Nahrung beeinflusst Evolution: Der Mensch ist, was er isst
Die Nahrung hat auf vielfältige Weise den Menschen verändert. Feuer bei der Zubereitung des Essens könnte die soziale Evolution erheblich vorangetrieben haben.
MÜNCHEN taz | Nicht schlecht staunte ein internationales Forscherteam, als es vor einigen Monaten am Eingang der südafrikanischen Wonderwerk-Höhle die bisher ältesten Hinweise auf Feuerstellen fand. Sie werden auf rund eine Million Jahre datiert. Vorher ging man davon aus, dass die Vorfahren des Menschen frühestens vor knapp 790.000 Jahren das Feuer nutzten, so legt es eine israelische Fundstätte nahe.
Unter anderen Indizien sichteten die Forscher in der Asche pflanzliches Material und Reste von Tierknochen – genug Beweise für die Archäologen, dass es sich um ein kontrolliertes Feuer und nicht etwa um einen Buschbrand gehandelt hat.
Die Fossilien des steinzeitlichen Barbecues unterfüttern eine Theorie zur Evolution des Menschen nun mit weiteren Fakten, die sogenannte Kochhypothese. Der ursprünglich britische Primatologe Richard Wrangham von der Harvard University lancierte sie erstmals im Jahr 1999 und vertritt darin die Meinung, dass erst gekochtes Essen aus dem Affen einen Menschen, genauer: den Homo erectus machte.
„Aus unserer Entdeckung lässt sich tatsächlich schließen, dass die Vorfahren des Menschen bereits in der Zeit des Homo erectus das Feuer in ihre Lebensweise integriert haben könnten“, bestätigt Michael Chazan von der Universität Toronto und Mitglied des Wonderwerk-Forschungsteams.
Der aufrecht gehende Homo erectus gilt als Bindeglied zwischen Affe und Mensch. Er besaß im Vergleich zu seinen Vorfahren ein wesentlich größeres Gehirn bei verkleinertem Mund und Darm. So war die Gehirnmasse des vor rund drei Millionen Jahren lebenden und auch schon aufrecht gehenden Menschenaffen Australopithecus afarensis („Lucy“) rund 500 Kubikzentimeter groß, ähnlich wie bei Schimpansen heute.
Erfinder und Weltenbummler
Homo erectus, der vermutlich erstmals vor knapp zwei Millionen Jahren die Bildfläche betrat, brachte es dagegen auf mehr als das Doppelte. Er erfand zahlreiche Werkzeuge und war ein echter Weltenbummler, wanderte aus Afrika aus und besiedelte Asien und Europa – ein intelligenter Typ.
Vorgänger des Homo erectus wie Lucy oder der direkte Nachfolger Homo habilis kannten zwar bereits Fleisch – seit rund 2,3 Millionen Jahren steht es auf dem Speiseplan der Menschen – hauptsächlich ernährten sie sich jedoch noch von Blättern, Früchten und Wurzeln. Der Grund, warum auch ihr Darm noch erheblich länger war und die Backenzähne flach und groß, einem Mühlstein ähnlich.
Vielen Anthropologen wie etwa Leslie Aiello vom University College London gilt Fleisch als Treibstoff für die körperlichen und in der Folge soziobiologischen Veränderungen des Homo erectus. Schließlich liefern Steaks, Kotelett und Co. wertvolles Eiweiß und damit auch ein Plus an Energie, das für das exorbitante Gehirnwachstum unabdinglich war.
Aufgebrochene Zellen
Wrangham glaubt dagegen, dass es nicht das rohe Fleisch war, das uns smarter machte, sondern gegartes Essen im Allgemeinen. Denn der Mensch kann aus diesem laut diverser Studien wesentlich mehr Kalorien beziehen als aus Rohkost. Hitze verändert die Textur eines Lebensmittels, Proteine denaturieren, Stärke verkleistert, Zellwände brechen auf und sonst eingesperrte Nährstoffe werden für den Körper verfügbar.
Gekochtes, stärkereiches Wurzelgemüse oder auch gegartes Fleisch liefern darum mehr Kalorien als die rohen Varianten. So hat der Harvard-Primatologe gemeinsam mit seiner Kollegin Rachel Carmody vergangenes Jahr in einer viel beachteten Studie aufgedeckt, dass Mäuse unter einer Rohkostdiät Gewicht verlieren. Erhielten sie die gleiche Menge als gekochtes Futter, konnten sie ihr Gewicht halten. Sogar Menschenaffen bevorzugen Gekochtes und lassen Rohkost links liegen.
Verfechter der Rohkosttheorie behaupteten jedoch immer wieder, dass es Völker – etwa die Inuit – gäbe, die sich ausschließlich mit Ungegartem begnügten, ja dass der Mensch die meiste Zeit seines Daseins von Rohem lebte, Rohkost daher die natürlichste und gesündeste Ernährungsweise sei.
Nebenwirkungen der Rohkost
Laut Wrangham gibt es jedoch sogar bei den Inuit jeden Abend eine warme Mahlzeit. Und aktuelle Rohkoststudien zeigen, dass 50 Prozent der Frauen keine Menstruation mehr haben. „Es ist nicht möglich, dass unsere Vorfahren so genügend Nachkommen zeugten, um zu überleben“, meint Wrangham. Die Nutzung des Feuers hatte auch den Vorteil, dass gefährliche Krankheitserreger abgetötet wurden und Nahrung haltbar gemacht werden konnte.
Die meisten Evolutionsbiologen haben der Nahrungszubereitung wenig Wichtigkeit beigemessen, man ging dagegen davon aus, dass der Mensch auch ohne Kochtopf geworden wäre, was er heute ist. Wranghams Theorie war darum provokant und galt vielen als zu wenig fundiert.
Pat Shipman, Anthropologin an der Penn State University, warf ihm beispielsweise vor, dass viel mehr und auch noch ältere fossile Lagerfeuer gefunden werden müssten, wenn sie so gebräuchlich waren. Allerdings sind solche Überreste extrem schwer auszumachen.
Umstrittene Thesen
Shipman bleibt auch nach den neuen Erkenntnissen aus Südafrika skeptisch: „Eine Fundstätte mehr überzeugt mich nicht.“ Unumstritten ist, dass Lagerfeuer unabhängig vom Zeitpunkt ihrer ersten Nutzung außer einer effizienteren Nahrungszubereitung auch soziale Veränderungen mit sich brachten.
Sie dienten als Wärme- und Lichtquelle und boten auch einen Schutz gegen Raubtiere – das war wichtig für Homo erectus, der anders als seine Vorgänger nicht mehr auf Bäumen schlief. Letztlich konnte auch die Herstellung von Werkzeugen im Feuer verfeinert werden.
Wrangham und die Kochhypothese gehen jedoch noch weiter: An der Feuerstelle sei es schließlich zu mehr Geselligkeit gekommen, wodurch auch die Entwicklung der Sprache gefördert worden sein könnte. Dass mit der Entstehung des Homo erectus eine Verkleinerung des Gebisses einherging, was mehr und mehr zu einer nuancierteren Sprache führte, spricht dafür. „Unser Menschsein, unsere Kultur und Zivilisation begann erst mit der Zubereitung warmer Mahlzeiten über offenem Feuer“, ist der Harvard-Wissenschaftler überzeugt.
In Gruppen leben
Andere Evolutionsbiologen glauben dagegen, dass die Fähigkeit des Homo erectus, in Gruppen zu leben, die Gehirnmasse wachsen ließ und die Sprachentwicklung stimulierte.
Den Zuwachs an Intelligenz durch kalorienreichere Kost hätte die Frau jedoch mit einer Unterordnung bezahlen müssen, meint Wrangham: Sie sammelte Wurzelgemüse und Feuerholz, war für die Bewahrung der Glut zuständig und kochte regelmäßig, im Gegenzug dafür bot der Mann ihr und den Kindern Schutz und beschaffte Büffel- und Antilopensteaks.
„Kochen kreierte ein neues System der männlichen Superiorität“, meint Wrangham. „Das ist kein schönes Bild.“ Es könnte allerdings erklären, warum sich veraltete Rollenklischees auch in modernen Gesellschaften so hartnäckig halten.
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