Analyse der Wahl in Österreich: Ein tief gespaltenes Land
Land oder Stadt, Frau oder Mann, Pflichtschule oder Studium: Das faktische Patt nach der Wahl zeigt, wie zerrissen Österreich ist.
Österreichs nächster Bundespräsident – wer immer es sein wird – hat eine gewaltige Integrationsarbeit zu leisten. Nicht für die Flüchtlinge und Migranten, sondern für die angestammte Bevölkerung. Denn diese Wahlen, die mit einem faktischen Patt enden, hinterlassen ein tief gespaltenes Land.
Während der Rechtspopulist Norbert Hofer fast flächendeckend die Landgemeinden eroberte, hat der Grüne Alexander Van der Bellen die Stadtbevölkerung auf seiner Seite. Er entschied nicht nur die Bundeshauptstadt Wien klar für sich, sondern auch Graz, Innsbruck, Salzburg und die anderen Landeshauptstädte mit der Ausnahme von Eisenstadt.
Österreich hat eine strukturelle konservative Mehrheit. Insofern ist das Ergebnis Van der Bellens bemerkenswert. Die Trennlinie verläuft nicht nur entlang der Grenzen der Ballungsräume, sondern auch entlang des Bildungsniveaus und der Geschlechter. Menschen mit Pflichtschulabschluss sind stärker von der Wirtschaftskrise betroffen, als höher Gebildete und sind einem Verdrängungswettbewerb von Zuwanderern ausgesetzt.
Hätten nur Frauen gewählt, dann wäre Van der Bellen mit 60 Prozent klarer Sieger. „Frauen denken sozialer“ analysiert Ulrike Lunacek, Europaabgeordnete der Grünen. Männer würden zuerst an sich selbst denken, Frauen an die Familie und die Gemeinschaft. In der Krise suchen die Österreicher die feste Hand eines starken Mannes, meint Volker Plass von der Grünen Wirtschaft. Die ehemaligen Großparteien, speziell die ÖVP habe außerdem auf dem Land über Jahrzehnte dafür gesorgt, dass die Grünen als gefährliche Chaotenpartei gesehen werden.
Hofers Wähler können derweil nicht pauschal als rechtsextrem abqualifiziert werden. Die meisten würden sich gegen dieses Etikett sicherlich wehren. Hofer hat sich zumindest in den Medienauftritten als moderater Rechter präsentiert, dem die Anliegen der Bevölkerung wichtig sind. Dass die FPÖ gegen die meisten sozialen Verbesserungen gestimmt hat, wird ausgeblendet.
Es sind auch nicht nur die Modernisierungsverlierer, die aus Protest rechts wählen. Viele teilen einfach die im Ausland gängige Meinung nicht, dass die FPÖ rechtsextrem ist. Ein Fünftel der Hofer-Wähler hat bisher noch nie die Stimme der FPÖ gegeben aber die Berührungsängste nach rechts sind – auf dem Land – geringer als gegenüber den Grünen. Sollte Hofer doch das Rennen machen, wird sich die Polarisierung sicher verschärfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus