Kolumne Immer Bereit: Umsonst und draußen
Manche Lesungen sollte man auf gar keinen Fall abhalten. Zum Beispiel solche in einem Kiez, aus dem man rausgentrifiziert wurde.
E inmal habe ich mir wegen einer Email die Zunge blutig gebissen. Es war Frühling und kalt draußen und ich hatte sowieso schlechte Laune. Das Wochenende zuvor hatte ich nämlich die scheißeste Lesung des Jahres gehabt.
Es gibt ja einige Parameter für Veranstaltungen, die man lieber nicht machen möchte.
1. Open air ist eine davon. Der Sound ist mies, die Sonne blendet und irgendein kreischendes Kind kippt dem Onkel nebenan das Eis auf die Hose während Kalle ausm Nachbarhaus seinen Fiffi spazieren führt und besoffen dazwischen quatscht.
2 Volksfeste. Bei Volksfesten potenzieren sich oben genannte Widrigkeiten. Viele Kinder, viele Besoffene, viele Hunde. Dazu Bratwurststände und ein oder zwei Musikbühnen mit den Hits der 70er, 80er, 90er.
3. Ohne Honorar.
Seit ich durchs Radio ein bisschen bekannt geworden bin, häufen sich Anfragen wie diese:
„Liebe Lea Streisand,
ich schreibe dir diese Anfrage als Organisatorin des Lesezeltes unseres Sommerfestes im Bötzowkiez. Das Kiezfest ist ehrenamtlich von Menschen für Menschen aus dem Bötzowkiez getragen, die hier arbeiten, leben oder die anderweitig mit dem Kiez verbunden sind.“
Liebe Leute, ich lebe von den Lesungen. Auch wenn es mir großen Spaß macht. Es ist trotzdem Arbeit. Und die muss bezahlt werden. Wie mein Lesebühnenkollege Spider sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die irgendeine Klofrau bitten, dort umsonst zu arbeiten, oder dass das Bier kostenlos ausgeschenkt wird.“
Ich weiß nicht, warum ich mich hab breit schlagen lassen. Vielleicht eben doch, weil ich da aufgewachsen bin, im Bötzowviertel.
Das erste, was ich sehe, als ich am Stierbrunnen ankomme, ist ein Infostand der Berliner Sparkasse. Musikbühnen, Wurstbuden. Dixieklos. Die Hölle auf Erden. Darüber hängen drohend die Regenwolken.
Ich lese meine Hufelandstraßengeschichte vor über das Haus meiner Kindheit. Ich erzähle vom Gestank der Mülltonnen. Von den Stasinachbarn.
„Ich habe die Geschichte noch nicht zuende geschrieben“, sage ich nachher. „Aber ich kann euch das Ende erzählen.“ Die Leute nicken freudig. Nette Leute. Aufmerksames Publikum. „Vor 15 Jahren“, sage ich, „ist meine Mutter aus der Wohnung in der Hufelandstraße ausgezogen. Sie konnte die Miete nicht mehr bezahlen und zog nach Pankow in eine Wohnung, aus der sie vor fünf Jahren wegen Eigenbedarfs rausgeklagt wurde. Sie wohnt jetzt bei ihrem Lebensgefährten zur Untermiete.“
Stille senkt sich über das Lesezelt am Stierbrunnen. Ein paar Leute werfen Klimpergeld in den Hut.
„Gibt es etwas Erniedrigenderes, als für umme bei einem Volksfest in dem Viertel aufzutreten, aus dem man vor 15 Jahren rausgentrifiziert wurde?“, schreibe ich bei Twitter.
Als ich losfahre, brechen die Wolken auf.
Woher kommt diese Selbstverständlichkeit, dass Kunst nichts kostet? Wir geben Hunderte von Euro im Jahr für Hardware aus. Neue Computer, neue Tablets, neue Telefone. Die Kunst, die wir damit konsumieren, die Musik, die Filme, die Serien, die Texte, die dürfen nichts kosten. Sie sind ja nur Gimmicks, unwichtiger Tand.
„Und was hat das mit Gentrifizierung zu tun?“, fragt Paul, als ich mich abends bei ihm auskotze.
„Geld“, sage ich, „es geht um Geld. Darum, dass diese Stadt zu einer Ansammlung von Dörfern und Kleinstädten verkommt. Die Idee der sogenannten ‚Mietskasernen‘ wie den Häusern in der Hufelandstraße war es, dass alle Menschen, egal welchen Standes, welcher Konfession oder Herkunft, in einem Haus wohnen. Von der Bürgerfamilie in der Beletage bis zur Arbeiterfamilie im dritten Hinterhof. Berlin war immer ein Ort, an dem jeder machen konnte, was er wollte. Heute wird es zu einem Ort, von dem jeder der Geld hat, sich ein Stück kaufen kann. Und dafür soll ich Werbung machen?!“
Ich habe mir ein paar Stullen geschmiert und mich an den Schreibtisch gesetzt. Dann mache ich meine Emails auf und lese:
„Hallo Lea,
kurz und knapp: Ich hätte dich gern bei unserer Wort und Rüben-Lesebühne vom Mörchenpark dabei. Da wir die Eintrittsgelder für die Begrünung des Mörchenparks verwenden, können wir leider keine Gage zahlen.“
Der Mörchenpark ist ein urban gardening Projekt am Spreeufer mit Projektförderungen im fünfstelligen Bereich. Das Kater Holzig hängt mit drin und die Berliner Wasserwerke. Sie alle wollen Geld damit verdienen. Nur mir wollen sie nichts zahlen!
Und dann hab ich mir vor Wut auf die Zunge gebissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW