Drogenversand aus dem Kinderzimmer: Das Start-up
Shiny Flakes versendet aus seinem Zimmer Drogen und macht Millionen, spart aber zuweilen am Porto. Diese Nachlässigkeit überführt ihn.
In einem Café am Bahnhof von Leipzig sitzt ein Buchautor und erinnert sich an die Recherche, die ihn zu den dunklen Ecken des Internets geführt hat, wo es nicht nur Drogen zu kaufen gibt, sondern auch falsche Pässe, Waffen und Kinderpornos. „Ich stelle es mir vor wie in den alten Slapstickfilmen: Die Kriminellen haben Vorsprung, die Polizisten rennen mit Knüppeln hinterher“, sagt er. „Die technischen Möglichkeiten haben sich geändert. Das Spiel ist dasselbe.“
Ganz in der Nähe, im ersten Stock eines wuchtigen Prunkbaus mit Stuck und Säulen, geht der Kripochef im Kopf den Einsatz durch, der ihn groß in die Medien gebracht hat, ihn und seine Kollegen von der Polizei Leipzig. Er sagt: „Wenn alles anonymisiert und verschlüsselt ist, haben wir wenig Angriffsfläche. Aber der Mensch macht Fehler.“
Irgendwo in Bayern, auf der Terrasse eines Eiscafés, sitzt eine Kundin bei einer Apfelschorle. Sie sagt, dass mit Shiny Flakes viel mehr zu Ende gegangen ist als nur ein Onlineshop: „Es war, als hätte jemand ein Utopia erschaffen, eine Welt, in der Drogen versachlicht und nur nach ihrer Reinheit bewertet werden.“
Einer der größten Drogenfunde in Deutschland
Der Mann, der unter dem Namen Shiny Flakes Geschäfte machte, wurde Ende Februar verhaftet. Ein 20 Jahre alter Realschulabsolvent aus Leipzig, der noch bei seiner Mutter wohnte. Von seinem Zimmer aus soll er ein Start-up aufgezogen haben, mit dem er Millionenumsätze machte. Die Polizei stellte dort 320 Kilo Drogen sicher, Ware im Wert von rund vier Millionen Euro. Einer der größten Drogenfunde aller Zeiten in Deutschland.
Der Chef der Kriminalpolizei Leipzig ist stolz auf den Erfolg, doch er macht sich nichts vor. „Wir geben uns keinen Illusionen hin, dass wir den Vertrieb von Drogen im Internet insgesamt eingedämmt haben.“ Petric Kleine, ein schmaler Mann mit Stirnglatze und gestreiftem Hemd, hat sich an dem Besprechungstisch an der Seite seines Büros niedergelassen. Ringsum Zimmerpalmen, Stapel von Pappmappen. Er beobachtet schon länger, wie sich Teile der Kriminalität ins Netz verlagert haben. „Der Markt ist da“, sagt er, „die Leute haben begriffen, dass man damit Geld verdienen kann.“
Shiny Flakes’ Sortiment umfasste alle Arten von Drogen außer Heroin. Allein zwischen Oktober 2014 und März 2015 soll er Umsätze von mehr als einer Million Euro gemacht haben. Die Kripo geht davon aus, dass er seine Karriere mit dem Handel gestohlener Kreditkartendaten begann. Es dauerte nicht lange, bis er zu Drogen wechselte. Anfang 2013 ging sein Webshop online.
Etwa ein Jahr lang war Shiny Flakes nur im Darknet aktiv, einem Teil des Internets, dessen Inhalte mit Suchmaschinen wie Google nicht zu finden sind. Um darauf zugreifen zu können, ist die Verschlüsselungssoftware Tor erforderlich, die die Daten der Nutzer wie ein Sichtschutz verbirgt. Doch Shiny Flakes ging weiter als die meisten anderen Onlinedrogenhändler: Das Darknet reichte ihm bald nicht mehr. Im Frühjahr 2014 tauchte sein Webshop auch an der Oberfläche des Internets auf.
Stoff für die wirklich großen Partys
„Es war wie bei Amazon“, sagt Julia Kramer*. „Ich fand’s echt revolutionär.“ Die Seite war ansprechend gestaltet, die Kunden konnten die Produkte bewerten und Sterne vergeben. Kramer ist Ende 20, von Beruf Sozialarbeiterin. Glatte braune Haare liegen um ihr rundliches Gesicht. Sie sagt, sie steht zu ihrem Konsum, sie schadet damit ja niemandem.
MDMA, das ist für sie Stoff für die wirklich großen Partys. Zwei mal im Jahr nimmt sie eine Pille, sagt sie, nicht öfter. Nur die Frage nach dem Woher blieb immer offen: Wer auf der Straße kauft, kann nie wissen, was der Dealer einem andreht. Im Darknet hat sie es nie versucht; diese anonymen Foren, wo Freaks, Pädophile und Betrüger unterwegs sind – das ist ihr zu heikel. Dann las sie einen Testbericht über Shiny Flakes und dachte sich: Mal sehen, ob das wirklich funktioniert.
Wenige Tage später traf ein Päckchen bei ihr ein. Darin lagen Gummibärchen – und das MDMA, eingeschweißt in Plastik. Die Pillen, sagt sie, waren von bester Qualität, „und man wusste dank genauer Inhaltsangaben, wie man dosieren musste“. Verbraucherfreundlicher Drogenhandel also, transparent und sauber – kein Wunder, dass das nicht ewig so weitergehen konnte.
Der Stadtteil Gohlis breitet sich am Nordrand von Leipzig aus; leere Ausfallstraßen führen an sanierten Altbauten und Mietskasernen vorbei; Designboutiquen liegen zwischen Einkaufszentren und Imbissbuden. Shiny Flakes wohnt hier nicht mehr. Er sitzt im Gefängnis.
Man kann ihm noch begegnen, wenn man im Internet nach ihm sucht. Shiny Flakes ist ein fester Begriff, ist eine Marke. Verschwörungstheorien machen in den Foren die Runde: Kann der Beschuldigte wirklich der Betreiber des legendären Webshops sein? Ein Großdealer, der bei Mama wohnt? Muss es da nicht noch Hintermänner geben?
„Wechselt jetzt ins Darknet“
Nun versuchen andere, einen Rest von Profit aus dem Namen zu schlagen. Die Website Motherboard, die zum Magazin Vice gehört, hat ausführlich über den Fall berichtet – in der Kommentarspalte bieten gleich mehrere Dealer ihre Dienste an. Einer schreibt: „shiny flakes ist geschichte wechselt jetzt ins darknet wo ihr einfach und zuverlässig alle drogen kaufen könnt.“
Schwer zu sagen, ob die Polizei Shiny Flakes auch dann erwischt hätte, wenn er sich mit dem Darknet zufrieden gegeben hätte. Auch der verborgene Teil des Internets ist nicht der rechtsfreie Raum, als der er oft beschrieben wird, sagt der Journalist Alexander Krützfeldt, Autor des Buches „Deep Web: Die dunkle Seite des Internets“. Sicher gebe es Wege, seine Identität zu verschleiern, „aber wenn man sich nicht wirklich auskennt, passieren leicht Fehler, die dazu führen können, dass man sich enttarnt“.
Krützfeldt, 29 Jahre alt, mit Kapuzenpulli und eckiger Brille, hat einen etwas abgelegenen Tisch im ersten Stock des Starbucks ausgesucht. „Verschlüsselung ist ja auch ein Statement“, sagt er. „Es gibt etwas, das ich nicht sagen will. Dadurch kann man erst recht in den Fokus der Ermittler geraten.“ Für den Durchschnittsuser sei das Darknet ohnehin nicht attraktiv, zu langsam, zu aufwendig.
Die Zielgruppe ist also klein, die Konkurrenz groß, entsprechend hart werde der Wettbewerb ausgetragen. „Was oft unterschätzt wird: Du sitzt am PC und machst Geschäfte mit jemandem, den du nicht kennst.“ Ist der andere wirklich, wer er vorgibt zu sein – oder doch ein Fahnder, Hacker, Scherzkeks? Der Autor sieht das Darknet eher als Experimentierraum für Datenschützer, Whistleblower, Dissidenten: „Als Drogenhändler würde ich mir ein anderes Geschäftsfeld suchen.“
Drogen mit DHL-Trackingnummer
Shiny Flakes belieferte rund 6.000 Kunden, Endverbraucher wie Großabnehmer. Seine Pakete gingen ins gesamte Bundesgebiet, vor allem nach Süddeutschland, aber auch bis in die USA und nach Indonesien. Seine Gewinnmargen werden auf 50 bis 300 Prozent geschätzt.
Um sich zu tarnen, meldete er eine Firma für Webdesign an. Er führte sein Geschäft ordentlich und akkurat. Die Bezahlung wurde in Bitcoins abgewickelt. Sobald die Kunden das Geld überwiesen hatten, wurde die bestellte Ware verschickt – als DHL-Sendung mit Trackingnummer.
Die Polizei Leipzig stieß im März 2014 auf erste Hinweise auf Shiny Flakes’ Geschäft. Das Rauschgiftdezernat in Leipzig arbeitete mit den Fachleuten vom „Cybercrime Competence Center“ des Landeskriminalamts Sachsen zusammen. „Das ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagt der Kripochef. „Sie brauchen eine Symbiose von klassischer Polizeiarbeit und IT-Experten.“
Eine Nachlässigkeit brachte Shiny Flakes zu Fall. „Da kommt der Faktor Mensch ins Spiel“, sagt Petric Kleine. Er hatte auf einige Pakete zu wenig Porto geklebt. Sie konnten nicht zurückgesandt werden, weil er falsche Absender angegeben hatte, Anschriften von Firmen, die nichts mit seinen Geschäften zu tun hatten. Einmal öffnete ein Mitarbeiter eines der Pakete – und sah, dass es voll mit Drogen war.
Die Polizei glich den Fund ab mit den Daten, die sie bei Durchsuchungen gesammelt hatte. Nach und nach tauchten mehr unzustellbare Drogenlieferungen auf. Alle waren von demselben Briefzustellzentrum in Leipzig aus in den Verkehr gegangen. So kam ein Puzzleteil zum anderen: „Die Schlinge zog sich immer enger. Schließlich konnten wir die Sendungen bestimmten Packstationen zuordnen.“
Die Szene fühlt sich sicher
Am 26. Februar schlug die Polizei zu: Shiny Flakes nahm gerade eine Lieferung an; ein Fahrer hatte ihm 60 Kilo Drogen gebracht. Beide wurden verhaftet; Ware und Festplatten beschlagnahmt. Die Daten darauf führten zu 38 Durchsuchungen und fünf weiteren Festnahmen.
Kleine ist ein ruhiger Mann, er brüstet sich nicht. Aber er will auch nicht den Eindruck entstehen lassen, die Polizei könne nichts gegen den Onlinedrogenhandel ausrichten. „Die Szene fühlt sich relativ sicher“, sagt er. „Aber unsere Fachleute sind nicht mehr die allerschlechtesten. Wir werden besser, sagen wir mal so.“
In den kommenden Wochen werde die Polizei die Daten auf den Festplatten auswerten. Jeder ehemalige Kunde müsse mit einer Anzeige rechnen, sagt Kleine.
Auch Julia Kramer könnte also noch Ärger kriegen. Sie sagt, sie versucht, ruhig zu bleiben; sie hat ja höchstens drei, vier Male bei Shiny Flakes bestellt. Sie überlegt kurz, nippt an ihrer Apfelschorle. Gerne würde sie sich für eine Legalisierung aller Drogen einsetzen, aber sie wagt es nicht, aus Sorge um ihre Zukunft. „Es war ein Luxus, das, was man will, bestellen und entspannt feiern zu können“, sagt sie leise.
Kramer verzichtet derzeit lieber auf Drogen, andere Kunden schauen sich längst nach neuen Quellen um, im Internet oder auf der Straße. In einem Darknet-Forum schreibt ein User zum Thema Shiny Flakes: „Wenn ein Supermarkt dicht macht, geht man halt zum nächsten.“
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands