Pornografie und christliche Werte: Kein Squirten mit der Kirche
Julia Pink war beruflich Erzieherin, privat Pornostar. Die evangelische Diakonie kündigte ihr, weil ihr Hobby mit christlichen Werten unvereinbar sei.
Ihre Figur ist gebräunt, ihr langes glattes Haar erblondet. Den pinken Bikini hat sie ausgezogen. Vor ihr steht Steven, ein Kopf kleiner, mit einem freundlichen Handwerkergesicht, und tut etwas, das man nur noch schwerlich als fingern bezeichnen kann. Es geht mehr so in Richtung fisten, schnell und schneller, der Stuhl wackelt, Julia Pink wackelt, sie stöhnt sich bis zum Orgasmus, der mit einem beeindruckenden Tropfenregen aus ihrer Möse endet. Weibliche Ejakulation, live und in Farbe. Squirten nennen sie das.
Die Journalistin bekommt eine Vorführung. Julia Pink bekommt, was sie will: jede Menge Sex. Sie lädt Männer ein, die mit ihr Sex haben wollen, ihr Freund, früher Autoverkäufer, jetzt ihr Manager, sexuell ein Voyeur, filmt das Ganze mit großem Vergnügen. Julia Pink stellt die Filme auf ihre Seite. Wer sie sehen will, muss zahlen. Die Jungs bekommen nichts, außer Sex mit Julia Pink. Ihren richtigen Namen sagt sie nicht. Trennung von Hobby und Person, sozusagen.
Die Diakonie Neuendettelsau vollzieht diese Trennung nicht nach. Julia Pink hat hier 16 Jahren lang gearbeitet, als Erzieherin Behinderte in einer WG betreut. Jemand hat ihrer Vorgesetzten von ihrem Hobby erzählt. Die Vorgesetzte forderte sie auf, darauf zu verzichten, Julia Pink sah das nicht ein. Ihr wurde gekündigt.
Jesus ist ziemlich eindeutig
Jesus sagt laut Matthäus 5: „Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ Jesus ist ziemlich eindeutig. Auch in 1. Johannes 2,16: „Denn alles, was in der Welt ist: des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt.“ Die Weltentsagung der Kirche ist auch die Ignoranz des Körpers und seiner Lüste. Die KatholikInnen haben schon Probleme damit, wenn der Sex nur um des Spaßes willen stattfindet und nicht der Empfängnis dient. Die ProtestantInnen dagegen hadern mit der christlichen Sexualmoral.
In ihrer letzten Denkschrift zur Sexualethik aus dem Jahr 1971 weist die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die katholische Maximalforderung zurück, Sex dürfe nur innerehelich stattfinden und der Fortpflanzung dienen. „Unter dem Einfluss eines dualistischen Menschenverständnisses hat man vielfach das geschlechtliche Leben dämonisiert“, heißt es darin.
Und stellt fest: „Das geschlechtliche Gegenüber und die Begegnung von Männern und Frauen haben ihren Sinn in sich selbst.“ Und weiter noch: „Die Darstellung des Nackten in Wort und Bild kann informationsfördernd sein und zur Bereicherung der Beziehungen von Mann und Frau beitragen, wenn sie die Zusammenhänge menschlicher Sexualität nicht verfälscht.“
Die evangelische Kirche ist sich uneins
Erotische Darstellungen könnten auch missbraucht werden, warnt die Schrift: „Das nur ich-bezogene Ausleben der Antriebe, das den Partner zum bloßen Objekt der eigenen Bedürfnisse macht, bedroht sowohl das Leben des einzelnen als auch das Zusammenleben in der Gemeinschaft.“
Könnte die Produktion eines Pornofilms auch „den Sinn in sich selbst“ haben? Oder verfälscht Julia Pink auf ihrem Gynäkologenstuhl die Zusammenhänge menschlicher Sexualität?
