Kommentar EU-Türkei-Abkommen: Europa bricht Versprechen
Mit dem Deal hat die EU ihre Flüchtlingspolitik komplett an die Türkei ausgeliefert. Jetzt will und kann sie nicht mehr zurück.
N un bekommt Europa die Bilder, die es angeblich vermeiden wollte: Flüchtlinge, die gegen ihren Willen in Lager eingesperrt werden. Polizisten, die Bürgerkriegsopfer wie Gefangene in die Türkei „zurückführen“. Demonstranten, die gegen die unerwünschten Syrer protestieren und alles andere als „Willkommen“ rufen.
Wieder sind es die Inseln in der Ägäis, auf denen sich das ganze Elend der europäischen Flüchtlingspolitik zeigt. Noch vor vier Wochen hatte sich die griechische Regierung darauf vorbereitet, menschenwürdige Unterkünfte bereitzustellen. Nun muss Athen die unwürdigen Beschlüsse aus Brüssel exekutieren.
Und die versprochene Hilfe der EU lässt auf sich warten. Wo sind sie denn, all die Asylexperten und zivilen Helfer, die Deutschland und die anderen EU-Staaten versprochen hatten? Zu sehen bekommen wir vor allem Gendarmen und Grenzschützer, die darüber wachen, dass niemand seiner Abschiebung entkommt.
Es ist nicht das einzige gebrochene Versprechen. Verraten hat die EU auch ihre Zusage, auf Massenabschiebungen zu verzichten und alles streng nach EU- und UN-Recht zu arrangieren. Was ist es denn anderes als eine Massenabschiebung, wenn auf einen Schlag 750 Menschen abtransportiert werden? Und wo gelten denn noch die Regeln?
In Griechenland nicht, in der Türkei schon gar nicht. Griechenland ist schlicht damit überfordert, die geforderten Blitz-Asylverfahren durchzuführen. Und die Türkei zeigt keinerlei Interesse daran, die unerwünschten Rückkehrer korrekt aufzunehmen. Angeblich schickt sie sogar Syrer zurück in den Bürgerkrieg.
Es geht nicht mit rechten Dingen zu
Wenn es in der EU noch mit rechten Dingen zuginge, müsste sie diesem Vorwurf, der immerhin von Amnesty International erhoben wird, nachgehen. Sie müsste Experten in die Türkei schicken, wie dies etwa der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, gefordert hat. Bis dahin müsste die Abschiebung ausgesetzt werden.
Doch es geht nicht mehr mit rechten Dingen zu. Die EU hat sich in der Flüchtlingspolitik mit Haut und Haaren der Türkei ausgeliefert. Jetzt will, jetzt kann sie nicht mehr zurück. Jetzt muss sie der neuen Abschottungs- und Abschreckungslogik folgen und genau jene schlimmen Bilder produzieren, die Merkel und ihre Anhänger angeblich immer vermeiden wollten.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße