Verhandlungen zum Tisa-Vertrag: Voll auf Deregulierungskurs
Die Europäer sind bei der Privatisierung ganz vorne: Sie wollen alle noch geschützten Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge „liberalisieren“.
Weitere Dokumente belegen zudem, dass die seit der Weltwirtschaftskrise von 2008 verstärkt geforderte Regulierung von Finanzdienstleistungen nach dem für kommenden Dezember angestrebten Abschluss eines Tisa-Abkommens zumindest in den 50 Vertragsstaaten kaum mehr möglich wäre. Zudem könnten die Regierungen selbst kleine lokale einheimische Unternehmen nicht mehr bevorzugt behandeln und vor übermächtiger Konkurrenz ausländischer Konzerne schützen.
An den 2012 von der EU, den USA und Australien initiierten Tisa-Verhandlungen sind 20 weitere Länder beteiligt. Das EU-Dokument nennt im Detail die Forderungen Brüssels an die anderen Staaten. Von Chile etwa verlangt die EU-Kommission die „Liberalisierung“ etwa von Post, Telekommunikation und Abfallsammlung. Ähnliche Forderungen – zum Beispiel nach Übernahme von bis zu 100 Prozent lokaler Fernseh- und Radiostationen durch ausländische Konzerne – richtet die EU an Kolumbien, Costa Rica, Mexiko, Pakistan, Panama, Paraguay und Peru. Ausdrücklich verlangt die EU von diesen Ländern, Bestimmungen abzuschaffen, wonach Privatisierungen etwa der kommunalen Wasserversorgung, die sich als schädlich für Verbraucher oder Umwelt erweisen, wieder rückgängig gemacht werden können.
Die EU-Kommission und auch die deutsche Bundesregierung haben bislang immer behauptet, öffentliche Dienstleistungen seien von den Tisa-Verhandlungen ausgenommen. Der Trick ist: Im allgemein gehaltenen Haupttext des geplanten Abkommens werden öffentliche Dienstleistungen eng als solche definiert, die für die Verbraucher völlig kostenfrei sind. Das trifft heute in den meisten Staaten aber höchstens noch auf die Feuerwehr oder den Katastrophenschutz zu.
Noch weniger Kontrolle
Würde der Verhandlungstext zu Finanzdienstleistungen verbindlicher Teil eines künftigen Tisa-Vertrags, hätten die Regierungen noch weniger Möglichkeiten als heute, Banken zu regulieren, hochriskante Finanzprodukte zu verbieten oder Offshore-Märkte zu kontrollieren.
Die drei jetzt veröffentlichten Dokumente reflektieren die Position zumindest einer großen Mehrheit der 23 Verhandlungsparteien. Zu einigen Punkten gibt es Forderungen nach restriktiveren Regeln, aber auch nach noch weitergehender „Liberalisierung“.
Bis Freitag müssen alle Staaten ihre endgültigen Liberalisierungsangebote und -forderungen auf den Tisch legen. Nach einer weiteren Verhandlungsrunde im November soll das Abkommen auf einer Ministerkonferenz Anfang Dezember noch rechtzeitig vor dem Regierungswechsel in den USA besiegelt werden.
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