogel

taz: Frau Schüssler, laut einem Urteil des BGH waren die Ausschüttungen der VG Wort von 30 Prozent an die Verlage seit 2012 unrechtmäßig. Sie müssen zurückgezahlt werden. Angestrengt wurde das Verfahren von einem Autor. Wie konnte das passieren?

Schüssler: Kaum jemand hat mit dem Urteil gerechnet. Nicht in der VG Wort, nicht in der Politik, war die Verteilungspraxis doch über Jahrzehnte von keiner Seite je infrage gestellt worden. Ich bin natürlich nach wie vor der Meinung, dass an dem Buch, das etwa in der Bibliothek genutzt wird, der Verlag seinen Anteil hat. Genau wie der Autor. Dass Verlage nicht beteiligt sein sollen, ist ein Denkfehler.

Sind Sie als Autorin zufrieden mit dem Urteil, Frau George?

George: Nun, ich habe es schon kommen sehen. Aber es ist nicht mein Urteil. Ich bin damit nicht zufrieden. Letztlich wird es einen großen Kollateralschaden hinterlassen. Ich verstehe aber den Zorn der Wissenschaftsautoren und Journalisten gegen ihre Verlage.

Woher kommt diese Wut?

George: Die ist nicht neu und hat weniger mit der VG Wort zu tun als mit einer bisweilen großen Asymmetrie zwischen Autoren und Verlag, vor allem den Presseverlagen. Ich erinnere mich an eine Abrechnung von Springer: zwei Seiten AGBs, in denen ich meine Nutzungsrechte für eine Pauschale abgebe. Da verstehe ich die „Freischreiber“. Ihre Wut trifft aber Leute, die damit nichts zu tun haben . . .

Die Gesprächspartnerinnen

Susanne Schüssler: geboren 1962, ist Verlagsleiterin des Verlags Klaus Wagenbach und sitzt für die Belletristik-Verleger im Verwaltungsrat der VG Wort.

Nina George: geboren 1973, ist Schriftstellerin und sitzt für die Belletristik-Autoren im Verwaltungsrat der VG Wort. Zuletzt erschien von ihr „Das Traumbuch“ (Knaur, 2016).

Die Verlage müssen nun 100 Millionen Euro zurückzahlen. Was sind die Folgen?

Schüssler: Viele werden unmittelbar in Schwierigkeiten geraten, einige auch Konkurs anmelden müssen. Für die kleinen Verlage ist ein Betrag von 5.000 Euro so viel wie eine Million für die großen. Nicht jeder Verlag kann das Geld einfach so zurückzahlen. Es ist ein fester Bestandteil der Gesamteinnahmen.

George: Ich glaube nicht, dass so viele Verlage in Konkurs gehen. Das ist Schwarzmalerei.

Und was bedeutet das langfristig?

Schüssler: Vielleicht wird es nicht so viele Pleiten geben. Aber die Rückzahlung wird gravierende Folgen für die Programme haben. Es werden bestimmte Übersetzungen nicht mehr gemacht, bestimmte Bücher und Autoren werden nicht mehr verlegt.

George: Wenn man diesen Autoren jetzt auch noch sagt: Wir verkleinern das Programm, es gibt weniger Übersetzungen, weniger Geld für Autoren, dann werden sie darin bestätigt, dass die Verlage die Bösen sind. Davor möchte ich warnen.

Wir müssen auch verrückte Bücher machen können. Um die mitzutragen, braucht es erfolgreiche Bücher

Verlegerin Susanne Schüssler

Schüssler: Diese Feststellung mag unbequem sein und ist keine Drohung an die Autoren, sondern ein Hilferuf an die politisch Verantwortlichen. Wir haben kein Polster. Bei Wagenbach sieht es so aus: Ein eventueller Gewinn fließt wieder in den Verlag zurück. Also müssen wir einsparen. Wir haben dieses Jahr erstmals seit 52 Jahren unseren Gesamtkatalog „Zwiebel“ nicht herausgebracht. Das ist ein Einschnitt, der Verlag und Autoren trifft.