Wenn „die Sympathie nicht stimmt, dann läuft nichts“, sagt Pink. Eigentlich, ergänzt sie, sei sie ja devot. Aber gegenüber der Diakonie ist sie es nicht. Sie verteidigt ihr Hobby und sieht die klassische Doppelmoral am Werk: „Dann müsste die Diakonie auch alle entlassen, die Pornos gucken.“
Was fehlt den Protestanten denn nun genau? „Menschen, die eine ganzheitliche Beziehung vernachlässigen und dennoch Geschlechtsverkehr miteinander haben, verfehlen die Partnerschaft“, steht in der Denkschrift. Und dies sei zu behandeln: „Was als bloße Zügellosigkeit oder hemmungslose Genusssucht angesehen wird, ist in vielen Fällen Unwissenheit, Unreife oder Unfähigkeit zu Kontakt, Hingabe und Verzicht. Diese Mängel in der Persönlichkeitsentwicklung sind nicht durch moralische Forderungen zu beseitigen, sondern erfordern fachliche Hilfe wie Seelsorge und Beratung.“
Eine psychologische Störung?
Statt Verdammnis hat die evangelische Kirche die Pathologisierung des unverbindlichen Geschlechtsverkehrs im Angebot. Wer viel mit wechselnden Partnern vögelt, muss einen psychischen Defekt haben. Julia Pink müsste demnach geholfen werden. Die Kirche hätte sich um sie kümmern müssen. Das Gegenteil ist geschehen. Das müsse aufhören, sagte die Diakonie. Keineswegs, sagt Pink, die keinerlei Einsicht zeigt. Weder die Diakonie noch Frau Pink glauben, es handele sich um einen Defekt in ihrer Persönlichkeitsentwicklung.
Wie chaotisch die evangelische Kirche mit der Sexualmoral umgeht, zeigt sich in weiteren Punkten ihrer Denkschrift: Homosexualität ist danach schlicht eine „sexuelle Fehlform“. Die Diakonie stellt in ihrer Erläuterung zum kirchlichen Arbeitsrecht aber klar, dass Homosexualität nicht zu einer Kündigung führe. Und war laut der Denkschrift die bildliche Darstellung von Erotik gerade noch hilfreich, so ist Pornografie einige Seiten später „ein Ausdruck nicht bewältigter Sexualität“ und als „sozialschädlich abzulehnen“. Pornos legten den Sex auf eine „infantile Stufe der Schau- und Zeigelust“ fest, Sex werde zum „Objekt des Konsums und der Profitgier“.
Schau- und Zeigelust ist bei Frau Pink und ihren Gespielen garantiert am Werk. Konsumiert werden ihre Pornos auch, nur mit dem Profit hapert es noch etwas. Allerdings hat der Konflikt mit der Diakonie dem Profit auf die Sprünge geholfen: Julia Pink ist nun bundesweit bekannt. Gerade vertreiben sie eine Puppe mit ihrem Aussehen: 200 Euro soll die kosten.
Dennoch beharrte sie vor Gericht darauf, dass all dies ihr Privatvergnügen sei, das Dank ihres Pseudonyms nichts mit ihrem Beruf zu tun hat. Doch die Diakonie sieht das ganz anders: Dieses Verhalten stelle „eine schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlung“ dar.
Zudem seien pornografische Aktivitäten nicht mit ihrem Betreuungsjob vereinbar, da sie sich dort auch mit dem Sexualleben ihrer Bewohner auseinandersetzen müsse. „Wer kann das wohl besser als ich?“, fragt Julia Pink.
Freiwillig, einvernehmlich und selbstbestimmt
Die evangelische Kirche ist schon seit geraumer Zeit unzufrieden mit ihrer Denkschrift. 2012 hat sie eine Adhoc-Kommission gebildet, die eine neue Sexualethik entwickeln sollte. Als sie 2013 eine Orientierungshilfe herausbrachte, in der sie den Familienbegriff nicht mehr an die Ehe koppelte, brach ein Sturm der Entrüstung los. Die Adhoc-Kommission wurde wieder aufgelöst.
Ihr Vorsitzender war der Erlanger Professor Peter Dabrock. Er tritt dafür ein, feste Kriterien für eine gute Sexualität zu entwickeln, und nennt ebenfalls Freiwilligkeit, Selbstbestimmung und Einvernehmen. Dabei hat er das experimentierende Sexualleben der Jugend vor Augen. Und Julia Pink? Freiwillig, einvernehmlich, selbstbestimmt.
Dabrock, persönlich angeschrieben, sieht durchaus, dass seine drei Kriterien auch bei Pornografie erfüllt sein könnten. Aber mit ihr verbunden sei nicht nur eine teils „menschenverachtende Sexindustrie“, sondern werde auch ein Frauenbild transportiert, das in der Regel Frauen „zu Objekten von machohaften Männerfantasien degradiere“. Die Kirche dürfe, das sehe die Verfassung vor, einen gewissen Korridor an Standards der Lebensführung ihrer MitarbeiterInnen erwarten.
Allerdings hat die Kirche selbst diesen Korridor zuletzt aufgeweicht: Homosexuelle Pfarrer dürfen laut EKD im Amt bleiben, wenn sie ihre Homosexualität so wenig wie möglich thematisieren und weiter für die heterosexuelle Ehe werben. Auch das weltliche Recht setzt Grenzen: Ein wiederverheirateter Pfarrer durfte trotz Sünde von der katholischen Kirche nicht entlassen werden. Homosexualität wird in der Bibel sehr viel schärfer verurteilt als Pornografie. Homosexualität aber ist gesellschaftlich mittlerweile anerkannt.
Vom Gleichberechtigungsgesetz ausgenommen
Seiner Mandantin stehe das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu, argumentiert Florian Fleig, Pinks Anwalt. Das sei ein Grundrecht, das auch die Kirchen nicht ohne weiteres einschränken dürften. Dürfen sie nicht? Insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zeigt, welche Lücke zwischen Recht und Kirchenrecht klafft. Jemandem wegen seiner sexuellen Orientierung, seiner ethnischen Herkunft, seiner Religion oder seines Geschlechts zu kündigen ist laut AGG verboten. Ausnahme: wenn das Selbstverständnis der Kirche dies rechtfertigt. Die Kirche darf also theoretisch weiter benachteiligen. Beide Kirchen sind nach dem öffentlichen Dienst die zweitgrößten Arbeitgeberinnen in Deutschland. Sie beschäftigen 1,3 Millionen Menschen. Darf für sie wirklich das AGG nicht gelten?
So einfach ist das nicht. So hat ein Gericht entschieden, dass bei „verkündigungsfernen Berufen“ wie etwa bei einer Sozialarbeiterin das AGG durchaus Anwendung findet.
Und noch ein Problem betrifft das kirchliche Arbeitsrecht: Denn das Prinzip der Subsidiarität in der Wohlfahrtspflege besagt, dass der Staat bei sozialen Diensten nur einspringt, wenn andere Träger, also in der Regel die Kirchen, nicht tätig werden. Zugleich finanziert der Staat aber die soziale Arbeit der Kirchen. Er unterstützt damit zwei Arbeitgeber, die Menschen diskriminieren. Der Staat darf aber eigentlich nicht diskriminieren.
Allerdings: Für die Abschaffung des Sonderstatus der Kirchen wäre eine Grundgesetzänderung und damit eine Zweidrittelmehrheit sowohl des Bundesrats als auch des Bundestags nötig. Die ist nicht in Sicht. Es wird also weiter mit kleinen Meißeln am Monolithen der Kirche herumgemeißelt. Einen der Meißel hat Julia Pink in der Hand gehalten.
Pinks Berufung wurde abgewiesen. „Hätte ich bei Lidl gearbeitet, hätte ich recht bekommen, hat auch der Richter gesagt“, meint sie. Dass es zweierlei Recht in Deutschland gibt, kann sie nicht akzeptieren. Julia Pink ist am vergangenen Donnerstag aus der Kirche ausgetreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos