piwik no script img

Alternativen zu TTIPWir können auch anders

Bei dem Freihandelsabkommen werden die wichtigsten Probleme des Welthandels ausgeklammert. Vier Vorschläge, was sich ändern muss.

Bei den TTIP-Verhandlungen ist keines der wirklich wichtigen Probleme des Welthandels Thema Foto: dpa

1. Handelspolitik wird nicht von Handelspolitikern gemacht

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström glaubt an den „Markt“. Sie gehört der liberalen Volkspartei in Schweden an. Wie sie bei ihrem Amtsantritt in Brüssel selbst feststellte, „haben vor mir nur Liberale diesen Posten innegehabt, oder sie hatten liberale Ansichten“.

Damit beschreibt Malmström ein Grundproblem der EU-Handelspolitik: Sie wird von Handelspolitikern gemacht. Dies mag selbstverständlich wirken, hat aber Folgen. Denn für Handelspolitiker ist potenziell jedes Gesetz ein „nicht tarifäres“ Handelshemmnis – und jede Direktinvestition ein Segen.

Für Handelspolitiker ist der Handel kein Mittel, sondern oberstes Ziel. Was den Handel stört, ist verdächtig. Ob Umwelt- oder Verbraucherschutz: Bei den geplanten Freihandelsabkommen TTIP (zwischen der EU und den USA) und Ceta (zwischen der EU und Kanada) soll gelten, dass bei jedem neuen Gesetz nachgewiesen wird, dass es den Handel nicht gefährdet.

Paradies für Lobbyisten

Damit wird die Beweislast umgekehrt. Normal wäre, dass die Handelspolitik nachweisen muss, dass sie den allgemeinen Interessen dient. Doch plötzlich sind soziale Anliegen wie eine staatliche Gesundheitsversorgung in der Defensive: Ihre Befürworter müssen künftig belegen, dass potenzielle amerikanische Investoren nicht benachteiligt werden.

Ihre monomanische Sicht haben die Handelspolitiker in ein Verfahren gegossen, das sich „regulatorische Kooperation“ nennt: Noch bevor ein Gesetz das Parlament erreicht, sollen die Konzerne auf beiden Seiten des Atlantiks befragt werden, ob es ihre Handelsinteressen berühren könnte. Es wäre ein Paradies für Lobbyisten.

Obama, Merkel und der TTIP-Protest

Am Sonntag, 24.4., eröffnen US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel die Hannover-Messe. Sie sprechen auch über das umstrittenen Handelsabkommen TTIP, das die EU und die USA in diesem Sommer unter Dach und Fach bringen wollen. Kritiker fürchten, dass mit TTIP Konzerne mehr Macht bekommen und wichtige Verbraucher- und Umweltstandards sinken werden. Am Samstag wollen Zehntausende in Hannover protestieren. Die taz begleitet die Besuche mit einem TTIP-Special am Freitag.

Gegen diese regulatorische Kooperation regt sich inzwischen viel Widerstand, aber das Problem reicht tiefer. Es darf nicht länger als normal gelten, dass EU-Handelskommissare stets Liberale sind, die den Freihandel für sakrosankt halten.

In allen anderen Politikfeldern hat es sich längst durchgesetzt, dass die Ressorts fachfremd geleitet werden. So ist es sehr unüblich und sofort verdächtig, wenn ein Arzt Gesundheitsminister wird. Auch wird das Verteidigungsministerium fast nie von Soldaten geführt. Genauso sollte auch für die EU-Handelskommission gelten: lieber keine Liberalen.

2. Das eigentliche Handelshemmnis beseitigen

Mindestens 4 Billionen Dollar sind täglich rund um den Globus unterwegs, um mit Währungen zu spekulieren. Doch die Politik interessiert sich dafür nicht. Es gibt kein einziges internationales Abkommen, das versuchen würde, die Devisenspekulation einzudämmen.

Diese Vertragslücke ist seltsam, denn die Devisenspekulation ist das eigentliche Handelshemmnis, weil sie Exporte schlagartig teurer machen kann. Seit 2010 schwankte der Euro zum Dollar zwischen 1,02 und 1,50. Im Zickzack ging es rauf und wieder runter: Erst mussten die europäischen Exporteure erleben, dass ihre Waren auf dem Weltmarkt um 30 Prozent teurer wurden; dann profitierten sie vom Kursverfall des Euro. Für die US-Betriebe war es genau andersherum.

Zölle sind kein Problem

Diese Ausschläge hatten mit der Eurokrise fast nichts zu tun, was sich daran zeigt, dass es bei Dollar und Pfund fast genauso wild zuging. Von 2010 bis 2013 stieg das Pfund von 1,43 auf 1,71 Dollar, um jetzt wieder bei 1,43 Dollar zu landen. Auch britische Exporteure wurden damit konfrontiert, dass ihre Waren im Ausland erst um bis zu 20 Prozent teurer wurden – um sich dann wieder zu verbilligen.

Gemessen an diesen Kurssprüngen sind die „normalen“ Handelsbarrieren lächerlich. Wie die Welthandelsorganisation (WTO) schätzt, betragen die Zölle in den USA durchschnittlich 3,5 Prozent, in der EU sind es etwa 5,2 Prozent. Damit kann jeder Exporteur leben.

TTIP ist nur ein Vehikel, um Lobbyinteressen zu kaschieren

Es wäre übrigens einfach, die Devisenspekulation zu eliminieren. Es würde reichen, wenn die großen Zentralbanken zusammenarbeiteten. Also die amerikanische Fed, die Bank of England, die Europäische Zentralbank und die japanische Notenbank. Wenn die Spekulanten wüssten, dass diese vier Zentralbanken immer eingreifen, wenn die Währungskurse allzu wild ausschlagen – würden sie ihre Spekulation gleich unterlassen.

Wenn angebliche Freihändler nicht erkennen wollen, dass das größte Handelshemmnis die Devisenspekulation ist, kann dies nur bedeuten: Es geht ihnen nicht um den Handel. TTIP ist nur ein Vehikel, um Lobbyinteressen zu kaschieren.

3. Es gibt keinen Freihandel mit Geld

Die Devisenspekulation trifft alle Länder, doch die Entwicklungs- und Schwellenländer leiden besonders. Sie sind den internationalen Geldströmen wehrlos ausgeliefert und werden immer wieder in Wirtschaftskrisen gestürzt.

Das fiese Spiel heißt „Carry Trade“. Spekulanten nehmen Kredite in Industrieländern auf, wo die Zinsen niedrig sind – um das Geld dann in Schwellenländern anzulegen, die oft höhere Renditen versprechen. Es handelt sich also um einen gezielten Kapitalexport. Gewinne sind dabei garantiert, auch weil Kursgewinne winken: Wenn viele Finanzinvestoren in das gleiche Land drängen, dann wertet dessen Währung auf.

Kapitalströme eindämmen

Diese Geldflut ist für Entwicklungs- und Schwellenländer eine Katastrophe, weil die ökonomische Logik verdreht wird. Eigentlich müsste die Währung eines Schwellenlandes billig sein, doch stattdessen wird sie teuer. Exporte sind nicht mehr möglich, dafür werden Importe günstig, und das Wachstum lässt nach. Spätestens in diesem Moment werden die auswärtigen Spekulanten panisch, kündigen die Kredite – und bringen die Länder in Finanznot.

Die UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz (Unctad) fordert daher beständig, dass die Kapitalströme endlich eingedämmt werden. Doch das interessiert die reichen Industrieländer bisher nicht. Dabei kann Handel nur fair sein, wenn es keinen Freihandel für Geld gibt.

4. Alle Steueroasen werden geschlossen

Die Panama Papers haben es wieder in Erinnerung gerufen: Durch die illegale Steuerflucht und die legale „Steuergestaltung“ gehen weltweit jedes Jahr Milliarden an Steuereinnahmen verloren.

Genaue Schätzungen sind schwierig, aber die OECD nimmt an, dass allein die legalen Tricks der Großkonzerne etwa 240 Milliarden Dollar jährlich kosten. Die Multis schieben ihre Gewinne so lange zwischen einzelnen Ländern hin und her, bis die Profite in einem Staat gelandet sind, der Steuersätze zum Nulltarif bietet.

Hinzu kommt die illegale Steuerflucht: Vermögende parken ihr Geld in Briefkastenfirmen oder auf Geheimkonten, um dem Finanzamt zu entwischen. Dadurch entgehen den Staaten weltweit weitere 200 Milliarden Dollar im Jahr, wie der französische Ökonom Gabriel Zucman kalkuliert hat.

Steuerflucht muss Thema werden

Durch die Steuerflucht entstehen also die wahren Schäden, nicht durch die „Handelshemmnisse“, auf die sich die TTIP-Fans versteifen. Zucman hat daher gefordert, in den Freihandelsabkommen auch über das Thema Steuerflucht zu sprechen. Doch dieses Problem wird beharrlich ignoriert.

Selbst bestehende Handelsverträge werden nicht angewendet, obwohl sie oft ausreichen würden, um die Steuerflucht zu unterbinden. So erlaubt es die Welthandelsorganisation (WTO) längst, Strafzölle zu erheben, wenn ein Land indirekte Subventionen gewährt. Dazu zählen die Sonderkonditionen für Steuersünder, denn sie dienen dazu, die Banken in den Steueroasen attraktiver zu machen und ihnen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Doch von Strafzöllen für Steueroasen ist nirgends die Rede.

Da TTIP konsequent alle wichtigen Themen ignoriert, ist der Verdacht berechtigt, dass es in Wahrheit darum geht, gar nicht die „Handelshemmnisse“ zu beseitigen – sondern die Lobbyinteressen der Großkonzerne zu bedienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 7G
    73176 (Profil gelöscht)

    "Es wäre übrigens einfach, die Devisenspekulation zu eliminieren. Es würde reichen, wenn die großen Zentralbanken zusammenarbeiteten. Also die amerikanische Fed, die Bank of England, die Europäische Zentralbank und die japanische Notenbank." ????

    Die Kurssprünge sind vorwiegend auf die Zentralbanken selbst zurückzuführen, indem diese durch QE und Leitzinssenkungen die Märkte manipulieren. Und zu behaupten, dass die oben erwähnte Maßnahme das Allheilmittel ist, scheint mir eine gewagte These zu sein, vor dem Hintergrund, dass z.B. China gezwungen sein wird, seine Währung abzuwerten. Die BoE hat gegen Sorros verloren. Argentinien musste 2001 letztendlich seine Währung vom Dollar koppeln. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen (als nächstes mit dem Auseinanderbrechen der EWU).

    • @73176 (Profil gelöscht):

      Also, ich bin ja keine Fachfrau. Aber wenn ich Frau Herrmann richtig versehe, ist gerade dies, die Leitzinssenkungen einzelner Zentralbanken, Anlass von Währungsspekulation und Kapitalschieberei:

       

      "Die Multis schieben ihre Gewinne so lange zwischen einzelnen Ländern hin und her, bis die Profite in einem Staat gelandet sind, der Steuersätze zum Nulltarif bietet."

  • Ein sehr guter, erhellend-aufklärender Artikel!

    Danke, Frau Herrmann!

  • Es muss erst mal um die Wirtschaftsspionage der USA gegen Deutschland gesprochen werden, und die USA müssen auf metrisches System umstellen.

  • Erstmal selbst richtig handeln, und es die Welt wissen lassen:

    1. Das Welthandelsvolumen kann jeder ein wenig verringern, wenn er mehr darauf achtet lokale und regionale Produkte zu bevorzugen. Nicht nur regional endgefertigt, sondern im Idealfall auch aus regionalen Rohstoffen. Das ist bei den Nahrungsmitteln nicht schwierig, einfach im Supermarkt drauf achten das man Pfälzer Weintrauben kauft und keine Ägyptischen. Oder gleich auf dem Wochenmarkt vom Produzenten kaufen. Bei Kleidung wird es schwieriger (Baumwolle wächst hier halt nicht, aber Leinen schon), aber es gibt viele Kleinprodukte nebenher, bei denen man bewußt kaufen und konsumieren kann, z. Bsp. Kleiderbügel vom Mittelständler aus deutschem Kiefernholz zulegen, und nicht vom chinesischen Massenproduzenten aus Plastik.

    2. Auch bei der eigenen Steuererklärung auf unnötige Tricks verzichten. Das es Freibeträge gibt, die man ohne Nachweis geltend machen kann, heißt ja nicht das man das machen muß. Und Spenden muß man auch nicht absetzen, man kann auch etwas weniger Spenden und dem Staat die Verwendung der Steuer für den guten Zweck überlassen.

    3. Das eigene Geld nicht spekulativ anlegen, also nicht einfach in irgendwelche Finanzprodukte (Aktienfonds, Riesterrente, etc.) stecken weil da mit Zinssätzen gewunken wird, sondern entweder bewußt investieren, also für Anteile an einem neuen wirtschaftlichen Unternehmen oder am Eigenheim ausgeben, oder besser noch direkt ausgeben. Wenn wieder mehr Geld in die Realwirtschaft fließt, und nicht in der Finanzwelt geparkt ist, werden die Firmen die echte Arbeit leisten wieder mit Wachstum belohnt, und nicht die Firmen bei denen die Rechtsabteilung die höchsten Profite einfährt.

    Achja, und dann vielleicht bei der nächsten Bundestagswahl vielleicht einfach mal die Partei wählen die in den letzten 30 Jahren nie Teil einer Bundesregierung war, und sich deutlich gegen die Freihandelsabkommen positioniert?

    https://www.die-linke.de/politik/aktionen/ttip-stoppen/

  • Ein hervorragender Artikel, sehr informativ.

    Ich hätte gerne auch den Namen des Verfassers.

    • @jo diap:

      ?? Ich verstehe Ihre Frage nicht, denn:

      Als Verfasserin ist Frau Ulrike Herrmann, die Wirtschaftsredakteurin der taz, genannt; siehe rechte Spalte ganz oben.

       

      ?? Oder möchten Sie damit andeuten, dass diese Angabe nicht stimmt?

  • Alles richtig. Aber was tun? Proteste werden ignoriert, Wahlen ändern nichts.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Dann sollte man sich vielleicht auf die Artikel im GG berufen.......mehr Chancen sehe ich auch nicht. Denn TTIP wird genauso durchgewunken wie alles andere was uns betrifft......