Deutsch als Fremdsprache: Deutschstunde zum Hungerlohn
Die Integration von Flüchtlingen steht und fällt mit dem Erwerb der deutschen Sprache. Doch die Situation der Lehrkräfte ist prekär.
Oben, im hellen Unterrichtsraum 601, strahlt mit Macht die Sonne. „Ein sehr schöner, bunter Kurs“ hat sich hier versammelt. So nennt die junge Dozentin Mirjam Krull die Gruppe von 14 Sprachschülern und -schülerinnen aus über einem Dutzend Ländern – aus Mexiko, Italien, China, Irak, den USA. Gerade übt man eine Hotelreservierung am Telefon – „mit vier Bette …“, „ich möchte zwei Zimmern …“ Dieses Deutsch aber auch! Es setzt gemeinsame Lacher, etwa als der junge Tadschike seinen komplizierten Namen auf Deutsch buchstabieren soll. Er muss selbst grinsen, etwas schüchtern. Er zuckt mit den Schultern.
Krull arbeitet mit Engelsgeduld, im-mer ak-zen-tu-iert spre-chend, einfühlsam, gut gelaunt. Es geht zügig und anspruchsvoll voran. Etwa 100 von den 900 Stunden bis zum Zertifikat haben die Deutschschüler geschafft. „Danach sollten sie studierfähig sein an der Uni“, sagt die Kursleiterin. Seit zehn Jahren ist sie im Job, seit 2013 in Aachen. In Leipzig hat sie Deutsch als Fremdsprache, kurz DaF, studiert: „Erst dachte ich, das geht gar nicht als Deutsche.“ Es ist die Ausbildung gezielt für diese Arbeit.
Ausgebildete DaFler sind rar
Solche ausgebildeten DaFler sind die Ausnahme im Metier Deutschkurse. Meist lehren Diplompädagogen, Germanisten, Kunstgeschichtler. Dozenten an Sprach- und Volkshochschulen sind begehrt – ob für Studienkurse oder erst recht für Kurse für Geflüchtete. Die Kurse boomen. In Geld schlägt sich die Nachfrage allerdings nicht nieder – ganz im Gegenteil. Die meisten arbeiten auf Honorarbasis. Sie haben zum Beispiel Lehramt studiert, werden jetzt aber kaum besser bezahlt als Schülerpraktikanten. Manche könnten auf Taxifahrer neidisch sein.
Deutsch ist schwer. Und von Deutsch zu leben auch. „Wir sind alle Einzelkämpfer“, sagt etwa Claudia Borst*, die bei der Volkshochschule Duisburg seit Jahren Integrationskurse gibt. Die 51-jährige Historikerin arbeitet 20 bis 30 Stunden pro Woche für 24 Euro in der Stunde. Und, ja, sogar für eine Unterrichtsstunde, also 45 Minuten. Stundenlohn brutto also: 32 Euro. Klingt doch gut! „Von wegen“, sagt sie und fährt sich durch die kurzen blonden Haare. Alle Sozialversicherungen gehen ab, Krankenkasse, Pflegevorsorge, Rente; Steuern sowieso. Netto bleibt knapp die Hälfte, etwa 15 Euro pro Stunde.
Dabei sind die Anfahrt, Gespräche, Konferenzen und die Vor- und Nachbereitung zu Hause noch nicht eingerechnet. Dann komme sie noch auf 10 Euro, sagt Borst, knapp über Mindestlohn. Sie guckt dabei so streng, dass man empört den Kopf schütteln möchte. Investiert hatte sie zuvor auch, eine vierstellige Summe: in Ausbildungskurse und Zertifikate. „Ganz spitz hab ich es nie ausgerechnet“, sagt Borst, „will ich auch lieber nicht.“ Urlaubszeit ist sowieso unbezahlt. Feiertage? Sind Armutsanwartstage. Wird man krank, gibt es nichts. Kein Unterricht, kein Geld. Kündigungsschutz? Mitbestimmung? Pustekuchen. Wird man dauerhaft krank, ist der Job erst mal weg – da wartet schon der Nächste.
Knapp über Mindestlohn
Andere DaFler haben genau gerechnet – im Netz etwa auf nachdenkseiten.de. Von 20 Euro bleiben, schreibt eine Betroffene, 28 Tage unbezahlten Urlaub eingerechnet, ein paar Krankentage dazu, am Ende 5,01 Euro. „Da würde jede Putzfrau drüber lachen“, kommentierte einer. Christoph Schröder, Leiter des Arbeitsbereichs Deutsch als Zweitsprache an der Uni Potsdam, stellt fest: „Die integrationspolitisch so wichtige Vermittlung der deutschen Sprache an Hunderttausende Migranten und Flüchtlinge liegt in den Händen von etwa 16.000 unterbezahlten Honorarkräften.“
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zahlt 3,10 Euro Zuschuss pro Asylsuchenden und Unterrichtsstunde. Bei 15 bis 20 Kursteilnehmern sind festangestellte Lehrkräfte kaum möglich – Miete, Bücher, Verwaltung kosten ja auch. Immerhin: 20 Euro müssen mindestens gezahlt werden – sonst bekommt ein Träger die Zulassung nur für ein Jahr. Die kann man aber Jahr für Jahr trickreich erneuern, was Einzelne auch dreist machen und Minihonorare zahlen. Bei Onlineinstituten, die via Skype unterrichten, gibt es bisweilen freche 10 Euro brutto. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat ausgerechnet: Bei den derzeit üblichen rund 20 Euro und 25 Wochenstunden Unterricht bleiben 990 Euro netto, selbst bei 30 Euro sind es nur 1.414 Euro – auch nicht eben ein typisches Akademikergehalt.
A. Beyes, Initiative Bildung Prekär
Die Sprachenakademie Aachen hat 2001 in zwei Klassenräumen angefangen – und wuchs rasant. Heute belegt die gemeinnützige GmbH alle acht Etagen im Haus der Kohle. In den 22 Unterrichtsräumen arbeiten insgesamt 220 Leute, davon unterrichten 150 DozentInnen etwa 13.000 Schüler aus 130 Ländern jährlich. Und der Platz reicht nicht mehr aus, man will dringend anderswo Räume dazu mieten. Schwerpunkt in der Hochschulstadt sind akademisch orientierte Intensivlehrgänge, es gibt aber auch mehr und mehr Integrationskurse.
„Uns hilft unser Idealismus“
Ein paar Straßen weiter, an der Aachener Volkshochschule, arbeitet die Kunsthistorikerin Barbara Müller als Deutschdozentin. „Wir sind alle studiert“, sagt die 54-Jährige über ihr Team, mehrheitlich Frauen, Honorarsatz: 20,50 bis 24 Euro. „Leisten kann ich mir das erst, seit die Kinder aus dem Haus sind. Und weil mein Mann verdient.“
Der Unterricht sei oft mühsam, dauernd komme sie an ihre Grenzen, sagt Barbara Müller. „Ich zweifle an mir selber, wenn jemand etwas einfach nicht verstehen will.“ Dann fühlt sie sich wie eine Krankenschwester. „Ich überlege, wie ich den Zugang legen kann, dass ich etwas erklärt bekomme“, erzählt sie und ergänzt: „Uns hilft unser Idealismus.“
Müller hat in ihren Kursen „auch viele Bestandsdeutsche, wie wir sie salopp nennen“. Das sind meist die Frauen von Zugewanderten, die teilweise schon viele Jahre hier leben, aber wenig Kontakt nach außen haben und kaum Deutsch sprechen, weil sie höchstens mal im Kiosk oder in der Dönerbude ihres Mannes helfen. „Manche haben nie eine Schule besucht und sind Analphabeten geblieben.“ Schwierige Klientel. „Die privaten Sprachakademien machen keine Analphabetenkurse“, sagt Müller. „Solche Leute kommen zu uns.“
Wie hält man einen Stift?
Müller nimmt einen Kugelschreiber. „Manche wissen nicht mal, wie sie einen Stift halten müssen.“ Sie malt ein dickes I. „Was ist das?“ – Hmmm, ein I. – „Richtig. Was für eines?“ – „Hmmm, ein dickes …“ – Sie lacht. „Das ist eines, das wir alle oft als Symbol sehen, ein Icon für Information. Analphabeten wissen zwar, da bekomme ich Infos, aber nicht, dass das ein Buchstabe ist und dass der I heißt …“
Prekäre Honorarverträge statt Angestelltenverhältnis sind nicht nur im Bildungssektor üblich. Es betrifft auch das Hotel- und Gaststättengewerbe, viele Medienberufe und Künstler aller Art. Rechtlich gesehen, kann es sich leicht um strafbewehrte Scheinselbstständigkeit handeln.
Auch Aglaja Beyes, 61, war in Wiesbaden viele Jahre lang als Honorarkraft Kursleiterin und engagiert bei der Initiative Bildung Prekär. Sie spricht deutlich kämpferischer. Primär gehe es „nicht um höhere Honorare, sondern um Anerkennung und Würde. Lehrkräfte, die nach einem Arbeitsleben nur circa 500 Euro Rente erhalten, sehen ihre Menschenwürde gefährdet.“ Die Lehrkräfte, sagt sie, „sollen Migranten integrieren und werden selbst sozial desintegriert.“ Das bedeute später Altersarmut. „Die schleppen sich krank zur Arbeit, mit Fieber, auf Krücken, mit Verbänden wie ein Seeräuber – zum Schrecken ihrer Schüler, die sich fragen: Bekomme ich eine Grammatiklektion oder einen Bazillus?“
„Bildung kostet was!“
Beyes organisierte im Januar einen Streiktag in Wiesbaden. In Osnabrück gingen Integrationslehrer im März auf die Straße – die Bezahlung auf dem Niveau von 1990 sei „ein bildungspolitischer Skandal ohnegleichen“, schimpfte solidarisch der VHS-Leiter. Lehrkräfte skandierten: „Der, die, das – Bildung kostet was!“ Zurzeit ist in Berlin wieder einmal eine angeblich sogar deutliche Anpassung der Zuschüsse und Mindesthonorare im Gespräch. Das Kabinett berät, der Finanzminister will gern bremsen. Offenbar droht ein Engpass bei Dozenten. Wenn nicht genügend LehrerInnen gewonnen würden, heißt es im Innenministerium, werde dies „die frühzeitige Integration von Flüchtlingen in Deutschland massiv erschweren“. Allein die MigrantInnen der letzten zwölf Monate haben ein Anrecht auf mehrere hundert Millionen Personenstunden Unterricht.
Aglaja Beyes hat einen anderen Lösungsvorschlag: spezifischere Ausbildung und eine Gleichstellung zu Lehrern an Schulen. Die Zuständigkeit läge nicht indirekt über Zuschusspauschalen bei einem Bundesamt, sondern den Kultusministerien der Länder. Und dann bitte mit Festanstellung. „Man stelle sich mal vor, unsere Kinder würden jahrelang an den normalen Schulen von Honorarkräften im Stundenakkord unterrichtet.“
Den Honorarkräften für die Kurse der Geflüchteten bleibt bis dahin nur Idealismus, Taschengeld inklusive – wenn auch vielleicht bald erhöht. „DaFler sind immer auch ein Stück Ehrenamtliche“, sagt Barbara Müller von der Aachener Volkshochschule. „Das Schöne ist, wie dankbar die meisten Schüler sind, vor allem Migranten. Rührend manchmal, wie sie strahlen, wenn etwas klappt im Unterricht.“ Claudia Borst hatte es so gesagt: „Es gibt richtig bereichernde Glücksmomente. Da kommt so viel zurück.“ Ideellen Lohn gibt es immer. Brutto für netto.
* Name geändert
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