Über das Ende einer Partnerschaft: Gehen? Bleiben? Gehen? Bleiben?
Manche Frauen wollen weg von ihrem Mann. Aber innere und äußere Zwänge halten sie immer wieder davon ab, sich zu trennen.
„Wir lassen es dauern, solange es dauert. Wir machen nichts dagegen und nichts dafür.“ Sagt Paula zu Paul in dem Defa-Klassiker „Paul und Paula“.
Klingt überzeugend, klingt einfach: Wenn‘s läuft, läuft‘s. Wenn‘s nicht mehr läuft, ist Schluss und die Partner trennen sich.
Aber so einfach ist das dann häufig doch nicht. Bei Katharina und Jürgen ist schon seit zehn Jahren der Ofen aus. Sie leben in getrennten Zimmern, fahren getrennt in den Urlaub, frühstücken getrennt. Den letzten Schritt aber, den gehen sie nicht: die große Wohnung in Berlin in zwei kleinere zu tauschen, das Familienauto zu verkaufen und zu verhandeln, wer nach der Trennung den Cockerspaniel behält. Katharina nervt das.
Seit Jahren liegt sie ihren Freundinnen in den Ohren, dass sie es nicht mehr aushalte. Dass Jürgen sie anöde, sobald er nur die Küche betrete. Und dass sie am liebsten weg wolle.
„Dann geh doch endlich“, rufen die Freundinnen seit Jahren. Sie sind nämlich auch genervt. Von Katharinas Nörgelei, dass sie auf Jürgen, den die Frauen eigentlich ganz okay finden, immer so rumhackt. Am meisten genervt sind sie allerdings von Katharinas Antwort: „Ich versuch‘s noch mal.“
„Wenn ich jetzt gehe, war alles umsonst“
Seh' ich gut aus? Bin ich nett genug? Wie finden mich andere? Fragen, die das Leben vieler Frauen bestimmen. Oder anders formuliert: das innere Korsett. Damit beschäftigt sich die Sonderausgabe zum diesjährigen Internationalen Frauentag am 8. März. Unter anderen mit Laurie Penny, der Muslimin Sineb El Masrar, der Modebloggerin Katrin Lange, der Autorin Gabriele Häfner, den Soziologinnen Cornelia Koppetsch und Sarah Speck, dem Vollzeitpapa Jochen König und dem AutorInnen-Duo Almut Schnerring und Sascha Verlan. Die komplette Ausgabe finden sie gedruckt am Kiosk oder digital am eKiosk.
Warum geht die Frau nicht? Sie hat einen Job und eigenes Geld, der Sohn ist ausgezogen. Bis auf das Auto gibt es kein gemeinsames Haus oder ein teures Wochenendgrundstück, das die beiden fest miteinander verschweißen würde. So wie das bei anderen Paaren der Fall ist, die sich wegen einer Immobilie und teuren Besitztümern nicht trennen. Welches innere Korsett hält Frauen davon ab, bei ihren Partnern zu bleiben, obwohl sie mit ihnen kreuzunglücklich sind?
Antje Barnick, Ärztin
„Die Frauen haben die Hoffnung, dass es irgendwann wieder besser wird zu Hause“, sagt Antje Barnick. Die Psychotherapeutin, Ärztin und Hypnotherapeutin kennt sich aus mit „Fällen“ wie Katharina einer ist. In ihre Praxis in Berlins Mitte kommen Menschen mit vielfältigen psychischen Auffälligkeiten: Angst- und Essstörungen, Depressionen, Nikotinsucht, Belastungsreaktionen.
Es ist ein Wechselspiel: All diese Krankheiten wirken sich auf die Partnerschaften aus – oder werden vom krisenhaften Miteinander der Partner mitausgelöst.
Wenn die Frauen in Barnicks hellen Therapieräumen hoch über der Stadt von ihrem Leben erzählen, geht es vor allem um desolate und fragile Beziehungen. Die Ärztin hört von mangelnder gegenseitiger Achtung, von Egoismus und Gefühlskälte, von Geliebten und von Gewalt. Dinge, die nicht in eine Beziehung gehören.
Trotzdem hört die Ärztin auch immer wieder diesen einen Satz: „Wenn ich jetzt gehe, war alles umsonst.“ Umsonst die Mühe, die sich diese Frauen geben, um dem Mann zu gefallen. Umsonst die Kraft, die sie darauf verwenden, die Kinder großzuziehen und den Haushalt zu schmeißen. Nicht der Rede wert die Tränen, die die Frauen vergießen, weil ihnen ihr Engagement nicht gedankt wird. Und umsonst all die Versuche, den Mann zu ändern. Denn so, wie er ist, ist er ja nicht gut. Und weil er nicht gut ist, ist die Liebe am Abgrund.
Sexualpartner, Freund und Vater der Kinder
„Es ist eine Illusion zu glauben, eine Frau könne einen Mann ändern“, sagt Antje Barnick. Umgekehrt genauso. Ein Mann, der wenig redet, wenn er jung ist, wird im Alter nicht zum Schwätzer. Ein Alkoholiker hört nicht auf zu trinken, nur weil er eine neue Frau trifft. Und ein Fußballnarr mutiert nicht zum Gärtner, einzig weil seine Frau lieber Tulpen als Tore mag. „Die Persönlichkeit eines Menschen prägt sich im Erwachsenwerden und ändert sich nur durch Extrembelastungen.“ Traumatische Erlebnisse etwa, massive Gewalt, solche Sachen.
Aber Antje Barnick rät den Frauen nicht: „Trennen Sie sich.“ Das würde sie sich nie anmaßen. Sie sagt ihnen eher Sätze wie: „Sie leben vielleicht noch 20 oder 30 Jahre. Das ist eine lange Zeit. Aber die kann schön werden, wenn Sie in Ihrem Leben etwas ändern, statt zu versuchen, den anderen anders haben zu wollen.“
Manche Frauen beherzigen das. Die, die bleiben, versuchen sich zu arrangieren mit einer klaren Kalkulation: Eine gemeinsame große Wohnung ist besser als eine eigene kleine. „Für Frauen ist die Scheidung meistens ein existenzielles Problem, für einen Mann ein finanzielles“, sagt Helene Klaar. Die Wiener Scheidungsanwältin hält nicht nur Ehen für erhaltenswert, die perfekt glücklich sind, verriet sie kürzlich der Süddeutschen Zeitung: „Wenn man hungert und friert, finde ich es nicht so wichtig, ob die Liebe noch so ist wie am ersten Tag.“
Auch manche Männer würden so „rechnen“, hat Antje Barnick erlebt. Aber die kämen damit besser zurecht. „Sie akzeptieren, dass die Ehefrau nicht mehr die Geliebte ist, sondern vielleicht nur noch Mutter ihrer Kinder oder die Freundin, mit der sie reden“, sagt Barnick. Während Frauen das Komplettpaket wollten: diesen einen Mann als Sexualpartner, Freund und Vater der Kinder.
Manche Frauen bleiben, weil sie Angst haben vor der Einsamkeit. Ein verständlicher Impuls, Menschen sind soziale Wesen und wollen nicht allein sein, sagt der Hamburger Psychiater Josef Aldenhoff. Aber die Vorstellung von romantischer Liebe, super Sex, gemeinsamem Altwerden, und das alles dauerhaft und mit einer einzigen Person, das sei naiv, findet der Autor von Büchern wie „Ich und du. Warum?“. Das komme „im Logbuch der Evolution“ schlicht nicht vor.
Denn Angst macht „inkompetent“
Jede Lebensphase braucht einen eigenen Partner? „So kann es sein“, sagt Antje Barnick: „Dazwischen kann es durchaus Phasen des Alleinseins geben.“ Die manche Frauen schwer überbrücken könnten. „Jene Frauen wissen, dass es nicht schlimm ist, allein zu sein. Sie wissen rational, sie haben Freunde, einen Beruf, Kinder, sie sind nicht einsam. Aber emotional fühlen sie sich alleingelassen wie ein kleines Kind. Und das ist für sie existenzbedrohend.“ Also bleiben sie.
Manche Frauen fragen sich aber auch: Bin ich nach einer Trennung noch vollständig, noch genauso viel wert wie vorher? Eine Frau ohne Mann, die hat keinen abgekriegt. Mit der stimmt doch was nicht. „Das ist eine äußere Bewertung, die mit hinterfragbaren Maßstäben der Gesellschaft zu tun hat“, sagt Antje Barnick: „Manche Singlefrauen werten sich in dieser Weise selbst ab.“
Männer seien davon weit entfernt, sich solch ein inneres Korsett überzustülpen. Sie würden sich in ähnlichen Lebenslagen eher nach außen orientieren: Büro, Geliebte, Fußball, Freunde. Manche Medien würden das Bild der Frau, die nur als gertenschlanke Beauty auf dem Singlemarkt eine Chance hat, verstärken, sagt Barnick: „Aber das stimmt natürlich nicht.“ Drei Viertel aller Frauen in Deutschland sind übergewichtig. Sind die alle Single? Nein.
Mit zunehmender Gleichstellung der Geschlechter verschieben sich die Maßstäbe bei der Partnerwahl. Wie gerade eine Studie der Nothwestern University in den USA und der Universität Innsbruck herausgefunden hat, bevorzugen Männer gebildete Frauen, die selbst genug verdienen und die die Männer nicht versorgen müssen. „Offensichtlich ist es wichtiger, sich aufeinander verlassen zu können und miteinander Spaß zu haben, als einfach nur schön zu sein“, sagt Antje Barnick.
Und was heißt das für die Frauen, die von der Ärztin wissen wollen, was sie in ihrer Krise tun sollen? Und was für Katharina und Jürgen?
„Die Frauen müssen rauskriegen, warum sie Angst haben zu gehen“, sagt Barnick. Solange sie das nicht wüssten, bleiben sie. Denn Angst mache „inkompetent“, so die Ärztin: „Dann empfinden es die Betroffenen schön, dass jemand da ist, der einen umsorgt. Wie auch immer.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau