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Degrowth-Aktivistin über Klimacamp„Wir sind in der Pflicht“

Ein Klimacamp im Rheinland will die Gesellschaft von morgen leben. Veranstalterin Ruth Krohn über mögliche Lösungsansätze und Ziele.

Im Kühlschrank muss nicht immer mehr Essen liegen Foto: imago/epd
Interview von leonie Sontheimer

taz: Frau Krohn, am Wochenende treffen sich rund 400 Menschen auf einer Wiese irgendwo im Rheinland. Was ist da los?

Ruth Krohn: Wir veranstalten zum zweiten Mal die Degrowth-Sommerschule mit dem Ziel, Bewegungen miteinander zu vernetzen. Auf einem großen Gelände bieten wir die Infrastruktur für Kurse und Workshops, ein buntes Zirkuszelt dient als Plenumssaal, und eine Küchencrew wird alle mit Essen versorgen. Das Camp ist ein Ort, an dem schon heute die Gesellschaft von morgen gelebt wird.

Werden wir in der Postwachstumsgesellschaft alle zelten?

In meiner Utopie werden wir nicht alle zelten. Könnten wir aber, wenn es das ist, was alle wollen. Degrowth bedeutet nicht, zurückzugehen in eine weniger entwickelte Welt.

Sondern?

Der Grundsatz von Degrowth lautet: In einer Welt mit begrenzten Ressourcen ist unendliches Wachstum nicht möglich. Wenn wir ein gutes Leben für alle wollen, dann müssen wir im globalen Norden aufhören zu wachsen. Aber es gibt Sektoren wie die erneuerbare Energie, in denen Wachstum sinnvoll ist. Wir müssen also schauen, wo wirkt Wachstum wie. Unsere Ausrichtung auf dem Klimacamp ist systemkritisch. Wir wollen bestehende Herrschaftsverhältnisse aufbrechen und Produktion und Konsum verändern. Das geht nur mit einer sozialökologischen Transformation. Die Grundlage dafür ist die Vernetzung mit anderen Bewegungen, die unsere Interessen teilen, wie zum Beispiel die feministische oder die antirassistische Bewegung.

Im Interview: Ruth Krohn

28, macht in Leipzig ihren Master in Sozialpolitik und Journalismus und gehört zum Organisator*innenkreis der Degrowth-Sommerschule.

Aber so eine Transformation kommt doch nicht ohne Verteilungskämpfe aus.

Die Degrowth-Bewegung kommt aus dem globalen Norden. Die Elite und die Reichen des globalen Nordens sind zuerst in der Pflicht, ihr Wachstum zu minimieren, damit alle Menschen am Guten Leben teilhaben können. Das kapitalistische Wachstum und die bestehenden Herrschaftsstrukturen treiben globale Ungerechtigkeit an. Deswegen müssen wir die Gesellschaft neu organisieren. Wenn es nach mir geht, auf gewaltfreie Art.

Aber wie sieht die Transformation im Konkreten aus?

Wenn wir alle im Bioladen einkaufen, haben wir noch keine Transformation, denn damit verändern wir das System nicht. Initiativen wie foodsharing sind dagegen ein gutes Beispiel dafür, wie Transformation schon jetzt umgesetzt werden kann. Wer von Essen lebt, das sonst weggeschmissen würde, unterstützt das kapitalistische System nicht länger. Und wer lernt, Dinge zu reparieren oder selbst zu machen, verlässt die Wegwerfgesellschaft. Auf dem Camp versuchen wir, die Transformation zu leben: Das Essen ist regional, saisonal und vegan und der Strom kommt von einem selbstgebauten Windrad.

Klimacamp

Das Camp: Etwa 1.000 Teilnehmer*innen treffen sich vom 18. bis 29. August im rheinländischen Lützerath. Themen sind die Zerstörung von Dörfern und Ökosystemen durch den Braunkohletagebau und die Klimafolgen von Kohleverstromung.

Die Sommerschule: Unter dem Titel „Skills for Change“ steht parallel zum Camp vom 19. bis 23. August die „Diskussion und Erprobung gerechter und ökologischer Alternativen zur aktuellen Wirtschaft“ auf dem Programm.

Und action: Am 20. August ist eine Demonstration geplant, ab dem 24. August können die teilnehmenden Gruppen selbst­organisiert Aktionen vorbereiten und durchführen.

Das Motto der Sommerschule lautet „Skills for System Change“: Welche Fähigkeiten braucht eine Bewegung, um eine Alternative zu bieten?

Wir brauchen Fähigkeiten auf drei verschiedenen Ebenen: der persönlichen, der organisatorischen und der theoretischen. Das Bildungsangebot der Sommerschule deckt alle drei Ebenen ab: Wie lege ich ein Hochbeet an? Wie moderiere ich eine Großgruppe? Was können wir von ähnlichen Bewegungen in Südamerika lernen?

Wer nimmt an so einem Camp teil?

Die Menschen, die sich angemeldet haben, sind sehr divers und reisen aus der ganzen Welt an. Viele Leute kommen aus der Anti-AKW- oder Klimagerechtigkeit-Bewegung. Wir ziehen aber auch viele Studierende an, die vielleicht noch nicht so tief in den Themen drinstecken.

Sie waren in der Hochschulgruppe der Grünen in Magdeburg aktiv. Wird es eine Partei wie die Grünen nach der Transformation noch geben?

Die Grüne Partei treibt gerade den Green New Deal sehr stark voran, der Effizienzsteigerung und technische Großinnovationen als Lösung vorschlägt. Das steht dem Grundgedanken von Degrowth entgegen. Solange wir wachsen, treiben wir Klimawandel und globale Ungerechtigkeit weiter an. Ich verstehe unter Demokratie etwas anderes als die sogenannte repräsentative Demokratie, in der wir leben. Ich finde es einfach undemokratisch, wenn große Lobbyverbände wichtige Entscheidungen treffen, und kann mir eher ein anarchistisches Rätesystem vorstellen. Also nein, die Grüne Partei wird es in meiner Utopie nicht mehr geben.

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4 Kommentare

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  • "Die Menschen, die sich angemeldet haben, sind sehr divers und reisen aus der ganzen Welt an. "

     

    Mehr muss man dazu wohl nicht sagen, auch degrowth macht nur mit Easyjet Spass und Umweltbewusstsein ist nur ein weiterer Konsumartikel zur Generierung von Sozialkapital.

    • @TurboPorter:

      Ein bisschen Schmunzeln muß man bei Ihrer Kritik schon. Nur glaube ich macht man es sich sehr einfach wenn man Menschen die sich mit großem Elan engagieren, in den Eintopf der Menschen wirft, die nur konsumieren und gar nichts hinterfragen geschweige aktiv unternehmen.

      Woher wissen Sie denn so genau daß die Aktivisten mit Easyjet anreisen.

      Also, alle Menschen, die ich kenne und ein halbwegs ausgebildetes Umweltbewußtsein besitzen loten aus welches Verkehrsmittel am ökologischsten ist. Daß man über den Ozean nicht mit seinem selbstgebauten Schlauchboot fahren sollte ist ja hoffentlich wohl jedem klar. Da bleibt nur das Flugzeug, wenn man viel Zeit hat auch das Schiff. Den Flug kann man kompensieren ( z.B. Atmosfair ). Das dies nur 1% der Deutschen machen, zeigt unser miserables Umweltbewußtsein deutlich.

      Wir sollten uns freuen daß es Menschen gibt die sich aktiv um das Wohl der Erde Sorgen machen und Lösungsansätze suchen. Diese werden die Aufklärer von morgen sein, von denen die Menschheit immer profitiert hat ( Menschenrechte, Sozialstandarts, Gleichberechtigung usw.) Diese wurden zunächst zu allen Zeiten ausgelacht und auch verfolgt. Letztendlich haben diese Recht behalten.

      Die Nörgler werden dagegen gar nichts erreichen und verändern.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "Wer von Essen lebt, das sonst weggeschmissen würde, unterstützt das kapitalistische System nicht länger." Die Botschaft hört ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wer von den Krümeln lebt, die vom Tisch der Reichen herabfallen, sägt nicht an dessen Beinen. Wie es gehen soll, im falschen Leben richtig zu handeln, ist mir immer noch schleierhaft, obwohl ich mir darüber schon sehr lange den Kopf zerbreche. Zudem wird doch jede Freiheit, welche Menschen sich nehmen oder erstreiten, im Handumdrehen von der Industrie vereinnahmt: regional, saisonal und vegan sieht man zusehends als Etikette im Supermarkt. Die Umkehr, denke ich, müsste spirituell sein. Aber wie soll das gehen in einer Gesellschaft, die alles Spirituelle entweder unterdrückt oder es lediglich als Therapie toleriert, die das Funktionieren des Einzelnen garantieren soll?

    • 3G
      34970 (Profil gelöscht)
      @849 (Profil gelöscht):

      Ja, die Menschen müssen auch spirituell eingebunden werden. So das sie aus sich selbst heraus ein Interesse haben sich selbst Grenzen zu setzen. Auch weil die einzige Alternative dazu ein brutaler Überwachungs- und Bespitzelungsstaat wäre wie in Nord Korea.