Also verläuft der Riss nicht zwischen Autoren und Verlagen, sondern zwischen kleinen und Großverlagen und deren Autoren?

Schüssler: Bei den Presseverlagen mag die Situation ganz anders sein. Wir Buchverlage haben ein anderes Verhältnis mit unseren Autoren. Wir streiten um Konditionen und Inhalte, aber wir reden miteinander. Das Verbindende ist größer als das Trennende.

Frau George, sehen Sie das auch so?

George: Die Befindlichkeiten sind unterschiedlich. Letztlich steckt die Unzufriedenheit einer kleinen Gruppe die anderen an. Aber wir müssen sie thematisieren, es gibt schwarze Schafe unter den Verlagen. Sie kommunizieren nicht mit den Autoren, machen schlechte Cover, geben Rechte nicht heraus. Also: Liebe Verlage, liebe Frau Schüssler, auch Sie geben den Druck des Marktes weiter. Auch an erfolgreiche Autoren wie mich.

Schüssler: Mir wird auch manchmal schlecht, wenn ich von meinen Autoren höre, welche Konditionen sie anderswo bekommen. Es gibt die schwarzen Schafe. Und darunter leiden wir Verleger, so wie Sie unter den paar Autoren, die das ganze Gefüge kaputtzumachen versuchen.

Hinter dem aktuellen Streit über das Anrecht der Verlage auf die Tantiemen steht ja die Frage, was sie zum Buch beisteuern . . .

Schüssler: Schauen Sie unsere Politikreihe an: Die haben wir hier erfunden, wir haben die Themen gesetzt, Autoren gesucht, wir arbeiten mit den Autoren, und manchmal wird der Text im Verlag umgeschrieben. Unsere Arbeit ist da nicht 30, sondern eher 70 Prozent. Aber ich möchte das nicht aufwiegen, denn es gibt auch Bücher, die praktisch fertig ankommen.

George: Deshalb habe ich mich entschieden, die mir nun zustehenden Gelder an den Verlag abzutreten. Denn das fertige Buch in der Bibliothek oder im Copyshop gibt es nur, weil mein Verlag etwas dazu beigetragen hat.

Schüssler: Aber wenn die Mitgliederversammlung am 26. November dagegenstimmt, wird die Abtretung nicht anonym über die VG Wort abgewickelt, sondern über den Verlag. Das wollen wir nicht! Ich will nicht wissen, welcher meiner Autoren abtritt. Die Übersetzer fürchten zu Recht, dass Verlage sagen: Wenn du nicht abtrittst, beschäftige ich dich nicht mehr.

Täuschen sich viele Autoren über die Arbeit der Verlage?

George: In jedem Fall gibt es ein Halbwissen, etwa über die Gewinnspanne der Verlage. Vom Verkauf eines Taschenbuchs bekomme ich letztlich mehr als der Verlag. Da geht viel ab – Rabatte, Vertrieb, Lagerung. Mein Verlag verdient erst richtig, wenn ich in den Top 5 bin.

Schüssler: In unseren Verträgen steht, dass sich Autoren die Kalkulationen anschauen können. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, wann das jemand getan hat. Sonst würden sie sehen, dass wir von 30 Büchern im Halbjahr zwei Drittel negativ kalkulieren. Wir müssen darum kämpfen, auch verrückte Bücher machen zu können. Um die mitzutragen, braucht es erfolgreiche Bücher. Aber Teil dieser Querfinanzierung ist auch das Geld der VG Wort.

Ist der Verlag also Urheber?

Schüssler: Es gibt ja die Frage nach dem gesetzlich verankerten Leistungsschutzrecht. Die Verlage haben bisher eigentlich nie dafür gekämpft, sondern über das Urheberrecht ihre Berechtigung gezogen. So hatte es der Gesetzgeber vorgesehen. Und das wird jetzt infrage gestellt.

Was hätte das Leistungsschutzrecht für Folgen? Eine VG Wort ohne Verlage?

Schüssler: Ja, möglicherweise. Sollte es in Zukunft getrennte Verwertungsgesellschaften geben, wäre das für beide Seiten von Nachteil, auch für die Autoren. Gemeinsam konnten wir für die Vergütung urheberrechtlich geschützter Werke mehr erreichen als jeder für sich. Das System hat gut funktioniert und schien mir gerecht zu sein.

George: Ein Albtraum. Der Kuchen wird ja nicht größer. Ein Kollege hat mir vorgerechnet, dass die Gerätehersteller dann eben 130 Prozent zahlen sollen: 100 an die Autoren, 30 an die Verlage. Ich habe sehr gelacht. Denn seit Jahren hören wir von dem Branchenverband Bitkom schon, die Geräteabgabe sei überholt.

Die Verhandlungsposition der Autoren wäre geschwächt?

George: Absolut. Verlage und Autoren müssen an einem Tisch verhandeln. Ohne die Verlage müsste die VG Wort alle Verträge mit der Bitkom, den Bibliotheken, den Universitäten neu verhandeln. Die würden uns dann aber fragen: Was ist Ihr Anteil an diesem Produkt? 70 Prozent? Weniger? Wenn die Verlage ihr Leistungsschutzrecht holen, wäre es noch schwieriger zu verhandeln . . .

Schüssler: Wir wollen ja das bisherige Konstrukt behalten. Aber wenn wir nicht mehr beteiligt werden, bleibt uns nur ein Leistungsschutzrecht.

Und nun?

George: Die Politik hat es verpasst, uns rechtzeitig beizuspringen. Die nationalen Institutionen haben es auf die europäischen geschoben. Eine Regelung dort wird zwei bis vier Jahre dauern. Und so lange bleibt uns nichts, als zurück an die Arbeit zu gehen.

Schüssler: Wir hoffen auf eine nationale Übergangslösung, bis auf europäischer Ebene anerkannt wird, dass die Leistungen der Verlage vergütetet werden müssen. Wir können nur hoffen, dass bis dahin die VG Wort nicht auseinanderfällt. Und das ist die Gefahr, wenn es bis Ende des Jahres keine Lösung gibt.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Zu Andreas V von heute 12.14 Uhr

     

    Wenn Sie mit "meist oberflächliche Bearbeitung der Texte" die Leistung der Autorinnen und Autoren meinten, könnte ich Ihnen zustimmen. Die Arbeit der Verlage macht in vielen Fällen aus guten "Entwürfen" gute Texte und gute Bücher. Das verfasste Drama, das komponierte Konzert bedarf ebenso der Umsetzung und Verbreitung wie das sämtliche Manuskripte benötigen. Der Verkaufs-Erlös alleine erbringt nur in seltenen Fällen gute Einnahmen - die Buch-Verlage leisten einen wichtigen Teil zur tatsächlichen Realisierung eines Werkes und haben Anspruch auf eine Vergütung.

  • Danke für den sachlichen Artikel. Auch ich als Kleinverlegerin habe dazu letztens etwas verfasst und auch in meinen Produktionen ist es so, dass mein "Kreativitätsanteil" sowie sämtliche begleitenden Produktionsschritte mindestens 70% betragen, ich schätze eigentlich eher 95%. Deshalb finde ich es fair, dass auch Verlage an den Ausschüttungen beteiligt werden. Wie und zu welchen Teilen sollten die Beteiligten m.M.n. individuell selbst aushandeln. Wen es interessiert: http://blog.thegrooves.de/2016/11/verlage-als-musik-und-textschaffende/

  • Respekt vor jenen Beiträgen, die relativ gut korrigiert und überprüft die Verlage erreichen.

    Vergessen wir aber bitte nicht ja nicht die Vielzahl – wenn nicht Mehrzahl – jener literarischen und wissenschaftlichen Texte, an denen sowohl sprachlich als auch redaktionell, orthographisch und grammatikalisch Vieles zu ändern ist. Ob die Manuskripte von Akademikern oder Nicht-Akademikern stammen, macht da leider wenig Unterschied.

    Vergessen wir nicht darauf, dass Bindestriche und Gedankenstriche beileibe nicht das Gleiche sind, dass die drei Punkte nach einem Wort, also das Auslassungszeichen, stets eines Abstands bedürfen, denken wir an all jene Dinge, die dann auf Wunsch der Verfasser noch im Nachhinein hinzugefügt werden müssen. Auch Autorinnen und Autoren können schließlich nicht an alles denken, daher wird neu umbrochen, muss der Zeitplan abgeändert werden. Bei Abbildungen ist leider häufig die Bildauflösung nicht gut genug, sind die Rechte für die Wiedergabe nicht genau abgeklärt worden – kurzum: Ein Verleger hat sehr viel Arbeit zu leisten, ehe an Umschlag-Gestaltung, Druck und Bindung, Werbung und Vertrieb überhaupt nur zu denken ist.

    Schließlich: Warum wohl wendet sich das Gros der Schreiber an seriöse Verlage und nicht an Zahlverlage? Von dort her könnte man nämlich auch erfahren, wie tatsächlich kalkuliert werden müsste. Aber das sind ja Gefälligkeits-Publikationen, die man sich ohne Renommee teuer erkauft.

    Buchverlage ermöglichen eine Fülle von Themen und Sichtweisen, an Stilrichtungen und zukunftsweisenden Forschungsergebnissen. Es muss daher zu einer akkordierten Regelung kommen. Denn nicht alles, was rechtens ist, hat auch seine rationale Richtigkeit.

    • @Thomas C. Cubasch:

      Die von Ihnen aufgezählten Leistungen des Verlags gehören zu einem professionellen Lektorat, das gute Verlage leisten. Aber durch diese meist oberflächliche Bearbeitung der Texte wird der Verlag doch nicht zum Urheber, dem 50% (wissenschaftliche Werke) bzw. 30% (Belletristik) der Urheberrechtstantiemen zustehen.

       

      Für seinen Arbeitsanteil bezieht der Verlag seine verdienten Einnahmen aus dem Verkauf, dem Handel mit Lizenzen und (Neben-)Rechten. Warum muss er auch noch Anspruch auf einen Teil der paar Kröten erheben, die von Rechtswegen her den AutorInnen zustehen?

  • Um dem netten Gespräch, in dem beide Teilnehmerinnen zu mindestens 80% übereinstimmen, noch eine Gegenposition entgegenzusetzen, verweise ich auf einen Artikel von Journalist und Autor Wolfgang Michal: http://www.wolfgangmichal.de/2016/11/fakenews-jetzt-auch-im-feuilleton/

     

    Zitat:

    "Doch die notorisch klamme Situation mancher Kleinstverlage wird vom reichen Börsenverein ja nur deshalb ins Feld geführt, weil man damit die Herzen notorisch klammer Autoren erweichen kann. Da traut sich dann keiner mehr zu fragen, warum man ausgerechnet kleine Autoren, deren Existenz mindestens ebenso gefährdet ist wie die Existenz kleiner Verleger, mit kulturellen Untergangsszenarien dazu drängen will, auf ihre schmalen Rückforderungsbeträge (von wenigen hundert Euro im Schnitt) „freiwillig“ zu verzichten."

  • Ich wundere mich, dass auch in der taz bisher nur die Seite dargestellt wird, die den bisherigen Status Quo (Autoren werden zugunsten der Verlage um einen Teil der ihnen gesetzlich zustehenden Urheberrechtstantiemen gebracht) gutheißt. Selbst die am Gespräch teilnehmende Autorin und VG-Wort-Funktionärin George vetritt ja diese Position. Für eine echte Diskussion hätte es einen Vertreter der im Gespräch nur erwähnten Gegenseite gebraucht, z.B. Martin Vogel, der den ganzen Prozess mit seiner Klage angestoßen hat oder jemanden von den Freischreibern.

     

    Kommt da noch ein Interview mit oder ein Artikel von einem Vertreter der Gegenseite, um der Sache wirklich gerecht zu werden, liebe taz-Redaktion?